Open Access
CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2025; 85(11): 1203-1214
DOI: 10.1055/a-2641-7664
GebFra Science
Original Article

Management pränatal diagnostizierter Fehlbildungen des zentralen Nervensystems (ZNS): Einflussfaktoren auf die Entscheidungsfindung und den Zeitpunkt der Schwangerschaftsbeendigung

Article in several languages: English | deutsch

Authors

  • Christine Ibold

    1   Gynäkologie, Sana Kliniken Leipziger Land, Borna, Germany (Ringgold ID: RIN62478)
  • Massimiliano Lia

    2   Abteilung für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany (Ringgold ID: RIN9180)
  • Holger Stepan

    2   Abteilung für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany (Ringgold ID: RIN9180)
  • Renaldo Faber

    3   Zentrum für Pränatale Medizin Leipzig, Leipzig, Germany
  • Sabine Riße

    3   Zentrum für Pränatale Medizin Leipzig, Leipzig, Germany
  • Andreas Merkenschlager

    4   Neuropädiatrie, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany (Ringgold ID: RIN9180)
  • Susanne Schrey-Petersen

    2   Abteilung für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany (Ringgold ID: RIN9180)

Zusammenfassung

Einleitung

ZNS-Fehlbildungen gehören zu den häufigsten pränatal diagnostizierten Fehlbildungen und sind eine Hauptursache für späte Schwangerschaftsabbrüche. Die Diagnosestellung und prognostische Beratung sind komplex. Ziel dieser Studie war die Analyse von Schwangerschaftsausgängen in Bezug auf spezifische Fehlbildungen, Einflussfaktoren auf die Entscheidungsfindung und die Dauer zwischen Diagnose und Abbruch sowie von Ursachen später Diagnosen oder besonders später Abbrüche.

Patient*innen und Methode

Es erfolgte eine retrospektive Untersuchung aller an einem Perinatalzentrum zwischen 2003 und 2014 betreuten Schwangerschaften mit fetaler ZNS-Fehlbildung. Erfasst wurden Abbruchraten, Art der Fehlbildung und Gestationsalter bei Erstdiagnose und Abbruch. Statistisch analysiert wurden Einflussfaktoren auf die Entscheidungsfindung sowie die Zeitdauer zwischen Diagnose und Abbruch. Für Abbrüche ab 26+0 SSW erfolgte eine Einzelfallanalyse.

Ergebnisse

In 139 von 251 Fällen (55,44%) wurde die Schwangerschaft zwischen 13+1 und 38+2 SSW abgebrochen (Median 22+4 SSW). Der Zeitraum zwischen Erstdiagnose und Abbruchbeginn (ΔAbbruch) betrug im Median 10 Tage (Spanne: 1 bis 94 Tage). Relevante Einflussfaktoren auf die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch stellten die Art der Fehlbildung im Vergleich zur isolierten Ventrikulomegalie (nicht-isolierten ACC (aOR 17,5; p < 0,001), Holoprosenzephalie (aOR 24,4; p < 0,001) Spina bifida (aOR 7,24; p < 0,001), übrigen Neuralrohrdefekten (aOR 62,5; p < 0,001) sowie das Vorhandensein zusätzlicher genetischer Auffälligkeiten (aOR 6,38; p = 0,014) dar. Seltener war die Entscheidung zum Abbruch bei Diagnosestellung ab der 22+0 SSW (aOR 0,24; p < 0,001). Signifikante Einflussfaktoren auf die Dauer zwischen Diagnose und Abbruchsbeginn (ΔAbbruch) waren: Durchführung eines fetalen MRT (HR 0,41; p = 0,003), maternales Alter (HR 0,95 pro zusätzliches Jahr; p = 0,034). Hingegen war dieses Intervall signifikant verkürzt, wenn eine destruktive Veränderung (HR 10,5; p = 0,004) oder ein (Non-Spina-bifida-)Neuralrohrdefekt (HR 3,86; p = 0,002) vorlag. Eine bekannte Chromosomenaberration (p = 0,87), Anomalien außerhalb des ZNS (p = 0,58) oder eine Diagnose ≥ 22+0 SSW (p = 0,74) waren nicht mit der Dauer bis zum Abbruch assoziiert. Die Analyse besonders später Abbrüche ab 26+0 SSW ergab nur in einzelnen Fällen Hinweise auf eine vermeidbare Verzögerung der Diagnose oder des Abbruchs.

Schlussfolgerung

Die diagnostische und prognostische Komplexität zerebraler Fehlbildungen führt selbst unter optimalen Betreuungsbedingungen häufig zu späten Diagnosen und verzögerten Entscheidungen. Eine standardisierte und frühzeitig eingeleitete pränataldiagnostische Abklärung kann Schwangeren eine ergebnisoffene und informierte Beratung zu einem möglichst frühen Zeitpunkt ermöglichen. Eine besonders späte Schwangerschaftsbeendigung ist jedoch nicht zwangsläufig als negativ zu bewerten, da sie in der Mehrzahl der Fälle auf die Erforderlichkeit einer differenzierten pränataldiagnostischen Abklärung – etwa durch ein fetales MRT – sowie auf die ethisch gebotene Notwendigkeit einer ausreichend langen Phase für eine informierte und emotional reflektierte Entscheidungsfindung zurückzuführen ist.



Publication History

Received: 14 February 2025

Accepted after revision: 22 June 2025

Article published online:
02 September 2025

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