intensiv 2022; 30(06): 288-289
DOI: 10.1055/a-1925-3948
Kolumne

Nur schlechte Nachrichten

Heidi Günther
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Quelle: Friedrich Günther

Ja, früher war alles anders. Ob es besser als jetzt war, wäre zu überdenken. Zumindest gab es in den Sommermonaten die sogenannte „Saure-Gurken-Zeit“. Eine Zeit, die laut Wikipedia die Zeit im Jahr ist, in der es an politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ereignissen mangelt, die es wert gewesen wären, in den einschlägigen Nachrichtensendungen oder in der Presse besprochen zu werden.

Ursprünglich geht der Ausdruck „Saure-Gurken-Zeit“ von einer Zeit des Verzichts und Leidens aus, in der die Menschen in Ermangelung frischen Obstes und Gemüses auf die eingelegten sauren Gurken zurückgreifen mussten, und war eigentlich mehr in den Wintermonaten angesiedelt. Aber im Zeitalter der Einfuhr von Südfrüchten, Erdbeeren an Weihnachten und ganzjährigem Babyspinat ist es geradezu Banane, wann im Jahr diese Zeit verortet wird. Jedenfalls trieb die oben genannte Zeit in der einschlägigen Berichterstattung die verrücktesten Blüten. Am bekanntesten sind wohl das Ungeheuer von Loch Ness, der bayerische Problembär Bruno oder der dänische Puma Big Cats. Rührend auch die Geschichte um die Kuh Lotti, die auf dem Weg zum Schlachter heldenhaft geflohen ist. All diese Geschichten nur, weil in den Sommermonaten scheinbar nichts passiert. Alle Menschen scheinen in den Urlaubsmodus umgeschaltet zu haben.

Ganz anders in diesem Jahr! Es wollte sich einfach kein Sommerloch auftun. Als wären die 29 Kriege, die derzeit auf dieser Welt toben – unter anderem der in der Ukraine – und ihre Folgen nicht schon schlimm genug und völlig ausreichend für schlimme aktuelle Berichterstattung. Gute Nachrichten scheinen rar geworden zu sein, denn in diesem Jahr kommt es zusätzlich zu den ganzen Hitzewellen für uns alle ganz dicke. Da hätten wir die Inflation von aktuell 7,6 Prozent (Stand Juli 2022) – die sich im Supermarkt allerdings anfühlt wie mindestens 20 Prozent. Ich will mich ja nicht beklagen. Habe ich doch nur für mich und meinen Hund Theo zu sorgen. Ich frage mich aber schon, wie junge, normal verdienende Familien auf Dauer diese Preissteigerungen stemmen können. Und dabei selbstverständlich sich und ihre Kinder gesund, ausgewogen und biologisch einwandfrei und fair beköstigen. Ich kann mich gut an die Zeiten erinnern, in denen mein Sohn sehr heranwachsend und ständig sehr hungrig war. Da brauchte ich mit einem kleinen Biosalat zum Abendbrot nicht aus der Küche zu kommen. Es musste schon täglich aufgekocht werden. Aber immerhin machen der Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket den Heimtransport der überteuerten Lebensmittel wieder wett – zumindest noch bis zum Monat August.

So, und dann ist ja das Thema Corona noch lange nicht Vergangenheit. Gerade heute, während ich diese Kolumne schreibe – ein sonniger Mittwoch Anfang August –, wurde in den Nachrichten wieder über irgendwelche fälligen Verordnungen, Maßnahmen, erneutes Impfen oder auch nicht, Maske ja oder nein und wenn ja, wo jetzt genau, berichtet und mitgeteilt, dass irgendwann auch Entscheidungen zu fällen wären. Dumm nur, dass Herr Lauterbach (SPD) und Herr Buschmann (FDP) völlig unterschiedlicher Meinung sind. Der eine denkt an die Gesundheit, der andere an die Freiheit aller und wahrscheinlich an die desaströsen Umfrageergebnisse. Schwierig finde ich als „Normalbürgerin“, dass alle Protagonisten in einer Regierung zu finden sind. Wir können alle sehr gespannt sein. Aber das Parlament hat ja derzeit Urlaub, und ich kann nur für unsere gestressten Politiker hoffen, dass sie eine gute Zeit haben und nicht noch immer auf ihre Koffer warten und etwa von den Streikmaßnahmen der Flughafenmitarbeiter belästigt wurden. Was aber wirklich eingetreten ist, wie ich es schon zu Beginn der Pandemie prognostiziert habe, ist, dass die Diskussionen um und über die Pflege verpufft sind. Scheinbar ist in den politischen Köpfen nichts hängen geblieben. Auch eine Form der verlässlichen Beständigkeit.

Wenn dann Corona im Herbst und Winter wieder richtig zuschlägt, können wir alle froh sein, wenn wir es dann wenigstens etwas warm in den Wohnungen haben. In diesem Fall macht mir die Berichterstattung wirklich ein bisschen Sorge. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es sein soll, wenn Heizungs- und Energiekosten um mehrere 100 Prozent steigen und am Ende gar knapp werden. So knapp wie Holz, Getreide, Wasser, bestimmte Medikamente, Autoersatzteile, Facharbeiter – besonders Handwerker – und was noch alles gerade so fehlt. Wenn das so weitergeht, müssen wir alle – nachdem wir sehr kurz, bestenfalls kalt und im Dunkeln geduscht haben – die Gürtel aber sehr viel enger schnallen. Vorausgesetzt, es gibt dann noch Gürtel!

Aber auch ich habe ob der vielen Teuerungen Konsequenzen für mein Leben gezogen. Schon lange bin ich nicht mehr bereit, die hohe Miete und die uferlosen Lebenshaltungskosten in München zu tragen. Lange habe ich nach einer Lösung gesucht und nun endlich eine gefunden. Seit September lebe ich in einem kleinen Ort am Bodensee. Sicherlich ein bisschen ländlich und sicherlich ist es eine große Herausforderung. Aber was nützt mir die schickste Großstadt, wenn ich sie mir nicht leisten kann und ehrlich gesagt auch nicht mehr leisten will. Die Lebensqualität wird nun eine andere, hoffentlich auch bessere werden. Und das wiederum wäre ja dann, wenn auch nur für mich, eine gute Nachricht!

In diesem Sinne Ihre

Heidi Günther

guenther-heidi@web.de



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Article published online:
07 November 2022

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