Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2023; 18(05): 387-391
DOI: 10.1055/a-2129-8507
Schritt für Schritt

Radiuskopffraktur – Schritt für Schritt

Stefan Studier-Fischer
,
Alfred Schmidgen
,
Michael Magin

Verschraubung, Resektion, Prothese

OP-Prinzip

Verschraubung und Plattenosteosynthese.

Ziel des Verfahrens ist die anatomische Rekonstruktion und bewegungsstabile Osteosynthese durch Minischrauben und -platten. Es stehen auch Platten mit winkelstabil zu verankernden Schrauben zur Verfügung.

Resektion.

Bei fehlender Rekonstruierbarkeit Wiederherstellung einer möglichst freien Funktion durch Resektion bis zur Tuberositas radii. Die alleinige Resektion ist bei gleichzeitig vorliegenden Bandverletzungen nicht ausreichend.

Prothese.

Bei fehlender Rekonstruierbarkeit einer Radiuskopffraktur und gleichzeitiger Seitenbandinstabilität ist der Ersatz des Radiuskopfs durch eine Prothese zur Wiederherstellung der Ellenbogenstabilität erforderlich.


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Indikation

Verschraubung und Plattenosteosynthese

  • dislozierte Radiushalsfrakturen

  • dislozierte Meißelfrakturen mit 1–2 größeren Fragmenten

Resektion

  • Trümmerfrakturen des Radiuskopfs und -halses

  • in Fehlstellung verheilte Frakturen mit starker Bewegungseinschränkung oder schmerzhafter Arthrose des Radiohumeralgelenks

  • chronische Luxation des Radiuskopfs bei schmerzhafter Bewegungseinschränkung und fehlender Wiederherstellungsmöglichkeit der Gelenkkongruenz

Prothese

  • Gelenkinstabilität nach einer Radiuskopfresektion


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Kontraindikation

Verschraubung

  • Möglichkeit der funktionellen konservativen Behandlung bei geringer Dislokation und Gelenkflächenstufen unter 1–2 mm

  • stärkere Zerstörung des Radiuskopfs bei fehlender mechanischer Rekonstruierbarkeit und zerstörter Durchblutung

Resektion

  • kindliche Frakturen (Fehlwachstum)

  • mögliche Rekonstruierbarkeit

  • chronische Folgezustände mit fehlenden oder geringen Beschwerden

Prothese

  • Gelenkstabilität nach der Radiuskopfresektion

  • fehlende Zentrierung der Prothese auf das Capitulum humeri

  • ausgeprägte Arthrose des Radiohumeralgelenks


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Spezielle Patientenaufklärung

Verletzung des N. radialis, ausbleibende Knochenbruchheilung und Nekrose, Bewegungseinschränkung (Pro- und Supination, Streckdefizit), Kapsel-Band-Verkalkungen, bei initial geplantem Kopferhalt intraoperativer Umstieg auf Resektion oder Prothese, Verkürzung des Radius am Handgelenk mit Instabilität des distalen Radioulnargelenks bei der Resektion, Ellenbogengelenkinstabilität nach Resektion, Prothesenlockerung, posttraumatische Arthrose, Fehlwachstum im Kindesalter (Cubitus valgus).


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OP-Planung

Röntgendarstellung des Ellenbogengelenks in 2 Ebenen, eventuell zusätzlich Röntgenprojektion nach Greenspan (45° Schrägaufnahme), klinische und radiologische Kontrolle des Handgelenks, Neurostatus. Das CT ist als ergänzende Untersuchung bei komplexen Frakturen oder unzureichender Aussagekraft der konventionellen Röntgenuntersuchungen heranzuziehen. Ist das distale Radioulnargelenk instabil, so ist dies bei der operativen Versorgung zu berücksichtigen. Besteht der Verdacht auf eine Mitbeteiligung der Membrana interossea, so kann eine MRT erforderlich sein.


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Spezielle Instrumente und Implantate

Kleine, spitze Repositionszangen, kleiner Einzinkerhaken, feine oszillierende Säge, Hohmann-Hebel, dünne Kirschner-Drähte (1,0–1,25 mm), 1,5- und 2-mm-Minifragment-Schrauben und -Platten, winkelsteife Platten-Schrauben-Systeme, geeignetes Radiuskopfprothesensystem.

OP-Technik

Lagerung

Rückenlage, Lagerung des abduzierten Armes in 90°-Beugestellung und Pronation auf einem kleinen Armtisch. Der Arm ist frei beweglich abgedeckt, Anlegen einer Oberarmblutsperre, die jedoch in der Regel nicht geschlossen wird.

Zugang

Leicht bogenförmige Inzision, beginnend proximal des Epicondylus radialis über den Radiuskopf nach distal, ca. 10 cm lang. Spalten der Faszie zwischen den Mm. extensor carpi ulnaris und anconeus. Direktes Eingehen auf den Radiuskopf nach Spalten der Gelenkkapsel und des Lig. anulare, vorsichtiges Darstellen des Radiushalses durch Spalten des M. supinator. Freilegen von Radiuskopf und -hals durch Einsetzen von 2 Hohmann-Hebeln (Gefährdung des R. profundus nervi radialis durch Hakendruck).

