Z Sex Forsch 2023; 36(01): 52-53
DOI: 10.1055/a-1999-9274
Buchbesprechungen

Girls Negotiating Porn in South Africa. Power, Play and Sexuality

Zoom Image
Deevia Bhana. Girls Negotiating Porn in South Africa. Power, Play and Sexuality. Oxon, UK, New York, NY: Routledge 2023 (Reihe: Routledge Studies on Gender and Sexuality in Africa). 206 Seiten, GBP 130,00

Nur wenige sexuelle Variablen zeigen einen so großen Gender Gap wie der Umgang mit Pornografie im Jugendalter. Während ein Großteil der Jungen sich intensiv mit Online-Pornografie befasst, sie regelmäßig zur Masturbation einsetzt und unter Peers zuweilen mit Porno-Wissen prahlt, stellen Mädchen üblicherweise kollektives Desinteresse bis Abscheu zur Schau. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Denn auch jugendliche Mädchen nutzen sexuell explizite Medieninhalte, sind neugierig auf Sex und fasziniert von medialen Sexdarstellungen. Nur greifen sie neben oder statt den Mainstream-Plattformen für Videopornografie teilweise auf andere sexuelle Online-Medien zurück als Jungen, etwa auf X-Art-Videos, Erotik-Romane, explizite Mangas und Comics sowie selbstgeschriebene sexuelle Fan Fiction. Und natürlich haben Mädchen gelernt, sexuelles Interesse und Begehren tunlichst herunterzuspielen, denn Geilheit ist nach gängigen Geschlechtsrollenerwartungen halt einfach nicht mädchenhaft und auch nicht ladylike. Keine will schließlich als „Schlampe“ oder „Hoe“ dastehen. Und so entsteht das in der sexualpädagogischen Praxis allzu bekannte Schweigen der jugendlichen Mädchen, wenn es um sexuelle Medien, Fantasien, selbstbestimmte Lust und Selbstbefriedigung geht.

Deevia Bhana will dieses Schweigen durchbrechen. Im Rahmen einer qualitativen Studie basierend auf Einzelinterviews und Fokusgruppen-Diskussionen unter insgesamt 30 Teenagerinnen (14 bis 17 Jahre) aus südafrikanischen Gymnasien hat sie den Umgang der Mädchen mit Online-Pornografien herausgearbeitet. Als Professorin an der Universität von Kwazulu-Natal in Südafrika tätig, gehört Deevia Bhana zu den international einflussreichen Sexualforscher*innen mit Fokus auf Sexualität im Kindes- und Jugendalter (https://soe.ukzn.ac.za/staff-profile/sarchi-chair/deevia-bhana/).

Zum Einstieg lässt Bhana in ihrem Buch die 17-jährige Nqobile zu Wort kommen. Diese erinnert sich daran, wie sie erstmals mit acht Jahren sexuelle Szenen im Fernsehen zu Gesicht bekam und wie interessant und aufregend das war. Wenn sie an ihre Zukunft denkt, wünscht sie sich eine gleichberechtigte Partnerschaft mit ihrem zukünftigen Mann. Aber sie träumt auch von den braungebrannten, durchtrainierten Darstellern aus den Pornos, die sich so dominant gebärden. Nqobile beschreibt eine für sie schillernde „Untergrund-Welt“ sexueller Online-Inhalte, die sie nur heimlich betritt, deren Verlockungen sie erkundet, wobei sie Unpassendes verlacht und verwirft.

