Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2025; 60(10): 544-555
DOI: 10.1055/a-2351-8498
CME-Fortbildung
Topthema

Zirkadiane Medizin – wie relevant ist sie in der Intensivmedizin?

Circadian Medicine – How Relevant is It in Intensive Care Medicine?

Authors

  • Judith Kaden

  • Lilian Jo Engelhardt

  • Laura Hancke

  • Gunnar Lachmann

  • Alawi Lütz

Die zirkadiane Intensivmedizin ist ein neues Forschungsgebiet, das sich der Pathophysiologie und den Auswirkungen gestörter zirkadianer Rhythmen auf den Krankheitsverlauf kritisch Kranker widmet – z. B. dem Auftreten von Delir oder von Blutdruckveränderungen. Dieser Artikel präsentiert Konzepte und Interventionen der zirkadianen Intensivmedizin, die zukünftig einen neuen therapeutischen Horizont bei Intensivpatient*innen darstellen könnten.

Abstract

Circadian intensive care medicine is a new field of research that investigates the pathophysiological mechanisms and clinical impact of disrupted circadian rhythms on the course of disease in critically ill patients. Initial studies have demonstrated rhythm disturbances at the clinical, hormonal and molecular level. These disturbances are often characterized by a loss of rhythmicity, for example reflected in reduced fluctuations of blood pressure within a 24-hour cycle. The loss of such rhythmicity has been associated with increased mortality rates. Moreover, circadian dysrhythmia is linked to several severe complications, including delirium. This article presents concepts and interventions in circadian intensive care medicine that may represent a new therapeutic horizon for critically ill patients in the future.

Kernaussagen
  • Intensivpatient*innen zeigen auf molekularer, hormoneller und klinischer Ebene Anzeichen für eine Störung der zirkadianen Rhythmik.

  • Der zirkadiane Rhythmus beeinflusst den Stoffwechsel auf zellulärer Ebene, wobei Licht, Nahrungsaufnahme und körperliche Aktivität zentrale äußere Zeitgeber sind.

  • Eine gezielte tageszeitliche Nahrungsaufnahme und körperliche Aktivität könnten als äußere Zeitgeber für das zirkadiane System wichtige Stoffwechselprozesse bei Intensivpatient*innen positiv beeinflussen.

  • Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen dem Delir bei Intensivpatient*innen und Störungen des zirkadianen Systems hin.

  • Nichtpharmakologische Interventionen wie die Optimierung der Licht- und Lärmbedingungen können möglicherweise den zirkadianen Rhythmus von Intensivpatient*innen stabilisieren und Delire reduzieren.

  • Die Vermeidung von Sedierung und Bereitstellung von Leuchtmitteln mit ausreichender zirkadianer effektiver Bestrahlungsstärke ohne Blendeffekte ist Grundvoraussetzung für die biologisch wirksame Lichtintervention.

  • Die Verabreichung von Medikamenten mit sedierendem Wirkprofil ist mit einer substanziellen Störung der physiologischen Schlafarchitektur assoziiert. Insbesondere eine tiefe Sedierung erhöht das Risiko für die Entstehung eines Delirs. Die Verwendung von Dexmedetomidin zur Sedierung könnte die Schlafqualität im Gegensatz zu Propofol oder Benzodiazepinen verbessern.

  • Die Evidenzlage zur Melatoningabe zur Nacht ist heterogen; die Gabe ist damit aktuell lediglich ein Behandlungsversuch.

  • Schlafstörungen und Delire sind bei Intensivpatient*innen eng miteinander verknüpft und treten häufig gemeinsam auf.

  • Die Integration zirkadianer Medizin auf der Intensivstation muss in zukünftigen Studien evaluiert werden.



Publication History

Article published online:
28 October 2025

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