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DOI: 10.1055/a-2115-4910
Bente Træen (15. Oktober 1958 – 17. April 2023)



Am 17. April dieses Jahres ist Prof. Bente Træen verstorben. Sie war die bekannteste norwegische Forscherin auf dem Gebiet der Sexualwissenschaft. Bente Træen wurde 1958 geboren und wuchs an verschiedenen Orten in Norwegen sowie im Ausland auf. Ihre berufliche Laufbahn begann sie zunächst als Zahnärztin. Aus ihrem ganzheitlichen Gesundheitsverständnis heraus bewarb sie sich dann um eine Promotionsstelle bei der norwegischen Gesundheitsbehörde in Oslo. Als das Land in den frühen 1980er-Jahren von der Angst vor Aids erfasst wurde, gehörte Bente Træen zu der Forschungsgruppe, die die erste landesweite Studie zum Sexualverhalten in Norwegen durchführte. Nachdem die anfängliche Panik nach einigen Jahren nachgelassen hatte, war Bente Træen die Einzige aus ihrer Gruppe, die die Forschung zum Sexualverhalten und zu sexueller Gesundheit weiterführte. Nach ihrer Promotion über sexuelles Risikoverhalten bei Jugendlichen wurde sie 1993 zunächst wissenschaftliche Mitarbeiterin am Norwegischen Institut für Alkohol- und Drogenforschung. Danach wechselte sie an die Universität Tromsø, wo sie die kommenden elf Jahre als Professorin für Gesundheitspsychologie forschte und lehrte. Seit 2012 war sie Professorin für Gesundheitspsychologie an der Universität Oslo. In ihrer Zeit an den beiden Universitäten entwickelte sie äußerst gefragte Programme in den Bereichen Sexualwissenschaft und sexueller Gesundheit. Sie war außerdem Mitherausgeberin der Anthologie „Sexology in Context“ in englischer Sprache ([Træen und Lewin 2008]), die auch die Grundlage für ihre Kurse bildete.
Bente Træen ging in ihrer Forschung von einer sozialkonstruktivistischen Perspektive aus, die von soziologischem und sozialpsychologischem Denken beeinflusst war. Der Schwerpunkt lag auf dem komplexen Zusammenspiel von Geschlecht und kulturellen Faktoren, die unsere sexuellen Erfahrungen prägen. Eine Beobachtungsstudie zu Geschlechtsverkehr, Alkohol und Kondomgebrauch bei der norwegischen Stadtbevölkerung, die sie in Bars und Nachtclubs in Oslo durchführte, sah sie selbst als einen ihrer wichtigsten Beiträge auf diesem Gebiet. Die Studie mündete in den Artikel „Games People Play: Sex, Alcohol and Condom Use among Urban Norwegians“ ([Træen und Hovland 1998]). Bente Træen war bekannt für ihren vielseitigen Einsatz von Forschungsmethoden und ihre qualitative Forschungskompetenz – eine Kombination, die es ihr ermöglichte, tief in komplexe Themen einzutauchen. Das zeigt sich beispielsweise an ihrer interviewbasierten Studie über Frauen mit Problemen im Hinblick auf sexuelles Begehren ([Træen 2008]). Bente Træen setzte sich für die Erforschung des Sexualverhaltens sowie der Einstellungen und Gewohnheiten der norwegischen Bevölkerung in Bezug auf Sexualität ein. Trotz begrenzter finanzieller Mittel führte sie mehrere landesweite Studien durch. Ihr letztes Forschungsprojekt auf diesem Gebiet wurde 2020 abgeschlossen. Nur wenige Wochen vor ihrem Tod erhielten sie und ihre Forschungsgruppe an der Universität Oslo von der norwegischen Gesundheitsbehörde Fördermittel für den Aufbau eines nationalen Forschungszentrums für sexuelle Gesundheit und sexuelles Wohlbefinden – NaRSex (https://www.sv.uio.no/psi/english/research/groups/research-on-sexual-health-and-wellbeing/index.html).