Alternativzugang

Gerader Hautschnitt vom lateralen Epikondylus 6–8 cm nach distal. Längsspalten der Extensorenmuskulatur zwischen Mm. extensor carpi radialis longus und extensor digitorum. Längseröffnung der Kapsel und Ringbandspaltung. Umfahren des Radiuskopfes durch Hohmann-Hebel ([Abb. 1]).

Durchführung

Verschraubung

Darstellung der Fraktur unter Erhalt der Periostverbindungen der Bruchstücke zum Radiushals, Reinigen der Frakturspalten und Entfernen kleiner Fragmente mit einem kleinen scharfen Löffel oder Zahnarzthäkchen, vorsichtige Reposition und temporäre Retention durch kleine, spitze Repositionszangen oder Kirschner-Drähte der Stärke 1,0 mm. Die 2,0- oder 1,5-mm-Schrauben werden vom knorpeligen Rand des Radiuskopfs möglichst senkrecht zur Frakturfläche eingebracht, wobei man sich die Drehfähigkeit des Radius zu Nutze machen kann. Mit der Kopfraumfräse wird eine Vertiefung geschaffen, in der die Schraubenköpfe unter Knorpelniveau versenkt werden. Bei stabiler Kortikalis der Fragmente können die Schrauben als Zugschrauben eingebracht werden. Impressions- und Trümmerfrakturen lassen sich unter Zuhilfenahme von T-, L- oder Kondylenplättchen oft nur mit Stellschrauben nach korrekter Reposition stabilisieren. Die Lage der Implantate darf die Pro- und Supination nicht behindern. Aus dem gleichen Grund dürfen die Schrauben den Knorpelbelag der Gegenkortikalis nicht überragen ([Abb. 2]).

Resektion

Der Radiushals wird subperiostal bis zum distalen Bizepssehnenansatz dargestellt und mit Hohmann-Hebeln proximal der Tuberositas radii umfahren. Osteotomie des Radiushalses mit einer feinen oszillierenden Säge, Fassen des Radiuskopfs und Durchtrennung noch anhaftender Kapselanteile, Glätten der Resektionsfläche mit der Luer-Zange ([Abb. 3]).

Prothese

Der Radiushals wird wie beschrieben subperiostal dargestellt, Resektion des Radiushalses mit einer feinen oszillierenden Säge, wobei das Resektionsausmaß vom Prothesentyp abhängt. Aufweitung des Radiushalses bzw. proximalen Schaftes mit Handinstrumenten. Die Größe des Prothesenkopfs kann anhand des Resektats bestimmt werden. Die Schaftdicke richtet sich nach dem zuletzt verwendeten Profiler. Der Prothesenschaft wird entweder im Radiusschaft zementiert oder passgenau in den Radiushals gesteckt. Ist der Radiushals-/-schaftwinkel von 15° vom Prothesenschaft vorgegeben, so ist der Winkel in Richtung des Daumens auszurichten. Abschließend wird der modulare Prothesenkopf in situ auf den Schaft aufgesetzt. Kontrolle der exakten Zentrierung des Prothesenkopfs auf dem Capitulum humeri. Röntgenkontrolle und Dokumentation ([Abb. 4]).

Wundverschluss

Sorgfältige Kontrolle der Bluttrockenheit, Spülung, Naht des Lig. anulare und der Gelenkkapsel, Einlage einer Redon-Drainage, adaptierende Nähte der Muskelfaszien, Subkutan- und Hautnähte, steriler Verband, Anlegen eines gepolsterten Oberarmgipsverbands.

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Abb. 1 Zugangswege zum Radiuskopf. Inzision zwischen M. extensor carpi ulnaris und M. anconeus zur Darstellung der hinteren Gelenkanteile. Inzision zwischen M. extensor digitorum und den radialen Streckmuskeln zur Darstellung der vorderen Gelenkanteile.
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Abb. 2 ad Beispiele für eine Schraubenosteosynthese.
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Abb. 3 a, b Röntgenbild einer korrekten Radiuskopfresektion.
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Abb. 4 ac Röntgenbild einer Radiuskopfprothese nach Trümmerfraktur.

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Tipps und Tricks

  • Erreicht man durch 2–3 Minischrauben, eventuell in Kombination mit einer Mini-, T- oder Kondylenplatte, bei zweifelhafter Revaskularisierung der Fragmente keine ausreichende mechanische Stabilität, entschließt man sich besser zur Resektion oder Prothese. Die Frühresektion führt zu besseren funktionellen Resultaten als die Spätresektion (Betz 1988, Schmitt u. Mitarb. 1988).

