retten! 2025; 14(05): 293
DOI: 10.1055/a-2643-2066
Editorial

Obstruktive Atemwegserkrankungen – wenn die Luft immer knapper wird

Autor*innen

  • Sönke Müller

„Zunehmende Dyspnoe bei bekannter COPD bzw. bekanntem Asthma“ – eine typische Meldung auf dem Funkmeldeempfänger, vorzugsweise in den frühen Morgenstunden. Diese Alarmierung lässt vor dem inneren Auge jedes Rettungsdienstbeteiligten sofort die weitgespannten Szenarien der möglichen Vorfindesituationen bei diesen Krankheitsbildern ablaufen: von der leichten Obstruktion bis hin zum unmittelbar bevorstehenden Atemstillstand des Patienten aufgrund einer zunehmenden Erschöpfung der Atemmechanik. Atemnot: Sie ist sichtbar, hörbar, spürbar – für Patienten wie für das Einsatzteam gleichermaßen. Und sie erfordert ein gut abgestimmtes präklinisches Handeln.

Die beiden Fachwissen-Beiträge dieses Heftes führen uns eindrucksvoll vor Augen, dass die Ära des schematischen „Bronchospasmus-Protokolls“ vorbei ist. Moderne Präklinik verlangt ein tieferes Verständnis der Pathophysiologie – und die Fähigkeit, Therapieentscheidungen flexibel an klinische und technische Möglichkeiten anzupassen.

Beim akuten Asthmaanfall ist die Herausforderung oft die Zeit. Wenige Minuten entscheiden darüber, ob der Patient in die Erschöpfung gleitet oder stabilisiert werden kann. Der Autor Koszik zeigt, wie präklinische Teams heute Leitlinienwissen und Technologie zu einem schlagkräftigen Konzept verbinden: von der frühzeitigen Gabe systemischer Glukokortikoide über die gezielte Inhalationstherapie bis hin zum Einsatz von Point-of-Care-Ultraschall (POCUS) zur sicheren Differenzialdiagnose. Dass ein einfaches Bild vom „Lungengleiten“ vor einer fatalen NIV-Anwendung schützen kann, verdeutlicht, wie diagnostische Kompetenz Leben rettet.

Die Kollegen Greulich, Pillkowsky und Tiesmeier rücken das Management chronisch obstruktiver Atemwegserkrankungen (COPD) in den Fokus. Denn während Asthma häufig in akuten Eskalationen auftritt, begegnet uns die COPD im Rettungsdienst als „stille Begleiterin“ – schleichend verschlechtert, oft mehrfach im Jahr. Ihr Beitrag erinnert daran, dass hinter jeder Exazerbation eine komplexe Spirale aus Entzündung, Infektion, Ventilationsstörung und psychosozialer Belastung steht. Präklinisch heißt das: frühzeitig Hypoxämie erkennen, zielgerichtet Sauerstoff titrieren und mit Feingefühl zwischen COPD und Asthmaeskalation unterscheiden.

Die Therapie obstruktiver Atemwegserkrankungen ist ein Spiegel dafür, wie sich moderne Notfallmedizin weiterentwickelt. Technische Innovationen wie POCUS, telemedizinische Unterstützung und Endotyp-basierte Therapieansätze müssen erlernt und verantwortungsvoll genutzt werden. Gleichzeitig dürfen aber die Basics wie die richtige Interpretation des Atemgeräuschs, der Atemarbeit, der Hautfarbe und der Anamnese nicht vernachlässigt werden.

Luft ist Leben, Atemnot ist lebensbedrohend – stellen Sie die Weichen richtig!

Sönke Müller



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
25. November 2025

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