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DOI: 10.1055/a-2536-2526
Progression von chronischen Nierenerkrankungen

Keine Nierenerkrankung schädigt die etwa 0,9–1,4 Millionen Nephrone pro Niere gleichzeitig, sonst würde ja gleich eine terminale Niereninsuffizienz auftreten. Vielmehr werden immer nur einzelne Nephrone geschädigt. Da die individuelle Schwankungsbreite der Nephronen-Anzahl pro Niere relativ groß ist und unter anderem mit dem Geburtsgewicht und Erkrankungen der Mutter, wie beispielsweise einem Diabetes mellitus, korreliert, ist eine niedrige Nephronen-Anzahl daher per se ein erhöhtes Risiko für Nierenerkrankungen und stellt eine nicht veränderbare Präposition für Nierenerkrankungen dar [1].
Barry Brenner und Mitarbeiter postulierten vor über 40 Jahren eine These, dass die Schädigung einzelner Nephrone dazu führt, dass in den nicht geschädigten Nephronen kompensatorische Mechanismen greifen, um die Nierenfunktion aufrechtzuerhalten [2]. So kommt es beispielsweise in den verbleibenden intakten Nephronen zu einer sogenannten Hyperperfusion und Hyperfiltration mit anfangs gesteigerter glomerulärer Filtrationsrate des einzelnen Nephrons (sog. Single-Nephron-GFR). Diese Effekte sind hauptsächlich durch Angiotensin II verursacht, welches zu einer Konstruktion des Vas efferens führt und hierdurch den transglomerulären Druck erhöht. Durch diese Hyperfiltration und Hyperperfusion kommt es nach der These von Brenner und Mitarbeitern zu Wachstumsprozessen, die letztendlich zur glomerulären Hypertrophie führen und über die verstärkte tubuläre Rückresorption auch zu einer Tubulushypertrophie. Diese initial zur Aufrechterhaltung der Nierenfunktion beitragenden Mechanismen führen jedoch längerfristig zu einer Maladsorption und chronischen Schädigung der restlichen Nephrone, da es beispielsweise durch die tubuläre Readsorption von Wachstumsfaktoren, aber auch von Proteinen, zu einer Tubulusentzündung mit Fibrose kommen kann. Nach der These von Brenner und Mitarbeitern sind diese adaptiven Mechanismen rein durch die veränderten hämodynamischen Mechanismen verursacht [2].
Unsere Arbeitsgruppe konnte vor 35 Jahren erstmalig zeigen, dass Angiotensin II direkte Wachstumseffekte auf proximale Tubuluszellen der Niere hat [3]. Es kommt zu einer Tubulushypertrophie durch die Induktion von Transforming Growth Factor Beta (TGF-β) und schließlich auch zu einer Tubulusfibrose [4]. Hierbei spielt die Induktion von Zellzyklusinhibitoren, wie p27Kip1 eine entscheidende Rolle [5]. In weiteren Studien konnten wir, aber auch andere Arbeitsgruppen, zeigen, dass Angiotensin II auf die Niere proinflammatorische Effekte hat, die zu einer Ausschüttung von Zytokinen führen und damit verbunden zu einer Einwanderung von Monozyten-Makrophagen und letztendlich zu einer tubulointerstitiellen Nephritis führt, welche die Niere weiter schädigt [6]. Schließlich kommt es auch zur Umwandlung von Tubulusepithelzellen in Myofibroblasten (sog. EMT). Hierbei kommt es schließlich zu einer Zerstörung der Nephrone mit Glomerulosklerose, progressiver tubulointerstitielle Fibrose und Tubulusatrophie. Funktionell wird dieser Prozess von einer fortschreitenden Reduktion der glomerulären Filtrationsrate (GFR) begleitet, die bis hin zur terminalen dialysepflichtigen Niereninsuffizienz führen kann [7]. Es zeigt sich also, dass ein Zusammenspiel zwischen hämodynamischen Mechanismen, aber auch direkten Effekten von Angiotensin II zu dieser Progression von chronischen Nierenerkrankungen führt. Daher sind ACE-Hemmer (ACE: Angiotensin Converting Enzyme) weiterhin ein grundlegender Bestandteil einer Therapie zur Verhinderung der Progression von chronischen Nierenerkrankungen, selbst für Patienten mit Normotonie.