  • Durch die Verwendung winkelsteifer Implantate kann auch bei einem höhergradig frakturierten Radiuskopf u. U. noch eine mechanisch stabile Osteosynthese erzielt werden. Entscheidend ist allerdings, dass die Durchblutung der Fragmente erhalten bleibt oder die Revaskularisierung möglich ist.

  • Eine Platte sollte auch bei der Unterarmrotation das proximale Radioulnargelenk nicht tangieren. Die sichere Zone zur Plattenplatzierung am Radiuskopf liegt in direkter Verlängerung des Tuberculum Listeri dorsal am distalen Radiusende.

  • Verbleibende Knochendefekte unterhalb der Gelenkfläche oder im Radiushalsbereich sollten durch Spongiosa, die aus dem Epicondylus radialis entnommen werden kann, aufgefüllt werden.

  • Die vorsichtige knochennahe Präparation des Radiushalses und der weichteilschonende Wundhakeneinsatz vermindern das Risiko einer N.-radialis-Parese (der Nerv verläuft ventral der Gelenkkapsel und 3 Querfinger distal des Radiuskopfs).

  • Bei gleichzeitiger Fraktur der proximalen Elle und nicht rekonstruierbarem Abriss des Processus coronoideus können Anteile eines resezierten Radiuskopfs für eine Koronoideusplastik Verwendung finden.

  • Bei Instabilität des Ellenbogengelenks nach der Radiuskopfresektion wird eine Prothese implantiert werden.

  • Begleitverletzungen des Ellenbogengelenks mit Processus-coronoideus-Fraktur und Kapsel-Band-Zerreißungen mit Erfordernis der Radiuskopfresektion ergeben oft die Indikation für eine Prothese, um überhaupt eine frühfunktionelle Nachbehandlung zu ermöglichen.

  • Die Möglichkeiten und Grenzen des vorhandenen (bestellten) Prothesentyps müssen bekannt sein. Bei Prothesen, die im Radiushals geführt werden, darf nur eine sparsame Resektion erfolgen und der Radiushals darf nicht frakturiert sein.


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Alternativmethoden

  • Refixation von Meißelfrakturen mit biodegradierbaren Kunststoffstiften (z. B. Ethipin, Biofix, Polypin)

  • Kirschner-Draht-Osteosynthesen bei kindlichen Frakturen

  • Bewegungsfixateur bei Begleitverletzungen mit instabilem Ellenbogengelenk und Weichteilschäden


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Nachbehandlung

  • Oberarmgipsschale bis Abschluss der Wundheilung und Entfernung der Hautfäden am 11. postoperativen Tag

  • ab dem 2. postoperativen Tag assistiv geführte Physiotherapie, nach der 2. postoperativen Woche zunehmend aktiv

  • Belastungssteigerung nach 6–8 Wochen

  • Röntgenkontrollen bei Entlassung aus stationärer Behandlung, 10–14 Tage postoperativ, dann alle 3–4 Wochen

  • jährliche klinische und radiologische Kontrolle einer Radiuskopfprothese


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Ergebnisse

Verschraubung.

Neuere Publikationen zeigen gute und sehr gute Resultate nach Rekonstruktionen auch komplexerer Frakturen und Trümmerfrakturen. Häufig verbleibt ein funktionell unbedeutendes Streckdefizit. Andererseits existieren auch Berichte über eine Rate von 13% Pseudarthrosen und Implantatbrüchen nach Osteosynthesen von Trümmerfrakturen.

Resektion.

In einer eigenen Studie konnte Moghaddam et al. (2008) zeigen, dass Teilresektionen von größeren Gelenkfragmenten deutlich schlechtere Ergebnisse als komplette Resektionen oder prothetische Versorgungen ergeben. Dies erklärt sich durch die Entwicklung eines exzentrischen Rotationsverhaltens des Radiuskopfs gegen das Capitulum humeri radialis.

Bei geplanter alleiniger Resektion ist nach einer Verletzung der Membrana interossea zu suchen. Findet sich eine Instabilität im distalen Radioulnargelenk, so ist das ein deutlicher Hinweis auf eine solche Verletzung. Im Zweifelsfall gibt eine MRT-Untersuchung Aufschluss über eine solche Läsion.

Prothese.

Von den neueren modularen Radiuskopfprothesen werden in der Mehrzahl gute funktionelle Resultate bei niedrigen Lockerungsraten berichtet. Mittelfristig konnten wir bei 30 Trümmerfrakturen mit ligamentären Verletzungen gute Ergebnisse erzielen. Die ligamentären Läsionen mussten dabei gleichzeitig versorgt werden. Beim Einsatz zementfreier Prothesen konnten wir eine gewisse Anzahl von Lysesäumen um den Stem der Prothese erkennen. Diese haben aber keinen Einfluss auf die Funktion, sofern die Prothese nicht im Prothesenlager verkippt ist und solange die Projektion der Prothesenachse auf das Capitulum humeri radialis bestehen bleibt.


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Publication History

Article published online:
12 October 2023

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