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DOI: 10.1055/a-2020-5631
Nachruf auf Prof. Dr. Hans Lauter*11.05.1928, † 22.11.2022

Hans Lauter begriff die Bedeutung der Demenz in einer Zeit, als Alterskrankheiten noch nicht als zentrales Thema der Medizin und als gesellschaftliche Herausforderung verstanden wurden. Die Forschungstradition war abgerissen und daran galt es in der Bundesrepublik erst wieder anzuknüpfen. Lauter betonte das Kontinuum zwischen den Früh- und Spätformen der Alzheimer-Krankheit [1], durchdachte und strukturierte das Feld der organisch bedingten psychischen Störungen neu [z. B. 2], holte sie damit aus einer Nische für Spezialisten und rückte sie in das Bewusstsein von Öffentlichkeit und Politik. Lauter sah, dass das Wissen zur Demenz in der medizinischen Fachwelt damals wenig verbreitet war und dass es allgemein am Verständnis für die Betroffenen und ihre Angehörigen fehlte. Eine seiner Antworten darauf war 1985 die Einrichtung der ersten Gedächtnis-Sprechstunde auf dem Europäischen Kontinent am Klinikum rechts der Isar. Diese „Memory Clinic“ wurde zu einem vorbildhaften Zentrum für die Diagnose und Behandlung altersassoziierter kognitiver Störungen und zum Modell für viele andere (sowie zu einem Sprungbrett für wissenschaftliche Karrieren im In- und Ausland).
Zur Biographie: geboren in Düsseldorf verbrachte Hans Lauter Kindheit und Jugend in München und Berlin. Er studierte Medizin in Zürich, Frankfurt/M. und München, wo er auch seine Weiterbildung in der Psychiatrie begann. Ab 1964 war er Oberarzt bei Joachim Ernst Meyer in Göttingen, wo er auch habilitiert wurde. Von 1972 bis 1978 leitete Hans Lauter das Allgemeine Krankenhaus Ochsenzoll ehe er den Ruf auf den Lehrstuhl für Psychiatrie an der Technischen Universität München annahm. Nach seiner Emeritierung im Jahr 1996 arbeitete er bis ins hohe Alter in privater Praxis.
Lauter war ein Verfechter innovativer Therapieverfahren und verteidigte die Rechte der scheinbar hoffnungslos Kranken; das galt auch für den Einsatz einer konsequenten Lithiumprophylaxe bei bipolarer Erkrankung und der Elektrokrampftherapie bei schweren Psychosen, gerade in einer Ära, die ideologisch noch zwischen Insulinkoma und therapeutischem Nihilismus hin und her taumelte. Er hatte früh erkannt, dass es gerade die Fortschritte in der Behandlung erforderlich machten, Hilfsmaßnahmen mit rehabilitativer Zielsetzung in der Gemeinde einzurichten, auf diese Weise der „Drehtürpsychiatrie“ vorzubeugen, den Bedürfnissen der Patienten Rechnung zu tragen und die überkommene Barriere zwischen stationärer und ambulanter Behandlung zu überwinden [3]. Als eine Lösung dafür schlug er die Struktur der Tagesklinik nicht nur vor, sondern rief selbst zwei dieser Einrichtungen ins Leben, insbesondere für ältere Menschen, die erste 1976 in Hamburg, die zweite wenige Jahre später in München. Lauter gründete 1980 den Verein Ariadne für Alterskranke und psychisch kranke Menschen, später kamen therapeutische Wohngemeinschaften für Menschen mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis und dann auch mit Demenzerkrankungen hinzu. Lauter förderte die Kunsttherapie im stationären und ambulanten Bereich und initiierte das inklusive Theaterprojekt „apropos“.


Um mehr darüber zu erfahren, wie sich eine Demenz im Alltag auswirkt, welche Bürde sie für alle Beteiligten darstellt, aber auch welche Möglichkeiten es für die Bewältigung der durch sie hervorgerufenen Schwierigkeiten gibt, führte Lauter regelmäßige Angehörigengruppen ein. Dort stellte sich bald heraus, dass die versorgenden Angehörigen zu wenig über die einer Demenz zu Grunde liegenden Krankheiten, die verfügbaren Hilfen und Behandlungsmöglichkeiten sowie die geeigneten Formen des Umgangs mit den Betroffenen wussten. Klar wurde aber auch, dass sie zur Vertretung ihrer Interessen einer starken Stimme bedurften. Das war der Anlass für Hans Lauter, 1986 die Alzheimer Gesellschaft München als erste Demenz-Selbsthilfe-Organisation in Deutschland ins Leben zu rufen. Durch seine Initiative schlossen sich die danach entstandenen lokalen Gruppen 1989 zur Deutschen Alzheimer Gesellschaft zusammen. Das war der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Heute zählt die Organisation mehr als 130 Mitgliedsgesellschaften und macht ihren Einfluss bei allen politischen Entscheidungen zum Thema Demenz geltend, unter anderem bei der Gestaltung der nationalen Demenz-Strategie.
In seinen späteren Jahren hat sich Hans Lauter vor allem zum Fürsprecher von Menschen gemacht, die aufgrund ihres Alters oder Gesundheitszustandes ihre Interessen nicht mehr vertreten können. Er wandte sich früh und entschieden gegen jede Form der wohlwollenden Sterbehilfe [4], befürwortete aber bei geeigneten ethischen Voraussetzungen die Beteiligung von Menschen mit eingeschränkter Einwilligungsfähigkeit an Forschungsvorhaben, erörterte die Gültigkeit von Patientenverfügungen in Bezug auf die Unterlassung von lebenserhaltenden Maßnahmen und stellte das Dilemma dar, in das Ärzte geraten, wenn sie von Menschen mit Demenz um Beistand zur Selbsttötung gebeten werden [5].
Hans Lauter stand fest auf dem Boden einer christlichen Ethik und sein Blick für versteckte Gefahren war von Jugend an durch seine eigenen Erfahrungen im Nationalsozialismus geschärft. Er demonstrierte seine eigenen moralischen Ansprüche glaubhaft und mit wohlwollender Autorität in und außerhalb der Klinik und wirkte damit als Vorbild für alle, die ihn kannten. Hans Lauter war seit 2006 Ehrenmitglied der DGGPP. Die sehr lesenswerte Laudatio zur Verleihung der Ehrenmitgliedschaft findet sich hier: https://dggpp.de/docs/ehrenmitglieder/Laudatio_Lauter_Ehrenmitgliedschaft.pdf
* Am 29.1.2023 verstarb Prof. Dr. Alexander Kurz nach kurzer schwerer Krankheit.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
14. März 2023
© 2023. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Lauter H. Über Spätformen der Alzheimerschen Krankheit und ihre Beziehung zur senilen Demenz. Psychiat Clin 1970; 3: 169-189
- 2 Lauter H. Die organischen Psychosyndrome. In: Kisker KP, Lauter H et al. (Hg.) Psychiatrie der Gegenwart Bd. 6. Heidelberg: Springer; : 3-56
- 3 Lauter H. Psychiatrische Rehabilitation. Neue organisatorische Möglichkeiten. Münch Med Wschr 1964; 6: 1009-1015
- 4 Lauter H, Meyer JE. Mercy killing without consent. Historical comments on a controversial issue. Acta Psychiatr Scand 1982; 65: 134-141
- 5 Lauter H. Ärztliche Suizidassistenz bei Demenzerkrankungen?. Der Nervenarzt 2011; 82: 50-56