Aktuelle Dermatologie 2023; 49(03): 84-86
DOI: 10.1055/a-2007-9229
Editorial

Die Schwarze Salbe [sS] als alternativmedizinisches Präparat in der Dermatologie/Onkologie

Schwarze Salbe [sS] as an alternative medical preparation in dermatology/oncology
1   Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin
2   Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin
› Author Affiliations

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, Liebe Patientinnen und Patienten, Leserinnen und Leser der aktuellen Ausgabe der Aktuellen Dermatologie,


alternative Heilmethoden erfreuen sich bereits seit geraumer Zeit einiger Beliebtheit. Doch nicht zuletzt auch durch die SARS-CoV-2-Pandemie erleben diese Methoden in letzter Zeit einen regelrechten Boom. So werden im Falle von SARS-CoV-2 verschiedene Produkte als Heil- und Arzneimittel angepriesen [1]. Mit der Absicht einer bewussten Abgrenzung zu den klassischen Präparaten werden diese sog. Alternativen oft mit einer „sanften Wirkung und Heilung“ beworben und vertrieben. Für Patienten, aber auch für die Gesellschaft im Allgemeinen entstehen dadurch allerdings relevante Gefahren, nicht zuletzt auch ein Vertrauensverlust in das wissenschaftsbasierte Gesundheitssystem und die Ärzteschaft [2].

Gerade innerhalb der Onkologie finden sich viele verschiedene alternativmedizinische Methoden [3]. Die Nachfrage nach diesen Methoden mag durchaus auch mit der Finalität der Diagnose Krebs und ihrer als existenziell wahrgenommenen Bedeutung zusammenhängen.

Gerade in Ländern des globalen Westens, in denen aufgrund der medizinischen Infrastruktur Infektionskrankheiten nicht mehr dieselbe Relevanz besitzen wie in Ländern des globalen Südens, spielt Krebs als eine der relevantesten Todesursachen eine wichtige Rolle in den Gesundheitssystemen und in der allgemeinen Wahrnehmung. Insgesamt stellt Krebs die höchste klinische, soziale und wirtschaftliche Belastung in Form von cause-specific Disability-Adjusted Life Years (DALYs) unter allen Krankheiten dar. Insgesamt liegt das Gesamtrisiko an Krebs zu erkranken bei den 0–74-Jährigen bei 20,2% (22,4% bei Männern, 18,2% bei Frauen). Zu den häufigsten Krebsarten zählen Lungen-, Brust- und Prostatakrebs. Nach ischämischen Herzkrankheiten stellt Krebs die zweithäufigste Todesursache (~8,97 Millionen Todesfälle jährlich) [4]. Bis zum Jahr 2060 wird Krebs die Herzkrankheiten allerdings wahrscheinlich vom ersten Platz verdrängen. Wissenschaftler und Ärzte rechnen dann mit bis zu 18,63 Millionen Todesfällen jährlich [5].

Auch und gerade die psychologischen Faktoren einer Krebserkrankung sollten nicht außer Acht gelassen werden. Viele Patienten erkranken nach ihrer Krebsdiagnose zusätzlich an Depressionen und nicht wenige verlieren ihren Lebensmut und Lebenswillen [6] [7]. Es ist somit nicht überraschend, dass sich Produzenten und Vertriebler von alternativmedizinischen Methoden und Präparaten diese Sorge der Patienten zu Nutze machen. Die angebotenen Methoden und Präparate sind dabei so divers wie umfassend. Neben den klassischen und weitverbreiteten Methoden wie der Homöopathie [8] oder der traditionellen Chinesischen Medizin [9] gibt es auch exotischere und weniger bekannte Methoden. Zu diesen gehören z.B. die Nutzung verschiedener Kräuter und Heilpflanzen [10] [11], Ayurveda [12] oder Qigong [13]. Die Evidenz und Wirksamkeit dieser Mittel und Methoden sind zumeist mindestens fragwürdig. Teilweise geht von ihnen sogar eine stark zusätzliche schädigende Wirkung für die Patienten aus.