Nqobile steht für viele jugendliche Mädchen in Südafrika und anderswo. Ihre lustvoll-neugierige sexuelle Vorstellungswelt ist weit entfernt von patriarchalen Normen mädchenhafter Unschuld. Und auch weit entfernt von den allgegenwärtigen repressiven Gefahren-Diskursen, die Sexualität für Mädchen immer nur als etwas Bedrohliches, Riskantes, Gewaltförmiges sehen, von dem sich Teenagerinnen fernhalten müssen, damit es nicht in einer Katastrophe endet. Zwischen Abstinenz-Erwartungen und Gefahren-Warnungen navigieren Mädchen wie Nqobile in ihrem jeweils eigenen geheimen sexuellen „Untergrund“. Die sexuellen Erkundungen der Mädchen bewegen sich dabei im Spannungsfeld zwischen Power und Play, wie der Buchtitel es beschreibt. Denn natürlich sind die digitalen Welten und Pornografien nicht frei von Machtasymmetrien, Sexismus und Rassismus. Aber darin erschöpfen sie sich nicht. Sie lassen Raum für Spiel, Abenteuer, Wagemut, Staunen und Lachen. Es ist die Mission des Buches, diese lustvollen Spielräume der Mädchen auszuleuchten, ohne die Probleme auszublenden.

Das Buch ist in neun Kapitel gegliedert. Nach der Einführung (Kapitel 1) geht es um den öffentlichen Pornografie-Diskurs in Südafrika, der noch viel stärker und einseitiger als in Mitteleuropa von Gefahren-Warnungen und technischen Kontroll-Bestrebungen geprägt ist. Hier spricht sich die Autorin dafür aus, die Handlungsfähigkeit der Jugendlichen zu stärken, sodass sie bei Interesse souverän mit dem Material umgehen können (Kapitel 2). Kapitel 3 ist der Forschungsmethodik gewidmet und geht auf die Forschungsethik, die Rekrutierung samt Widerständen an den Schulen, die Stichprobenzusammensetzung, die Interview-Leitfäden und die Auswertungsmethodik ein. Besonders interessant ist dabei auch die Integration visueller Methoden: Die Autorin ließ die Studienteilnehmerinnen zusätzlich zu den Fokusgruppen-Diskussionen Poster erstellen, etwa zu der Frage, was sie bislang auf welchem Wege über Sex gelernt haben. Die visuelle Ebene der Zeichnungen eröffnet dabei zusätzliche Einblicke in die Perspektiven der Studienteilnehmerinnen, zeigt beispielsweise, wie detailliert sie Genitalien darstellen und wie humorvoll sie sich dem Thema teilweise nähern.

Kapitel 4 beschreibt die Pornografie-Kompetenz der Mädchen, die mit Spaß und Entdeckerinnengeist erregende Online-Inhalte suchen und finden. Kapitel 5 stellt dar, wie sich Mädchen zu problematischen Porno-Inhalten wie übertriebenen Körperbildern, seltenen und normverletzenden sexuellen Praktiken oder fehlender emotionaler Intimität positionieren. In Kapitel 6 geht es um die Sichtweisen der Mädchen zu Geschlechterfragen rund um Pornografie, in Kapitel 7 um Queerness und in Kapitel 8 um Rassismus im Porno. Die Ausführungen belegen, dass die befragten Mädchen den Porno-Inhalten nicht automatisch hilflos „geschockt“ oder gar „traumatisiert“ gegenüberstehen, sondern durchaus kritisch Position beziehen können. Und zwar auch gegenüber den patriarchalen Erwartungen, sie müssten auf explizite Sexinhalte immer erschrocken reagieren, denn schließlich seien explizite Sexdarstellungen ja Männersache. Die befragten Mädchen sehen das offenbar anders.

Das Buch endet in Kapitel 9 mit dem Aufruf, in der Sexualforschung und Sexualpädagogik die Alltagsrealitäten von Mädchen stärker zu beachten und somit auch ihre erfolgreiche Lustsuche im sexuellen „Online-Untergrund“ zu berücksichtigen. Das englischsprachige Buch ist gut lesbar geschrieben, liefert eine ausgewogene Mischung aus Theorie und Empirie und füllt mit seinem Fokus auf agentische (d. h. selbstbestimmt-aktive) Sexualitäten von Mädchen eine Forschungslücke. Natürlich können die Befunde einer qualitativen Studie mit 30 Gymnasiastinnen aus Südafrika nicht generalisiert werden, aber sie setzen einen notwendigen Kontrapunkt zur andauernden Verleugnung der sexuellen Lüste von jugendlichen Mädchen.

Nicola Döring (Ilmenau)



Publication History

Article published online:
14 March 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany