Onkologische Welt 2025; 16(07): 349
DOI: 10.1055/a-2526-3973
Editorial

Länger leben

Authors

  • Alexander Kretzschmar

    München
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Wir vergessen oft, dass der Körper die Spuren von Erkrankungen und ihrer Behandlung lebenslang in sich tragen kann. Die Zahl der onkologischen Langzeitüberleber steigt stetig, aber die Baustellen bei der Unterstützung bei der Bewältigung von Spät- und Langzeitfolgen bleiben. Die Probleme beginnen bei einer international konsentierten Definition von Cancer Survivorship: Sie existiert noch nicht. Im Allgemeinen bezeichnet man heute Patient*innen als Langzeitüberleber, die mit Komplettremission oder Tumorfreiheit nach metastasierter Erkrankung mindestens 5 Jahre überlebt haben.

5 Jahre sind, gemessen an der Lebenserwartung der Normalbevölkerung, ein sehr überschaubarer Lebensabschnitt. Für viele Tumorpatient*innen jedoch ist das eine enorme Zeitdauer, die nur manche erleben,aber immer mehr (über)leben noch deutlich länger. Mit steigender Überlebensdauer verlässt die psychosomatische Betreuung den Boden der evidenzbasierten Tumormedizin; es fehlt an Langzeit-Studiendaten. Darüber hinaus sind viele zielgerichtete und Immuntherapien erst seit einigen Jahren verfügbar, der Erfahrungszeitraum zum Nutzen-Risiko-Spektrum ist begrenzt. Zulassungsrelevante Phase-III-Studien fokussieren vor allem auf harten klinischen Endpunkten. Dies entspricht den Zulassungsregularien. Patienten-berichtete Endpunkte (PROs) werden nachgereicht – gerne in Real-World-Studien, die in der evidenzbasierten Welt um Anerkennung kämpfen müssen. Ein aktuelles systematisches Review und Metaanalyse zeigt hierzu, dass spezifische PROs als prognostische Faktoren für das Gesamtüberleben stärker berücksichtigt werden sollten [1].

Wir sprechen gerne darüber, wie wichtig eine individualisierte, Patient*innen-zentrierte Medizin ist. Aber sie ist in der klinischen Praxis noch zu oft Arzt-zentriert. Zwänge einer kostenorientierten medizinischen Versorgung sind eine weitere Hürde. In dieser Ausgabe der „Onkologischen Welt“ skizzieren die Autoren Springer & Mehnert-Theuerkauf (S. 393) Konzepte für eine psychoonkologische Begleitung als wirksame Unterstützung für Spät- und Langzeitfolgen im Kontext mit Fallvignetten [2].

Die Integration der künstlichen Intelligenz (KI) kann die Versorgung der onkologischen Langzeitüberleber verändern [2]. Ich bin hier optimistisch und glaube, dass manche Engstellen in der psychosomatischen Versorgung wie Zeit- und Kommunikationsmängel zumindest gemildert werden. Mittels KI könnten die verfügbaren klinischen, genomischen und demografischen Daten sowie Lebensqualitätsfaktoren zusammengeführt und Tumor- bzw. Patient*innen-spezifische Konzepte zur Betreuung von Langzeitüberlebern entwickelt werden. Bereits jetzt könnten die Fortschritte in der Biomarkerforschung und ihrer Überwachung mittels Apps und Sensoren als Wearables nutzbar gemacht werden, etwa zur frühen Erfassung von Langzeittoxizitäten.

Dr. Alexander Kretzschmar, München



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Article published online:
08 October 2025

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