Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2023; 30(02): 92-96
DOI: 10.1055/a-2030-9397
Gesellschaft
BExMed

Deutsche Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin e. V.

Raimund Lechner

Liebe Mitglieder und Interessierte der BExMed,

am 14. Februar 1908 wurde der erste Skilift der Welt in Schollach im Schwarzwald durch Robert Winterhalder eröffnet. Der automatische Aufstieg war sicherlich einer der Hauptmotoren zur Entwicklung des alpinen Skifahrens, so wie wir es heute kennen. Der Aufstieg mit eigener Muskelkraft, vor dieser Ära noch alternativlos, war nun zunehmend nur noch aus beruflichen Gründen notwendig. Oder als bewusste Entscheidung für ein Naturerlebnis. Die große Mehrheit der Skisportler setzte aber auf den technischen Fortschritt.

115 Jahre später boomt das Skifahren und es sind dank motorisierter Aufstiegshilfen auch für nahezu jeden Abfahrten außerhalb des gesicherten Skiraums möglich. Der Zeitraum vom 03.–05.02.2023 war durch zahlreiche Lawinenabgänge im Alpenraum geprägt, mit wohl 11 Todesopfern und einer nicht bezifferbaren Anzahl von Verletzten und weiteren Betroffenen. Überwiegend waren Skifahrer, die außerhalb des gesicherten Skiraums abfuhren, betroffen. Klaus Hoi wählte für solche Hochphasen der Lawinenaktivität die Bezeichnung „Lawinenzeit“. Fakt ist, dass die Lawinenwarndienste alpenweit die Gefährlichkeit des heiklen Schneedeckenaufbaus prognostiziert hatten.

Es ist davon auszugehen, dass sich niemand absichtlich von einer Lawine erfassen lässt. Wo genau liegt also der Schwachpunkt bei der Übertragung der richtig prognostizierten Gefahrenlage und dem tatsächlichen Verhalten im Gelände? Tatsache ist, dass es noch nie so leicht war, aktuelle Wetter-, Verhältnis- und Lawinenprognosen einzuholen wie heutzutage. Ausbildungsangebote gibt es eine Vielzahl. Die Sicherheitsausrüstung ist auf einem technischen Höchststand.

Es wäre interessant zu wissen, ob sich die Opfer der Gefahrenlage bewusst waren, eine Einzelhanganalyse durchgeführt wurde und die Situation vor Ort schlicht falsch eingeschätzt wurde. In diesem Fall wäre eine Anpassung der Ausbildung ein Ansatzpunkt, um Lawinenereignisse mit Personenbeteiligung zu reduzieren. Wenn die Beteiligten sich jedoch der Gefahr überhaupt nicht bewusst waren, dann sind Ansatzpunkte schwieriger zu identifizieren. Man kann niemanden zu einer Ausbildung zwingen, man kann lediglich vor Gefahren warnen, an die Eigenverantwortung appellieren und anstoßen, sich mit der Natur auseinanderzusetzen. Ein anderer, auch öffentlich diskutierter Weg wäre es, das freie Bewegen außerhalb des gesicherten Skiraums ab einer Lawinenwarnstufe 4 gesetzlich zu reglementieren.

Oder ist es vielleicht ein typisches „first world problem“. Unser Leben ist so geregelt, so sicher, so planbar, dass eine zerstörerische Natur einfach keinen Raum in unserem Erleben und Denken hat und wir schlicht und einfach nicht (mehr) mit so etwas rechnen?

… und dann steht man an einem normalen Montagmorgen auf und erfährt von einem Erdbeben in der Grenzregion Türkei-Syrien mit einer Magnitude von 7,8. Eine Region, die in den letzten Jahren durch kriegerische Konflikte schon sehr strapaziert worden ist. Zum jetzigen Zeitpunkt wurden mehr als 50 000 Tote geborgen, mehr als 100 000 Verletzte sind registriert. Landstriche sind komplett zerstört, Landschaften durch Erdverwerfungen verändert. Prognosen bzgl. Zeitpunkt und Intensität von Erdbeben gibt es keine. Es gibt nur Prävention, sowohl bzgl. Infrastruktur als eben auch bei edukativen Maßnahmen. Wie unglaublich erfolgreich dies sein kann, sieht man an Japan, wo bei Erdbeben mit vergleichbarer Magnitude lediglich 2- bis 3-stellige Todesopferzahlen anfallen.

Und hier schließt sich der Kreis. Edukation, Technik und Verhaltensstrategien vermögen prinzipiell die Auswirkungen von Naturereignissen zu mindern. Im Angesicht der unbegreiflichen Zerstörung in Syrien und der Türkei ist es schwierig, eine Verhältnismäßigkeit zwischen den beiden beschriebenen Vorkommnissen zu wahren. Sie sind in ihrer Dimension schlicht nicht vergleichbar und sollen deshalb nicht hochstilisiert, respektive kleingeredet werden.

Dennoch oder gerade deswegen: Ausbildung ist wichtig. Die nächste Staffel BExMed goes online ist ausgeplant und alle Mitglieder der BExMed werden in bekannter Weise vorab per E-Mail informiert. Und auch der 2022 neu aufgelegte Sommer-Refresher wird 2023 wieder angeboten, dieses Mal am Kreuzeckhaus. Ein kurzer Erfahrungsbericht aus 2022 macht vielleicht Lust sich diesbezüglich weiterzubilden.

Es grüßt die gesamte Vorstandschaft!

Euer/Ihr

Raimund Lechner

TERMINE

BExMed-Veranstaltungen

Sommerkurs Expeditionsmedizin für Alpinärzte 2023

17.–24.06.2023 im Trentino

Refresher und Update: Notfallversorgung im Felsgelände 2023

13.–17.09.2023 auf dem Kreuzeckhaus

BExMed goes online

  • 07.06.2023, Dr. Eike Plazikowski, Die Reise-Rucksackapotheke 2.0: Bedarfs- und situationsgerechtes Packen für den Fall der Fälle

  • 14.06.2023, Dr. Christoph Tannhof, Der internistische Notfall Outdoor: Was wir wissen und was nicht

  • 21.06.23, Pauli Trenkwalder, Wege und Fallen bei der Entscheidungsfindung in alpinmedizinisch relevanten Notfallsituationen

Weitere Infos und Anmeldung: www.bexmed.de

Weitere Veranstaltungen

28. Internationale Bergrettungsärztetagung 2023, mit Diplomprüfungen

03./04.11.2023 in Innsbruck, https://www.bergrettungsaerztetagung.at

Trailrunning, Skibergsteigen, Bergwandern – sportmedizinische Weiterbildung

20.– 22.09.2023 im Pitztal, sporttraumatologie@sozialstiftung-bamberg.de



Publication History

Article published online:
13 April 2023

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