Im vorliegenden Heft von „Nephrologie aktuell“ sind einige aktuelle Aspekte zum Thema Progression von chronischen Nierenerkrankungen dargestellt. Bis vor kurzem waren ACE-Hemmer bzw. Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker (Sartane) die einzige Möglichkeit, eine Progression von chronischen Nierenerkrankungen zu hemmen. Neue Medikamente, die primär bei Patienten mit diabetischer Nephropathie eingesetzt worden sind, wie SGLT-2-Hemmer (SGLT-2: Natrium-Glukose-Kotransporter-2), aber auch GLP-1-Agonisten (GLP-1: Glukagonähnliches-Peptid-1), führen ebenfalls zu einer Verringerung der Progression – interessanterweise auch bei Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen, die nicht an Diabetes mellitus leiden. Ein Überblick über diese Medikamente geben Dr. Christian Gerdes und Prof. Dr. Gunter Wolf, Jena.
Störungen des Mineral- und Knochenhaushaltes bei chronischen Nierenerkrankungen bezeichnet die Alteration des Mineralhaushaltes sowie des Knochenstoffwechsels bei chronischen Nierenerkrankungen und wird als „Chronic Kidney Disease – Mineral and Bone Disorder“ (CKD-MBD) bezeichnet. Diese Veränderungen betreffen allerdings nicht nur den Knochenhaushalt allein, sondern führen auch zu einer verstärkten Progression von chronischen Nierenerkrankungen und erhöhen die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität von Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen. Dr. Johannes Ruhe, Prof. Dr. Martin Busch und Prof. Dr. Gunter Wolf, Jena, geben einen Überblick über die Mechanismen der CKD-MBD und Progression von chronischen Nierenerkrankungen.
Eine erfolgreiche Nierentransplantation ist das beste Nierenersatzverfahren und wirkt lebensverlängernd. Allerdings können auch transplantierte Nieren durch vielfältige Faktoren geschädigt werden. Prof. Dr. Mario Schiffer, Erlangen, stellt Strategien vor, wie transplantierte Nieren nach einer Transplantation am besten geschützt werden können, um einem Transplantatversagen vorzubeugen.
Ngoc Dong Nhi Vo, Prof. Dr. Gunter Wolf und PD Dr. Ivonne Löffler, Jena, geben einen Überblick über die verschiedenen pathophysiologischen Mechanismen, die zur Progression von chronischen Nierenerkrankungen führen. Ein pathophysiologisches Verständnis ist wichtig, um auch entsprechend die Therapiekonzepte einschätzen zu können.
Wir hoffen, mit diesem Heft dem praktisch tätigen Nephrologen für das wichtige Thema „Progression von chronischen Nierenerkrankungen“ von der Pathophysiologie bis hin zu praktischen Medikamenten-Tipps ein breites Spektrum von Empfehlungen geben zu können. Sollte nach der Lektüre das Fortschreiten einer chronischen Nierenerkrankung zur Dialysepflichtigkeit verlangsamt werden können, hätte das Heft seinen Sinn erfüllt.
Publication History
Article published online:
21 July 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Sutherland MR, Black MJ. The impact of intrauterine growth restriction and prematurity on nephron endowment. Nat Rev Nephrol 2023; 4: 218-228
- 2 Brenner BM. Nephron adaptation to renal injury or ablation. Am J Physiol 1985; 249: F324-F337
- 3 Wolf G, Neilson EG. Angiotensin II induces cellular hypertrophy in cultured murine proximal tubular cells. Am J Physiol 1990; 259: F768-F777
- 4 Wolf G, Mueller E, Stahl RA. et al. Angiotensin II-induced hypertrophy of cultured murine proximal tubular cells is mediated by endogenous transforming growth factor-beta. J Clin Invest 1993; 92: 1366-1372
- 5 Wolf G, Jablonski K, Schroeder R. et al. Angiotensin II-induced hypertrophy of proximal tubular cells requires p27Kip1. Kidney Int 2003; 64: 71-81
- 6 Wolf G, Wenzel U, Burns KD. et al. Angiotensin II activates nuclear transcription factor-kappaB through AT1 and AT2 receptors. Kidney Int 2002; 61: 1986-1995
- 7 Loeffler I, Wolf G. Epithelial-to-Mesenchymal Transition in Diabetic Nephropathy: Fact or Fiction?. Cells 2015; 4: 631-652