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DOI: 10.1055/a-2082-4173
Kommentar zu Nierenzysten: Aktualisierte Bosniak-Klassifikation vermeidet Überdiagnosen

Couture et al. nehmen in ihrer Arbeit die Bosniak-Klassifikation von Nierenzysten in ihrer Version von 2019 und vor allem die Ableitungen für die klinische Praxis genau in Augenschein.
Die hochpublizierte Arbeit widmet sich 2 Themenkomplexen:
Erstens, der Änderung in der Einordnung von Bosniak-IIF-Zysten, welche sich aus der Novellierung der Klassifikation im Jahr 2019 ergibt.
Zweitens präsentieren die Autoren Verlaufsdaten von, nach der Klassifikationsversion von 2005, als Bosniak IIF eingestuften Zysten. Hier interessieren vor allem Progressionsraten zu Bosniak-III-Zysten und damit potenziell operativ therapiebedürftigen Befunden sowie die Ergebnisse histopathologischer Untersuchungen von im Verlauf chirurgisch resezierten Zysten.
Die unizentrische retrospektive Kohortenstudie präsentiert Daten von 181 Bosniak-IIF-Zysten, welche speziell für die Studie nochmals radiologisch klassifiziert wurden. Untersuchungen zur Interobserver-Variabilität fehlen, auch wenn im Material- und Methodenteil eine stichprobenartige Vergleichskontrolle zwischen beiden beurteilenden Radiologen beschrieben ist.
Unklar bleibt auch, wie viele Patienten letztlich eingeschlossen wurden: mutmaßlich lagen bei einzelnen Patienten mehrere Zysten vor. Tames et al. beschreiben beispielsweise in einem ähnlichen Kollektiv 152 Zysten bei 143 Patienten [1]. Die Konsequenzen dieser fehlenden Information sind aber als gering einzuschätzen, da keine komplexeren statistischen Analysen zu Progressionsrisiken erfolgten.
Die mediane Nachbeobachtungszeit der Studie beträgt 4 Jahre. Hier liegt die Frage nahe, ob dieser Zeitraum angesichts der untersuchten Patientenkohorte ausreichend ist. Anhand der Studiendaten selbst scheinen nach 3 Jahren keine Progressionsereignisse mehr aufzutreten; allerdings wird hier auf Basis von lediglich 4 Zysten argumentiert, welche überhaupt eine Progression erlebten. Dennoch kommen auch andere Arbeiten zu vergleichbaren Ergebnissen: Eine britische Studie von Lucocq et al. beschreibt anhand der Bosniak Klassifikation von 2005 eine Progressionsrate von 4,6%, wobei alle Progressionsereignisse innerhalb von 16 Monaten stattfanden [2]. Die mediane Beobachtungszeit betrug 21,2 Monate. El-Mokadem et al. beschreiben bei einer medianen Beobachtungszeit von 18,5 Monaten Progressionsraten von 13% [3]. Auch hier wurde ein Großteil der Progressionen innerhalb der ersten 2 Jahre beobachtet.
Das in der hier kommentierten Studie verwendete Patientenkollektiv ist, vor allem im Hinblick auf die zweite Fragestellung, kritisch zu betrachten: Nierenzysten, welche nach der Bosniak-Klassifikation von 2005 als Bosniak III gewertet wurden, aber nach der Klassifikation 2019 zu IIF-Zysten herabgestuft wurden, sind nicht im Kollektiv dieser Studien enthalten. Es handelt sich dabei jedoch mutmaßlich um eine relevante Anzahl an Zysten, wie andere Studien zeigen [4] [5]. Auch die Auswirkung auf klinischer Ebene ist relevant, wird doch die höhere Anzahl an malignen Tumoren unter den Bosniak-IIF-Zysten auf eben diese herabgestuften Bosniak-III-Zysten zurückgeführt [4].
Das in der hier kommentierten Studie vorliegende selektionierte Kollektiv erklärt möglicherweise die beschriebenen niedrigen Progressionsraten von 2,2% im Vergleich zu den sonst in der Literatur üblichen Raten von 5–15% [1] [2] [6] [7] [8].
Gerade in Bezug auf die zweite Fragestellung wären die ausgeschlossenen Zysten möglicherweise relevant, sollten sie neben höheren Progressionsraten auch ein höheres Risiko für eine maligne Histologie aufweisen.
Die Problematik lässt sich mit aktuell verfügbaren Datensätzen jedoch nicht lösen, da die später herabgestuften Zysten mutmaßlich größtenteils direkt operativ therapiert wurden und somit keine Beobachtungsdaten vorhanden sind. Hier muss also erst auf reife Daten nach flächendeckender Anwendung der novellierten Bosniak-Klassifikation von 2019 gewartet werden.
Immerhin, Analysen bezüglich der histologischen Aufarbeitung der herabgestuften Zysten sind bereits möglich und zeigen für die novellierten Bosniak-Klassifikation eine niedrigere Sensitivität bei höherer Spezifität und Genauigkeit [9].
Publication History
Article published online:
04 August 2023
© 2023. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Tames AVC, Fonseca E, Yamauchi FI. et al. Progression rate in Bosniak category IIF complex renal cysts. Radiol Bras 2019; 52: 155-160
- 2 Lucocq J, Pillai S, Oparka R. et al. Complex renal cysts (Bosniak ≥IIF): interobserver agreement, progression and malignancy rates. Eur Radiol 2021; 31: 901-908
- 3 El-Mokadem I, Budak M, Pillai S. et al. Progression, interobserver agreement, and malignancy rate in complex renal cysts ( ≥ Bosniak category IIF). Urol Oncol 2014; 32: 24.e21-24.e27
- 4 Yan JH, Chan J, Osman H. et al. Bosniak Classification version 2019: validation and comparison to original classification in pathologically confirmed cystic masses. European Radiology 2021; 31: 9579-9587
- 5 Park MY, Park KJ, Kim MH. et al. Bosniak Classification of Cystic Renal Masses Version 2019: Comparison With Version 2005 for Class Distribution, Diagnostic Performance, and Interreader Agreement Using CT and MRI. AJR Am J Roentgenol 2021; 217: 1367-1376
- 6 Smith AD, Remer EM, Cox KL. et al. Bosniak category IIF and III cystic renal lesions: outcomes and associations. Radiology 2012; 262: 152-160
- 7 O’Malley RL, Godoy G, Hecht EM. et al. Bosniak category IIF designation and surgery for complex renal cysts. J Urol 2009; 182: 1091-1095
- 8 Graumann O, Osther SS, Karstoft J. et al. Evaluation of Bosniak category IIF complex renal cysts. Insights Imaging 2013; 4: 471-480
- 9 Park MY, Park KJ, Kim M-H. et al. Bosniak Classification of Cystic Renal Masses Version 2019: Comparison With Version 2005 for Class Distribution, Diagnostic Performance, and Interreader Agreement Using CT and MRI. American Journal of Roentgenology 2021; 217: 1367-1376
- 10 Richard PO, Violette PD, Jewett MA. et al. CUA guideline on the management of cystic renal lesions. Can Urol Assoc J 2017; 11: E66-e73