Kinder- und Jugendmedizin 2025; 25(05): 267
DOI: 10.1055/a-2435-9179
Editorial

Seltene Erkrankungen im Fokus – häufig, seltener, unterdiagnostiziert

Authors

  • Corinna Grasemann

    Mainz
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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Seltene Erkrankungen sind im kinder- und jugendmedizinischen Alltag längst kein Nischenthema mehr. Sie begegnen uns – trotz ihrer jeweiligen Seltenheit – regelmäßig, stellen komplexe diagnostische und therapeutische Herausforderungen dar und verlangen von uns interdisziplinäres Handeln, Geduld und strukturelle Vernetzung. Die Beiträge in dieser Ausgabe der „Kinder- und Jugendmedizin“ beleuchten verschiedene Facetten dieses Themenspektrums, vom genetisch erklärbaren – eher häufigen – Kleinwuchs bis zur immunologisch hochkomplexen APECED („autoimmunity endocrinopathy candidiasis ectodermal dystrophy“), von der Versorgungsstruktur bis zur psychologischen Begleitung.

Mit dem Beitrag von Joline Wernsmann, M. A., und Kolleg*innen erhalten Sie einen kompakten Überblick über die aktuelle Versorgungssituation von Kindern mit seltenen Erkrankungen in Deutschland im Jahr 2025 – mit besonderem Fokus auf die Rolle der niedergelassenen Kolleg*innen. Die steigende Zahl verfügbarer Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten verlangt nach koordinierter Zusammenarbeit und gut informierten Netzwerken.

Dr. Martin Munteanu und Kolleg*innen beschreiben eindrucksvoll, wie sich der diagnostische Zugang bei Kleinwuchs durch die genetische Diagnostik erweitert hat – und dass auch hinter scheinbar „häufigen“ Symptomen seltene Ursachen stecken können.

Mit APECED rücken Dr. Nina Knopf und Kolleg*innen eine sehr seltene Erkrankung in den Fokus, deren Verständnis sich grundlegend gewandelt hat – von der klassischen polyglandulären Insuffizienz bis hin zur Interferonopathie mit immunologischer Systemrelevanz. Dieser Wandel zeigt, wie dynamisch das Feld der Endokrinologie heute ist.

Besonders am Herzen liegt uns in diesem Heft das Klinefelter-Syndrom – eine der häufigsten genetischen Veränderungen bei Jungen, die jedoch in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht oder erst spät erkannt wird. Beatrice Steffen (Psychologin M.Sc.) zeigt zusammen mit Kolleg*innen in ihrem Beitrag eindrücklich, mit welchen psychologischen und schulischen Herausforderungen betroffene Kinder und Jugendliche konfrontiert sind – und gibt konkrete Empfehlungen, wie diese in Kindergarten und Schule besser begleitet werden können. Im abschließenden CME-Beitrag greifen wir das Thema erneut auf – diesmal mit dem Fokus auf Diagnostik, Verlauf und interdisziplinäres Management. Denn auch wenn das Klinefelter-Syndrom statistisch betrachtet nicht selten ist, zeigt die Praxis ein anderes Bild. Nur etwa 20 % der betroffenen Jungen werden im Kindes- oder Jugendalter diagnostiziert – mit allen Konsequenzen, die eine verzögerte Erkennung mit sich bringt. Gerade niedergelassene Kinder- und Jugendärzt*innen haben eine essenzielle Rolle in einer zeitgerechte Diagnostik trotz der oft subtilen Symptome, in einer gezielten Einleitung von Fördermaßnahmen und in der adäquaten Begleitung durch Pubertät und Adoleszenz.

Wir hoffen, dass diese thematische Mischung für Sie informativ, praxisnah und anregend ist – und Sie vielleicht sogar ermutigt, bei Ihrem nächsten „Seltenen Fall“ das nächstgelegene ZSE zu kontaktieren.

Prof. Dr. med. Corinna Grasemann, Mainz

Gastherausgeberin



Publication History

Article published online:
07 October 2025

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