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DOI: 10.1055/a-2646-6669
Eingriffe an Hals, Ösophagus und Mediastinum
Autoren
Chirurgie der Schilddrüse
J. Abrams
Die Chirurgie der endokrinen Halsorgane ist ein gemeinsames Arbeitsgebiet von HNO-Heilkunde, Viszeralchirurgie und endokriner Chirurgie. Jeder Eingriff in diesem sensiblen Gebiet kann neben den allgemeinen und speziellen operativen Risiken weitreichende Folgen für den Hormonhaushalt und den Kalziumhaushalt haben. Zum Verständnis der Chirurgie der endokrinen Halsorgane sind differenzierte anatomische, physiologische und endokrinologische Erkenntnisse unabdingbar.
Topografie und chirurgische Anatomie der Schilddrüse
Die Schilddrüse besteht aus 2 symmetrischen Lappen, die über den Isthmus etwa 2 cm kaudal des laryngotrachealen Übergangs miteinander verbunden sind. Allseits umgeben ist sie von der Capsula fibrosa, die für die Schilddrüsenchirurgie eine besondere Bedeutung hat. So ist unter Wahrung dieser Kapsel die Resektion der Schilddrüse ohne wesentliches Blutungsrisiko möglich. Beide Schilddrüsenlappen sind an der Vorder- und Seitenwand der Trachea durch fibröses Bindegewebe fixiert. Der kraniale Teil der Schilddrüse ist meist auf Höhe der Cartilago thyreoidea zu finden. Die kaudale Begrenzung liegt typischerweise 1 cm unterhalb der Einmündung der Arteria thyreoidea inferior. Laterodorsal sind die Gefäß-Nerven-Scheide der Arteria carotis communis sowie lateroventral der Musculus sternocleidomastoideus lokalisiert. Die dorsale Begrenzung liegt etwa auf Höhe des Sulcus oesophagotrachealis.
Arterielle Versorgung
Die Schilddrüse erhält im Regelfall ihre Blutversorgung beiderseits von je 2 großen Arterien: die Arteria thyreoidea superior als 1. Ast der Arteria carotis externa und die Arteria thyreoidea inferior, die aus dem Truncus thyreocervicalis entspringt.
Die obere Schilddrüsenarterie teilt sich in Höhe des kranialen Pols in einen ventralen und dorsalen Ast. Der dorsale Ast ist dünner ausgebildet und verläuft meist an der Hinterseite der Schilddrüse nach kaudal, um mit einem Ast der kaudalen Schilddrüsenarterie zu anastomosieren. Der ventrale Ast der oberen Schilddrüsenarterie anastomosiert in vielen Fällen mit der Arterie der Gegenseite in Höhe des kranialen Schilddrüsenanteils.
Die untere Schilddrüsenarterie weist einen kurvenartigen Verlauf auf. Sie steigt entlang des vorderen Scalenusmuskels nach kranial und wendet sich dann nach medial-dorsal der Arteria carotis und des Truncus sympathicus. Medial der Arterie verläuft sie entlang des Musculus longus colli nach kaudal und erreicht dann den unteren Pol der Schilddrüse. Chirurgisch wichtig sind der häufig enge Kontakt mit dem Nervus laryngeus recurrens kurz vor Eintritt in die Drüse und die gemeinsame Blutversorgung der beiden Nebenschilddrüsen. An der medialen Kreuzungsstelle mit der Arteria carotis findet sich auch der sogenannte de Quervain-Punkt, an dem die zentrale Abbindung des Arterienstamms jenseits des Truncus thyreocervicalis erfolgen kann.
In seltenen Fällen (1–3 %) findet sich noch eine Arteria thyreoidea ima. Sie steigt an der Vorderseite der Trachea nach kranial und versorgt sowohl die Trachea als auch die Schilddrüse.
