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DOI: 10.1055/a-2263-3173
Editorial
„Am Anfang einer Behandlung steht die Diagnose“
Dieser Grundsatz ist vermutlich genauso alt wie die Medizin und bildet bis heute die Grundlage sowohl für das medizinische Vorgehen als auch für die Aus- und Weiterbildung. Doch gerade in der präklinischen Notfallmedizin ist die Situation in der Praxis gänzlich anders. Notfallpatient*innen präsentieren uns in den seltensten Fällen Diagnosen, sie schildern uns vielmehr ihre Symptome, die sie veranlassten, den Rettungsdienst zu rufen. Es ist an uns, diese Symptome mit unserem in Ausbildung und Studium erlangtem Wissen einzuordnen und zusammen mit einigen Messwerten und nicht zuletzt mit Erfahrung eine präklinische Verdachtsdiagnose einschließlich möglicher Differenzialdiagnosen zu stellen, die dann in den meisten Fällen Grundlage für die initiale Therapie vor Ort und für die spätere erste Einstufung der Patientin oder des Patienten in der Klinik ist. Am Anfang steht demzufolge nicht die präklinische Diagnose, sondern das präklinische Symptom. Es erscheint damit mehr als sinnvoll, das notfallmedizinische Handeln in erster Linie an Symptomen auszurichten und das Stellen einer endgültigen Diagnose der aufnehmenden Klinik zu überlassen.
Limitierte technische Möglichkeiten, Zeitmangel und nicht zuletzt auch Kosten sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass die diagnostischen Möglichkeiten des Rettungsdienstes limitiert sind und dies auch zukünftig bleiben werden. Erschwerend kommt der Druck hinzu, unter dem die präklinische Einschätzung und die darauf beruhenden Therapieentscheidungen getroffen werden müssen.
Es ist an der Zeit, diese täglich erlebte Realität stärker in der Aus- und Weiterbildung zu berücksichtigen und das Vorgehen nach Symptomen bzw. nach Leitsymptomen noch intensiver zu thematisieren [1].
Unter Leitsymptom versteht man das Symptom, das von unseren Patient*innen oder von Angehörigen oder Umstehenden meist als erstes geschildert und als am bedrohlichsten wahrgenommen wird. In dem Weiterbildungsartikel „Leitsymptom akute Wesensveränderung: wenn der Patient sich komisch verhält“ in dieser Ausgabe wird dieser Gedanke umgesetzt und ausgehend von der beherrschenden Symptomatik das weitere notfallmedizinische Vorgehen beschrieben. Gerade in der Notfallmedizin ist die Orientierung an Leitsymptomen essenziell, um eine Arbeitsdiagnose zu finden, die häufigsten oder gefährlichsten Krankheitsbilder in zeitkritischen und unübersichtlichen Situationen zu bedenken und eine zielgerichtete Diagnostik und Therapie einleiten zu können. Damit das Leitsymptom aber tatsächlich erkannt wird, muss der Patient danach befragt werden und es darf sich nicht nur auf die erhobenen Messwerte des Monitorsystems verlassen werden [2].
Insgesamt hat es sich gerade in der Notfallmedizin bewährt, etwas zu tun, was ansonsten eher einschränkend wirkt.
Publication History
Article published online:
19 April 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Dünser M, Stöger R, Klinglmair M. et al. Leitsymptome in der Notfallmedizin: Der praktische Weg zur Diagnose. Anästhesie Nachr 2023; 5: 65-72
- 2 Steinkellner C, Schlömmer C, Dünser M. Anamnese und klinische Untersuchung in der Notfall- und Intensivmedizin. Med Klin Intensivmed Notfmed 2022; 115: 530-538
- 3 Cheng MT, Sung CW, Ko CH. et al. Physician gestalt for emergency department triage: A prospective videotaped study. Acad Emerg Med 2022; 29: 1050-1056 DOI: 10.1111/acem.14557. (PMID: 35785459)
- 4 Kabrhel C, Camargo jr. CA, Goldhaber SZ. Clinical gestalt and the diagnosis of pulmonary embolism: does experience matter?. Chest 2005; 127: 1627-1630 DOI: 10.1378/chest.127.5.1627. (PMID: 15888838)
- 5 Li YL, Mo JR, Cheng NM. et al. Gestalt for shock and mortality in the emergency department: A prospective study. Am J Emerg Med 2018; 36: 988-992 DOI: 10.1016/j.ajem.2017.11.007. (PMID: 29117900)