Diabetes aktuell 2022; 20(05): 210-211
DOI: 10.1055/a-1851-0031
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Diabetes und Herz

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Prof. Dr. Thomas Forst, Mannheim

Derzeit wird weltweit von 463 Millionen Menschen mit einem Diabetes mellitus ausgegangen, wobei ein Anstieg der Anzahl der Diabetiker bis 2045 auf über 700 Millionen Menschen weltweit erwartet wird [1]. Der Anstieg der Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 ist hierbei eng an eine zunehmende Inzidenz der Adipositas und der Entwicklung eines metabolischen Syndroms geknüpft. Im Report der WHO von 2022 wird derzeit in Europa von nahezu 60 % der Erwachsenen und jedem dritten Kind mit einem Übergewicht ausgegangen [2]. Das Schicksal eines Menschen mit Übergewicht oder einem Diabetes mellitus wird dabei meist durch eine erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität geprägt. So weisen Patienten mit einem Diabetes mellitus eine Verdopplung der Gesamtmortalität und eine Verdreifachung der kardiovaskulären Mortalität im Vergleich zu einer nicht-diabetischen Kontrollpopulation auf [3], [4]. Bei einem 60-jährigen Patienten mit der Erstdiagnose der Erkrankung verkürzt sich die Lebenserwartung um ca. 6 Jahre, und darüber hinaus um weitere 6 Jahre, wenn sich bereits ein kardiovaskuläres Ereignis (Herzinfarkt oder Schlaganfall) in der Vergangenheit ereignet hatte [5]. Kardiale Komplikationen bei Patienten mit einem Diabetes mellitus können sich hierbei im Rahmen einer koronaren Herzkrankheit, einer autonomen Neuropathie oder einer Herzinsuffizienz manifestieren. Atherosklerotisch bedingte Komplikationen wie Myokardinfarkte oder ischämische Schlaganfälle werden dabei als häufigste Todesursachen bei Patienten mit einem Diabetes mellitus verzeichnet. Neben der Glukosestoffwechselstörung sind hierbei Begleiterkrankungen wie eine Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Adipositas, sowie Nikotinkonsum und ein ungesunder Lebensstil als kausale Ursachen zu berücksichtigen. Während aufgrund einer verbesserten Therapie insbesondere dieser Begleiterkrankungen, atherosklerotisch bedingte kardial- und zerebral ischämische Ereignisse in den letzten Jahren in ihrer Häufigkeit zurückgedrängt werden konnten, nehmen die periphere AVK, die Herzinsuffizienz und maligne Tumorerkrankungen in ihrer Bedeutung für die Prognose der Patienten mit einem Diabetes mellitus zu [6], [7].

Die Therapie des Diabetes mellitus war in der Vergangenheit weitgehend auf eine Verbesserung Glukosekontrolle ausgerichtet. In der DCCT-Studie und der UKPDS-Studie konnte die Bedeutung einer optimierten Blutzuckereinstellung für Patienten mit einem Typ 1- und einem Typ 2 Diabetes mellitus im Hinblick auf eine Prophylaxe mikrovaskulärer Ereignisse nachgewiesen werden [8], [9]. Die Bedeutung einer optimierten Blutzuckereinstellung für das Risiko makrovaskulärer Komplikationen wie Myokardinfarkte oder Schlaganfälle ist jedoch bisher nicht eindeutig geklärt und Gegenstand intensiver Diskussionen. Im Hinblick auf die Entwicklung makrovaskulärer Komplikationen erscheint die Kontrolle begleitender Risikofaktoren wie der arteriellen Hypertonie oder einer Fettstoffwechselstörung eine größere Bedeutung als der Glukosekontrolle zuzukommen.

In den vergangenen 3 Jahrzehnten hat sich das Spektrum der pharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere bei Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2, maßgeblich erweitert. So konnte in der 2005 publizierten PROAKTIV-Studie eine signifikante Risikoreduktion auf einen kombinierten MACE-Endpunkt aus kardiovaskulärer Mortalität, nicht-tödlichem Herzinfarkt oder nicht tödlichem Schlaganfall mit dem PPAR-gamma-Aktivator Pioglitazon belegt werden [10]. Aufgrund heftiger und kontroverser Diskussionen um die Sicherheit einer Therapie mit PPAR-gamma-Agonisten ist deren Einsatz bei Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 jedoch limitiert. Auf Forderung der amerikanischen Zulassungsbehörden müssen seit 2008 Sicherheitsstudien für neue Substanzen zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 vorgelegt werden. Diese Forderung hat zu einer Vielzahl von kardiovaskulären Endpunktstudien für DPP-IV-Inhibitoren, GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT-2-Hemmern geführt. Während für die DPP-IV-Inhibitoren die Sicherheit in der Therapie für Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 belegt werden konnte, wurden für GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT-2-Hemmer in vielen Studien über die Blutzuckereinstellung hinausgehende, kardio-renal protektive Effekte belegt. Weitere neue Entwicklungen in der Behandlung von Lipidstoffwechselstörungen, der Herz- oder Niereninsuffizienz, sowie antiinflammatorische und antifibrotische Therapieansätze versprechen eine zusätzliche Verbesserung in der Prognose diabetischer und nicht-diabetischer Patienten mit kardio-renalen Begleiterkrankungen. Bei aller Euphorie über diese neuen Therapiemöglichkeiten für Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2, wächst hiermit die Herausforderung, einem individuellen Patienten eine sinnvolle, maßgeschneiderte und multifaktoriell ausgerichtete Therapie zukommen zu lassen. Mit diesem Schwerpunktheft „Diabetes und Herz“ möchten wir eine aktuelle Übersicht über kardiovaskuläre Herausforderungen und darauf ausgerichtete neue Therapieoptionen bei Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 geben.



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Article published online:
19 August 2022

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