Venöser Abfluss
Es existieren 3 wesentliche venöse Drainagewege aus der Schilddrüse. Die obere Schilddrüsenvene verlässt die Schilddrüse am oberen Schilddrüsenpol und begleitet die obere Schilddrüsenarterie. Sie mündet dann direkt in die gleichseitige Vena jugularis interna. Die mittlere(n) Vene(n) (Kocher-Vene) drainiert (-en) unbegleitet in die gleichseitige Vena jugularis. Durch leichten Zug an der geraden Halsmuskulatur und Halsgefäßscheide kann sie angespannt, dargestellt und dann durchtrennt werden. Alle inferioren Venen verlassen die Schilddrüse aus dem gleichseitigen Schilddrüsenlappen. Die rechte Vene zieht nach inferior-lateral und drainiert vor dem Truncus brachiocephalicus in die rechte Vena brachiocephalica. Die linke Vene zieht vor der Trachea nach kaudal, um dann links in die Vena brachiocephalica einzumünden. Die Venen bilden vor der Trachea häufig multiple Anastomosen aus. Bei einem Wachstum der Schilddrüse nach retrosternal ist der Kontakt der Schilddrüse zur Vena brachiocephalica zu beachten.
Lymphabfluss
Die Lymphabflussgefäße der Schilddrüse lassen sich in eine kraniale und kaudale Gruppe einteilen. Der kraniale Anteil verläuft mit den oberen Schilddrüsengefäßen am kranialen Schilddrüsenpol und wird in die Nodi lymphatici craniales gefiltert. Ein weiterer Abfluss erfolgt über die Nodi lymphatici praelaryngeales („Delphi-Lymphknoten“). Das kaudale Lymphabflussgebiet wird in einen lateralen und einen medialen Teil unterteilt. Der laterale Anteil drainiert den Schilddrüsenseitenlappen und folgt der Vena thyreoidea mediana (Kocher). Er wird in die Nodi lymphatici jugulares caudales drainiert. Der mediale Anteil entspringt dem Schilddrüsenisthmus und dem unteren Schilddrüsenpol. Er wird zunächst in die Nodi lymphatici prae- und paratracheales drainiert. Der Abfluss erfolgt über die Nodi lymphatici jugulares caudales und die Nodi lymphatici mediastinales craniales. Da Verbindungen der Lymphwege über die Mittellinie hinweg bestehen, ist prinzipiell eine Metastasierung von Tumorzellen nach kontralateral möglich.
Anatomische Besonderheiten der Schilddrüsenchirurgie
Die Grenzlamelle
Die Nervengefäßleitplatte des Halses ist von einer dünnen Bindegewebsfaszie, einer Grenzlamelle, bedeckt. Diese liegt den dorsalen 2/3 und der medialen (trachealen) Seite der Schilddrüse an. Sie reicht von der mittleren Halsfaszie lateral bis an die Verankerung der Schilddrüse der Trachea (Berry-Ligament, Gruber-Aufhängeband). Die Schilddrüse ist sozusagen auf die Nervengefäßleitplatte und deren Grenzlamelle gelegt. Die Grenzlamelle weist lediglich an der Schilddrüsenwurzel eine Öffnung auf. Die Präparation der Schilddrüse erfolgt auf der Grenzlamelle. Das Auslösen der Schilddrüse erfolgt im Wesentlichen zwischen Capsula propria (Organkapsel der Schilddrüse) und der Grenzlamelle.
Berry-Ligament (Gruber-Aufhängeband) und dessen anatomische Verbindungen, Schilddrüsenhilus
Die Kenntnis des Berry-Ligaments (Schilddrüsenhilus) und seiner umgebenden Strukturen ist essenziell ([Abb. 1, ] [Abb. 2]). Es liegt im posteriomedialen Anteil der Schilddrüse und ist im Bereich des Cricoids und der oberen 2 Trachealringe lokalisiert. Anatomisch handelt es sich um eine Verdichtung der prätrachealen Faszie mit Einschlüssen von Schilddrüsenzellen. Es verbindet die Trachea fest mit der Schilddrüse (Schilddrüsenhilus). Seine Existenz ist einer der Gründe, warum sich die Schilddrüse beim Schluckakt mitbewegt. Der in der Nähe verlaufende Nervus laryngeus recurrens ist bei der Medialrotation der Schilddrüse gegen Ende der Operation durch ein Abknicken des Nervs gefährdet. Kaudal des Ligaments teilt sich der Nervus recurrens in vielen Fällen in einen ventralen und einen dorsalen Ast. Erschwert wird die Präparation im Bereich des Berry-Ligaments zudem durch perforierende Blutgefäße aus der Arteria thyreoidea inferior, bei deren Präparation es zu teilweise heftigen, nervennahen und daher schwer stillbaren Blutungen kommen kann („criminal artery“) ([Abb. 1]).