Mit ihren Beiträgen auf dem Gebiet der Sexualwissenschaft hinterlässt Bente Træen ein umfangreiches wissenschaftliches Werk. Dank ihrer Fähigkeit, komplexe Inhalte verständlich zu vermitteln, sowie ihrer enormen Produktivität war sie auch international sehr anerkannt und geschätzt. Bente Træens europäisches Projekt zur sexuellen Gesundheit älterer Menschen, das 2015 mit Mitteln des norwegischen Forschungsrats ins Leben gerufen wurde, war ein großer Erfolg. Es hat eine wichtige Rolle bei der Förderung sexueller Rechte älterer Menschen gespielt. In der internationalen Forschungsgemeinschaft gilt ihr Tod allgemein als bedeutender Verlust für die Sexualwissenschaft. Des Weiteren saß Bente Træen im internationalen wissenschaftlichen Beirat der Studie „Gesundheit und Sexualität in Deutschland – GeSiD“ (https://gesid.eu/team/).
Bente Træen war in der Lage, ein vielfältiges internationales Team zusammenzubringen und eine angenehme und entspannte Atmosphäre zu schaffen. Für viele Mitglieder des Forschungsteams war ihr starker, dabei antiautoritärer Führungsstil eine wichtige Inspirationsquelle. Bente Træen erkannte die Leistung anderer immer an. Durch ihre eigene harte Arbeit und ihr Engagement ging sie dabei mit gutem Beispiel voran. Häufig lud sie Studierende und Forschende dazu ein, gemeinsam mit ihr Artikel zu verfassen. Auf diese Weise baute sie ein umfassendes Forschungsnetzwerk auf, das über die Grenzen Norwegens hinausreichte. Mit ihrer einzigartigen Fähigkeit, Soziales und Forschung in Forschungskooperationen zu kombinieren, etablierte sie im internationalen Umfeld ein festes Kontaktnetz für ihre Forschungsgruppe.
Bente Træen war nicht nur eine angesehene Forscherin, sondern auch ein außergewöhnliches Vorbild. Ihre Arbeit ging sie enthusiastisch, großzügig und inklusiv an. Sie hatte eine bemerkenswerte Arbeitsdisziplin, immer mit dem Ziel, Dinge zum Abschluss zu bringen. Dementsprechend hinterlässt sie eine umfangreiche und beeindruckende Sammlung von Forschungsartikeln.
Bente Træen hatte die außergewöhnliche Gabe, komplexe Forschungsergebnisse in eine leicht verständliche Sprache zu übersetzen. Hierdurch wurde sie zur gefragten Expertin für Sexualaufklärung in den Medien. Mit ihrer Fähigkeit, Informationen professionell, wissenschaftlich und unterhaltsam zu vermitteln, hat sie sich einen besonderen Platz in den Herzen der norwegischen Medien erobert. Regelmäßig schrieb sie Kolumnen in verschiedenen norwegischen Zeitungen und Zeitschriften. Auch mehrere Lehrbücher zur Sexualaufklärung für junge Menschen stammen aus ihrer Feder. Als Anerkennung für ihre außerordentlichen Fähigkeit zur Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte wurde Bente Træen 2003 der Preis für Wissenschaftsvermittlung vom norwegischen Forschungsrat verliehen.
Der Tod von Bente Træen hinterlässt eine Lücke, die nicht nur am Institut für Psychologie in Oslo, sondern auch auf dem Gebiet der Sexualwissenschaft in Norwegen und international schwer zu füllen sein wird. Ihr Verlust wird von vielen schmerzlich empfunden: von Forschenden, Kolleginnen und Kollegen, Doktorandinnen und Doktoranden sowie Studierenden, die Teil ihres ambitionierten akademischen und lebensbejahenden Universums waren. Es wird nicht leicht sein, diese Lücke auch nur ansatzweise zu füllen, in der Hoffnung, ihrem Andenken gerecht zu werden.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
12. September 2023
© 2023. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Træen B. When Sex Becomes a Duty. Sex Relation Ther 2008; 23: 61-84
- 2 Træen B, Hovland A. Games People Play: Sex, Alcohol and Condom Use among Urban Norwegians. Contemp Drug Probl 1998; 25: 3-48
- 3 Træen B, Lewin B. Sexology in Context. Oslo: Universitetsforlaget AS; 2008