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DOI: 10.1055/a-2158-8045
Kurz & bündig
Uromodulin und Schachtelhalm: neue Wirkweise bei Blasenentzündungen entdeckt?
Unkomplizierte Blasenentzündungen sind weit verbreitet. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die durch Bakterien verursachte Infektion auf die Blase beschränkt ist und keine Risiken für einen schweren Verlauf vorliegen. Zu Letzteren zählen:
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männliches Geschlecht (bei Männern treten Blasenentzündungen meist im Rahmen anderer Erkrankungen, zum Beispiel der Prostata, auf)
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Veränderungen oder anatomische Besonderheiten im Bereich der Harnwege
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bestehende Nierenschäden oder eine durch Medikamente oder Erkrankungen wie AIDS bedingte Immunschwäche
In 80 % der Fälle sind Escherichia coli für die unkomplizierte Blasenentzündung verantwortlich.
Gemäß der aktuellen ärztlichen Leitlinie sollten Antibiotika nur bei Komplikationen eingesetzt werden. Aufgrund dieser Vorgaben kommt Heilpflanzen eine zentrale Bedeutung bei der Behandlung der unkomplizierten Blasenentzündung zu [1].
Arzneipflanzen bei unkomplizierter Blasenentzündung
Schachtelhalmkraut hat sich bei der Behandlung leichter bakterieller Blasenentzündungen bewährt. Eine Anwendung bei dieser Indikation findet auch den Zuspruch der Monografien von ESCOP, HMPC und Kommission E. Die Pflanze wird zur Durchspülungstherapie bei Blasenentzündungen verwendet: Schachtelhalm vergrößert die Harnmenge, was das Ausspülen von Erregern aus den Harnwegen fördert. Dieser Wirkmechanismus findet sich auch bei anderen Arzneipflanzen, so zum Beispiel beim Brennnesselkraut bzw. -blatt (Urtica dioica), der Queckenwurzel (Agropyron repens) oder dem Indischen Nierenblättertee (Orthosiphon stamineus). Diese Pflanzen vergrößern nicht nur die Harnmenge, sondern erschweren Bakterien auch das Gedeihen in der Blase. Quecke und Indischer Nierentee stören beim Andocken an die Schleimhaut. Tannine der Brennnessel weisen ähnliche Marker wie Zellen der Harnwegsschleimhaut auf. Bakterien können dadurch fälschlicherweise an die Tannine andocken und somit – ohne Schaden anzurichten – mit dem Harn ausgeschieden werden. Vergleichbare Effekte finden wir auch bei Uromodulin, einem menschlichen Protein.
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Bakterien täuschen mit Uromodulin
Uromodulin (Syn. Tamm-Horsfall-Protein) wird in der Niere produziert und gelangt dort in den Urin. Es ist mit Anteilen bis zu 50 % das häufigste Protein im Urin. Seine Rolle ist noch nicht ganz geklärt. Es scheint vor Nierensteinen sowie vor bakteriellen Infektionen zu schützen und die Harnbildung zu unterstützen. Ähnlich wie die Tannine der Brennnessel ähnelt die Struktur des Uromodulins den Zellwandproteinen der Harnwege. Bakterielle Erreger wie Escherichia coli oder Klebsiella pneumoniae docken somit „irrtümlich“ an Uromodulin an und werden mit diesem über den Urin ausgeschieden. Zudem erschwert Uromodulin Bakterien das Anheften an die Schleimhaut (antiadhäsive Wirkung). Bei Harnwegsinfektionen kann damit eine starke Uromodulinsekretion hilfreich sein [2].
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Mehr Uromodulin im Urin bei Schachtelhalmtherapie
Eine 2022 publizierte Studie der Universität Münster zeigt, dass Schachtelhalm die Uromodulinproduktion stimulieren kann. Dieser Effekt zeigte sich bei den 10 gesunden Teilnehmenden während der 7-tägigen Einnahme eines Schachtelhalm-Trockenextraktes. Während der Studiendauer wurde der morgendliche Mittelstrahlurin an 4 Tagen gemessen. Zudem konnte eine – für Schachtelhalm bereits bekannte – aquaretische Wirkung beobachtet werden. Laut den Autoren der Studie könnte diese mit der gesteigerten Uromodulinproduktion in Zusammenhang stehen [3].
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Fazit
Die Studie der Universität Münster liefert ein wichtiges Puzzlestück, das dem besseren Verständnis der Wirkung von Schachtelhalm bei Blasenentzündungen dienen dürfte. Der in der Studie verwendete Trockenextrakt wurde mit Wasser hergestellt, das Wirkprinzip für die uromodulinsteigernden Effekte muss demnach auf wasserlöslichen Inhaltsstoffen beruhen und dürfte sich damit auch bei der Teetherapie einstellen. Die Aussagekraft der Studie ist jedoch aufgrund der geringen Probandenzahl limitiert. Weitere Studien werden zeigen, ob die beobachteten uromodulinsteigernden Eigenschaften bei Menschen mit Blasenentzündungen von therapeutischer Relevanz sind.
Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in der Zeitschrift medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch einen Arzt oder Apotheker nicht ersetzen können. Jeder Nutzer ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren, Herausgeber und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.
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Publication History
Article published online:
08 December 2023
© 2023. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Deutsche Gesellschaft für Urologie. Interdisziplinäre S3-Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. 2017; Langversion 1.1-2 [AWMF Registernr.: 043/044] (05.07.2023). https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/043-044.html
- 2 Weiss GL, Stanisich JJ, Sauer MM. et al. Architecture and function of human uromodulin filaments in urinary tract infections. Science 2020; 369: 1005-1010
- 3 Mo B, Sendker J, Herrmann F. et al. Aqueous extract from Equisetum arvense stimulates the secretion of Tamm-Horsfall protein in human urine after oral intake. Phytomedicine 2022; 104: 154302