Neonatologie Scan 2025; 14(03): 177-178
DOI: 10.1055/a-2603-6874
Editorial

Antibiotika und Sepsis – wann und wie lange behandeln?

Axel Hübler
,
Roland Hentschel
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Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

die Neugeborenensepsis ist unverändert eine der häufigsten Diagnosen in der Neonatologie. Zugleich ist sie eine der größten Gefahren für das Überleben überhaupt, bzw. das Überleben ohne Residualschäden, wenn es sich um sehr unreife Frühgeborene handelt. Die zwei wichtigsten Säulen der erfolgreichen Therapie sind eine frühzeitige Diagnostik und eine sofortige antibiotische Behandlung.

In der Januar-Ausgabe des Jahres 2023 hatten wir schon einmal den geänderten Umgang mit Antibiotika an Hand internationaler Studien im Fokus, die Überschrift damals lautete: “Weniger ist oft mehr!“.

Diese Überschrift passt auch für dieses Editorial, denn auch in dieser Ausgabe referieren wir drei wichtige internationale Veröffentlichungen, die sich erneut der rationalen Antibiotikatherapie auf neonatologischen Stationen widmen.

In dem Beitrag von Flannery et al. aus ADCFN wird auf Basis einer Analyse von fast 37.000 Frühgeborenen unter 1000 Gramm Geburtsgewicht aus 402 Kliniken die Trendumkehr zwischen 2009 und 2021 in den USA deutlich: eine deutliche Reduktion der Antibiotika-Gabe von 337 auf 210 pro 1000 Patiententage. Bei nahezu gleicher Behandlungsrate kommt dies einer drastisch kürzeren Behandlungsdauer pro Patient gleich – ohne schwere Nachteile für die Patienten, denn die Letalität blieb unverändert. Allein im Hinblick auf die Anzahl der untersuchten Fälle ist diese Studie unübersehbar!

In der ebenfalls in diesem Heft referierten Studie von Lewis et al. wird der Prozess beschrieben, wie ein solches Umdenken in relativ kurzer Zeit erreicht werden kann: durch Fortbildungen des gesamten Teams, Fallanalysen, lokale Leitlinienentwicklung und interdisziplinäre Prüfungsrunden mit Einzelfalldiskussionen. Auch hier war das Ergebnis eine drastische Reduktion der Antibiotika-Behandlungstage in der Gesamtkohorte, die Autoren konnten den Effekt aber noch weiter eingrenzen: es waren die uns allen gut bekannten Verdachtsfälle einer Early-Onset-Sepsis, bei denen die Behandlungsdauer sich auf ein Viertel (!) senken ließ.

Die Arbeit von Paul et al. aus Pediatrics schließlich kommt bei einem identischen Ansatz zum gleichen Ergebnis: auch hier war der Effekt bei kultur-negativen Sepsisfällen mit einer Reduktion der Antibiotikatage von 22 auf 8 pro 1000 Patiententage gewaltig.

Dies lässt unterschiedliche Schlussfolgerungen zu, bzw. wirft neue Fragen auf:

  1. Sind die Stärken des klinischen Teams aus Neonatologen und Pflegekräften, das bereits frühzeitige Veränderungen im klinischen Erscheinungsbild nach der Geburt entdeckt und sofort behandelt, zugleich seine Schwäche – es kommt zu einer Übertherapie, da gar keine klinische Sepsis vorlag?

  2. Sind die im Wesentlichen von mikrobiologischer Forschung und einem gewissen klinischen Sicherheitsaspekt dominierten früheren Festlegungen von Behandlungszeiten bei der Neugeborenensepsis zu großzügig bemessen, weil in vivo die Abtötung von Bakterien schneller funktioniert?

  3. Ist trotz der bekanntermaßen deutlich reduzierten humoralen und zellulären Immunabwehr im Neugeborenenalter (und dies insbesondere auch noch in Abhängigkeit vom Reifegrad) das Abwehrsystem doch schlagkräftiger als allgemein angenommen und benötigt oftmals gar keine antibiotische Therapie bis zur endgültigen Keimfreiheit?

Ob wir in Deutschland genauso weit sind, wie in den oben zitierten Institutionen, ob wir den Erkenntnissen hinterherhinken, oder sogar schon weiter sind – niemand weiß es genau. Zu unterschiedlich sind im internationalen Vergleich klinische Strukturen, Erfassungsraten, Definitionen für Diagnosen und Behandlungen, aber auch Antibiotikaregime.

Helfen würde uns jedenfalls eine Labormethode, die, unabhängig von deren Spezifität, hoch-sensitiv und spezifisch vermehrungsfähige Erreger bzw. deren biologische Signaturen, z.B. nicht-kodierende RNA-Abschnitte, nachweist. Seit vielen Jahren wird daran geforscht, ein Durchbruch deutet sich aber noch nicht an.

Erinnert werden sollte deshalb zumindest noch einmal an die vor einigen Jahren in Lancet publizierte RAIN-Studie. Diese hat gezeigt, dass es möglich ist, bei reifen Neugeborenen und späten Frühgeborenen nach 48 bis 72 Stunden einer intravenösen Behandlung auf Amoxicillin/Clavulansäure oral umzusteigen, ohne Nachteile für den Patienten befürchten zu müssen.

Dies eröffnet die Möglichkeit einer früheren Entlassung des Neugeborenen, bzw. zumindest einer Zusammenführung von Mutter und Kind in den Kliniken, in denen kein Rooming-in möglich ist.

Herzlichst,

Ihre Herausgeber

PD Dr. med. Axel Hübler
Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Klinikum Chemnitz gGmbH, Chemnitz, Deutschland

Prof. Dr. med. Roland Hentschel
Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Freiburg, Deutschland



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
01. September 2025

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