Als Anwendungen mit besonders hohem Schadenspotenzial gelten sog. Anti-Krebssalben (engl. Cancer Salves oder Escharotics), die von Alternativmedizinern und Esoterikern vertrieben werden [14] [15]. Da einigen Salben Aktivkohle beigemischt wird, werden sie auch als Schwarze Salben (kurz sS) bezeichnet. Primär sollen diese Salben der Behandlung von Hautkrebs dienen, allerdings werden sie auch bei der Behandlung von anderen Krebsarten (Brustkrebs, Eierstockkrebs) angepriesen [15].

Bei der Behandlung wird die Salbe direkt auf den Tumor aufgetragen. Dieser soll dann von der Salbe aus dem Körper geätzt oder gezogen werden. Diese Vorstellung von einem Wirkungsmechanismus veranlasst die Hersteller zur Verwendung stark ätzender Rezepturen mit hautschädigenden Inhaltstoffen. Zu den wichtigsten zählen Zinkchlorid (ZnCl2), eine stark ätzende kristalline Verbindung von Zink (Zn2+) und Chlor (Cl) [16], verschiedene Pflanzen wie z.B. die kanadische Blutwurz (Sanguinaria canadensis), deren Saft aufgetragen auf die Haut zu Gewebeschäden führen kann [17], und Dimethylsulfoxid (DMSO), das in der Pharmazie als perkutanes Arzneimittel zum Einsatz kommt [18]. Allerdings unterschieden sich verschiedene Salben auch in ihrer Rezeptur. So ist Aktivkohle, die die charakteristische schwarze Farbe hervorbringt, nicht in allen Salben zu finden.

Den stark schädigenden Inhaltsstoffen der Salben korrespondieren erhebliche Risiken bei der Anwendung. Zum einen die rein organisch-medizinischen Risiken, zu denen Hautverätzungen und Verstümmelungen zählen [14] [19]. Zum anderen die psychologischen Risiken, die z.B. sekundär aus den Verstümmelungen resultieren. Gerade wenn diese das Gesicht betreffen, kann die psychische Belastung für die Patienten sehr stark sein [15]. Der Krebs selbst wird von der Salbe nicht angegriffen, da dieser zu tief sitzt. Während die Schwarze Salbe die oberen Hautschichten angreift, wächst der Krebs in tieferen Haut- und Gewebeschichten weiter [19]. Eine Metastasenbildung, die gerade bei Hautkrebs häufig vorkommt, wird demgemäß von der Salbe nicht verhindert [20]. Anti-Krebssalben führen ersichtlich das Marketing-„Argument“ ad absurdum, „alternative“ Mittel und Methoden seien im Gegensatz zur „konventionellen Medizin“ sanft und nebenwirkungsarm.

Onkologen und behandelnde Ärzte sollten alternativmedizinische Methoden wie diese kennen und zu angemessener Beratung, ggf. Invention, von Patienten in schwierigen Situationen jederzeit in der Lage sein. Erfahrungsgemäß ist ein großer Teil der Krebspatienten – latent und manifest – „alternativen“ Methoden zumindest als Begleittherapie zugeneigt. Es bedarf hier der Herstellung eines positiven Arzt-Patienten-Verhältnisses und einer vertrauenserweckenden Beratung, um die Patienten zu bewegen, offenzulegen, ob und welche Begleitmedikationen sie verwenden, um Gefahren (wie bei sS) und unnötiges Leiden abwenden zu können. Zudem ist der mögliche Einfluss einer Anwendung „alternativer“ Methoden neben einer wissenschaftsbasierten Behandlung auf die Therapieadhärenz der Patienten nicht zu vernachlässigen. In einer Studie der Yale-Universität, die relevante Compliance-Beeinträchtigungen mit der komplementären Nutzung „alternativer“ Begleittherapien korrelieren konnte, empfehlen die Autoren, Patienten stets auf die Risiken solcher Mittel und Methoden hinzuweisen [21].


Für diese Veröffentlichung wurden keine Untersuchungen an Menschen oder Tieren vorgenommen. Für die zitierten Arbeiten gelten die dort beschriebenen ethischen Richtlinien.



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Article published online:
14 March 2023

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