Nervus laryngeus recurrens
Der Nervus laryngeus recurrens ist ein Ast des Nervus vagus und versorgt die Kehlkopfmuskulatur, mit Ausnahme des Musculus cricothyreoideus. Er ist ebenfalls verantwortlich für die sensible Versorgung der infraglottischen Schleimhaut. Sein Verlauf ist sehr variabel. Rechts zieht er unter der Arteria subclavia zurück nach medial, während er links in einem deutlich längeren Verlauf unterhalb des Arcus aortae zurück nach medial in die tracheoösophageale Rinne zieht. Der Verlauf entlang der tracheoösophagealen Rinne ist links konstanter als rechts (ca. 80 % vs. 65 %). Rechts liegt er lateral und anterior zur Trachea. Der weitere Verlauf im Bereich der tracheoösophagealen Furche ist beidseits gleich. Der Nerv verläuft jeweils hinter dem ipsilateralen Cornu inferior des Larynx, nachdem er zuvor dorsal zum Berry-Ligament oder durch das Berry-Ligament hindurchgezogen ist. Ein Nervus nonrecurrens ist sehr selten (0,5–0,7 % rechts, 0,04 % links).
Nervus laryngeus superior
Der Nervus laryngeus superior („Nerv der Amelita-Galli-Curci“) kommt aus dem Nervus vagus und versorgt mit seinem externen Ast den Musculus cricothyreoideus. Aufgrund seines engen Kontaktes zu den Gefäßen am oberen Pol kann er bei deren Präparation leicht beschädigt werden. Die verschiedenen Verlaufsformen sind in [Abb. 3] ersichtlich. Der Verlauf Typ IIb soll bei bis zu 54 % aller Strumen vorliegen ([Abb. 3]). Durch frühzeitige intraoperative Luxation des oberen Pols und Nutzung des Neuromonitorings kann der Nerv in den allermeisten Fällen dargestellt und geschont werden.


Nebenschilddrüsen
Die 4 Nebenschilddrüsen sind die zentralen Organe der Kalziumhomöostase. Die oberen und die unteren Nebenschilddrüsen weisen eine unterschiedliche ontogenetische Entwicklung auf. Während die oberen Nebenschilddrüsen aus der vierten Schlundtasche stammen und dort verbleiben, wandern die unteren Nebenschilddrüsen während der Ontogenese von der dritten Schlundtasche mit dem Thymus an ihre letztendliche Position in Höhe der unteren Schilddrüse. Das erklärt die relative Konstanz der Lage der oberen Nebenschilddrüsen und die Variabilität und Thymusnähe der unteren Nebenschilddrüsen. So ist bei 80 % der Menschen die Lage der oberen Nebenschilddrüsen konstant, während die unteren Nebenschilddrüsen lediglich in 40 % lagekonstant sind. Die unteren Nebenschilddrüsen lassen sich präparatorisch häufig im Ligamentum thyreothymicum finden. Eine anatomische Hilfsebene bildet das Planum des Nervus laryngeus recurrens. Die obere Nebenschilddrüse ist regelhaft dorsal davon aufzufinden und kaudal im hinteren Mediastinum (I), die untere vor dem Planum und kaudal im vorderen Mediastinum (II, [Abb. 4]). Die Blutversorgung aller Nebenschilddrüsen erfolgt im Normalfall über die Arteria thyreoidea inferior, somit ist die stammnahe Unterbindung dieser Arterie zu vermeiden, da dadurch die Blutversorgung aller Nebenschilddrüsen der betroffenen Seite gefährdet ist.


Zuckerkandl-Tuberkulum
Das Zuckerkandl-Tuberkulum findet sich bei 2 Drittel aller Schilddrüsen im krikotrachealen Winkel. Es ist eine wichtige Landmarke bei der Darstellung des Nervs, der konstant dorsal hiervon identifiziert werden kann und dort in den Larynx eintritt. Das Zuckerkandl-Tuberkulum kann sowohl ein Grund für Schluckbeschwerden sein, wie auch seine Belassung häufig eine Ursache für ein Strumarezidiv ist ([Abb. 5]).


Rettinger G, Hosemann W, Hüttenbrink KW, Werner JA (Hrsg.). HNO-Operationslehre – Mit allen wichtigen Eingriffen. Stuttgart: Thieme 5., vollständig überarbeitete Auflage 2017. doi:10.1055/b-004–140 287
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
03. November 2025
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