Int J Sports Med 2023; 27(02): 60-61
DOI: 10.1055/a-2055-1837
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Leserbrief zu: Luomajoki H. RESOLVE-Studie – Therapie bei chronischen Rückenschmerzen. MSK - Muskuloskelettale Physiotherapie 2023; 27: 37–43

Leserbrief zu: Luomajoki H. RESOLVE-Studie – Therapie bei chronischen Rückenschmerzen. MSK - Muskuloskelettale Physiotherapie 2023; 27: 37–43

Die RESOLVE-Studie [1] zeigt, dass ein „Graded Sensorimotor Retraining“ bei chronischen nicht spezifischen unteren Rückenschmerzen (cnsLBP) minimal besser wirkt im Vergleich zu passiven Scheintherapien. Doch was bringt die Studie an Neuem und an praktisch Anwendbarem?

Der Unterschied zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe war mit 10 mm auf einer 100 mm NRS-Skala für die Schmerzintensität gering. Diese 10 mm bezeichnen die Autor*innen als „Minimal Clinically Important Difference“. Die dafür zitierte Studie [2] nennt diese 10 mm jedoch für die VAS und nicht für die NRS, die das RESOLVE-Team nutzte. Für die NRS gibt die zweite zitierte Studie als „Minimal Important Change“ 20 mm an [3], wovon die RESOLVE-Studie folglich nur die Hälfte erreichte. Diese 10 mm Verbesserung zeigten sich in der ersten Messung nach 18 Wochen, nicht aber nach 26 und 52 Wochen. Wie klinisch bedeutend ist daher diese minimale Verbesserung trotz statistischer Signifikanz? Wie zufrieden die Patient*innen damit waren, berichtet die Studie leider nicht. Auch erfahren wir nicht, wie zufrieden die Patient*innen mit der laut Hannu Luomajoki „äußerst glaubwürdigen Placebo-Intervention“ waren. Wahrscheinlich informierten sich viele im Internet usw., wo jeder rasch erfährt, dass die angewandten passiven Therapien beim cnsLBP wenig helfen. Mich überrascht daher, dass dennoch viele Patient*innen der Kontrollgruppe eine 30%ige Verbesserung im Vergleich zum Ausgangswert erfuhren, was als „Clinically Meaningful Improvement“ gilt [3].

Doch, auch wenn dieses Ergebnis als relevant betrachtet wird: Was lehrt uns diese Studie, außer der Erkenntnis, dass geistige und körperliche Aktivität besser sind als Passivität? In den hierzulande üblichen sechs 20–30-minütigen Behandlungen mag es schwierig sein, ein Behandlungskonzept umzusetzen, das die 12 einstündigen Termine wie in der Studie umfasst (=24×30 Minuten bzw. 36×20 Minuten). Welche der angewandten Behandlungsmaßnahmen sollen wir daher auswählen? Was hat entscheidend gewirkt? War es die „Patient Education“ mit der Ermutigung, sich zu bewegen? Waren es die Wahrnehmungsübungen, das mentale Üben von Bewegungen oder das abgestufte Training vom Bewegungslernen bis hin zum Fitness- und Krafttraining? War die Behandlung in der klinischen Praxis entscheidend oder die Selbstbehandlung daheim?

Es ist verständlich, dass jede dieser aktiven Maßnahmen besser wirkt als eine passive Scheinbehandlung. Daher stimmt auch beispielsweise die Aussage von Hannu Luomajoki, dass Übungen zur motorischen Kontrolle „wirksam“ sind. Doch sie sind nicht wirksamer als andere Übungen [4] [5]. Schon seit langem ist bekannt, dass beim cnsLBP körperliche Aktivität die wohl wichtigste Behandlung darstellt, wobei die Art des Trainings egal zu sein scheint [6]. Kann ich folglich die Patient*innen nicht einfach progressiv „klassisch“ trainieren lassen, was leichter und kostengünstiger wäre als das RESOLVE-Programm?

Fazit

Die RESOLVE-Studie zeigt, dass geistige und körperliche Aktivitäten in ansteigender Dosierung mit vielfältigen Techniken in 12 einstündigen Behandlungen plus Heimprogramm beim nsLBP minimal besser wirken als passive Scheinbehandlungen. Doch sie zeigt nicht, welche der vielen Maßnahmen am effektivsten ist. Und sie zeigt nicht, dass das zeitlich aufwendige Programm besser ist als andere aktive Therapien. Leider bietet die Studie auch kein Denkmodell zur Entstehung und Aufrechterhaltung des cnsLBP, von dem aus wir Leser*innen überprüfbare Aspekte für eine Behandlung und für die Forschung ableiten könnten.

Die vielen Interventionen der Studie könnten sogar als Nocebo betrachtet werden, da sie den Patient*innen suggerieren, dass bei ihnen vieles nicht in Ordnung sei [7]. Mit einem einfachen Wiedererlernen der „normalen“ Bewegungen und einer einfachen Erklärung, wie es beispielsweise schon Max Zusman vorschlug [8], ließe sich das vermeiden. Doch vielleicht ist das zu einfach? Lehrt uns RESOLVE also nur: Viel hilft viel bzw. irgendetwas von dem vielen wird schon helfen? Oder welche „Message“ wollen die Herausgeber der Schmerzseiten uns Leser*innen mitteilen?

Mit kollegialen Grüßen

Jochen Schomacher, PHD



Publication History

Article published online:
22 May 2023

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