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DOI: 10.1055/a-2650-8760
Wie viele Menschen mit Diabetes leben weltweit?
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Die Frage mag abstrakt klingen, weil jeder meint, das müsste doch epidemiologisch erfassbar sein, aber dem ist so nicht. Zum Weltdiabetes-Tag letztes Jahr hat die WHO Zahlen veröffentlicht, die 2025 von 830 Millionen Menschen mit Diabetes mellitus ausgehen. Die Internationale Diabetes-Gesellschaft dagegen hat auf ihrem Weltkongress in Bangkok von 589 Millionen Menschen gesprochen. Wie kann das sein? Wie kann es sein, dass 2 große wissenschaftlich fundierte Organisationen so unterschiedliche Zahlen darstellen? Noch verrückter ist es, dass durch die WHO-Zahlen alleine in Indien 120 Millionen mehr Diabetiker zu finden sind, durch die IDF-Zahlen allerdings 6 Millionen weniger. Der Wissenschaftler würde sagen, die beiden großen Gesellschaften wissen nicht, was sie tun. Schaut man sich die Daten aber im Detail an, ergibt sich ein sehr interessantes Bild. Die WHO nutzte über 1000 Studien, um die Zahl zu eruieren und fokussierte bei den diagnostischen Kriterien auf die Nüchternglukose und den HbA1c.
Die Internationale Diabetes-Gesellschaft dagegen nutzte etwa 400 Studien und fokussierte vorwiegend auf Daten aus oralen Glukosetoleranztests. Versucht man, die wissenschaftliche Herangehensweise zu vergleichen, war es in beiden Projekten gleichartig. Man muss am Ende konstatieren, dass beide Gesellschaften recht hatten, allerdings eben unterschiedliche Diagnosekriterien genutzt haben. Was heißt das für uns? Schaut man sich die einzelnen Diagnosekriterien für Diabetes auf Nüchternglukose, postprandiale Glukose, HbA1c und OGTT an, dann überlappen diese Werte hinsichtlich ihrer diagnostischen Güte in Nordamerika und Europa sehr gut. Analysiert man allerdings die Qualität in Südostasien, überlappen OGTT-Daten als auch Nüchternglukose und HbA1c nur zu etwa einem Drittel. Es gibt eine Vielzahl von Publikationen, die von zufällig erhöhten Nüchternglukose-Werten in Südostasien berichten, die aber kein Diabetes-Korrelat darstellen. Das kann diagnostische Ungenauigkeit sein oder eine andere Physiologie, die auf einer hohen Belastung durch Leberfett beruht. Genauso ist auch der HbA1c in Südostasien durch eine ganz andere – und in der Regel höhere – Prävalenz von Erkrankungen, die den HbA1c beeinflussen, gekennzeichnet. Aus diesem Grund kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Overreporting von Diabetesfällen in Südostasien durch die WHO. Allerdings im Gegensatz dazu bei IDF eher zu einem Underreporting.
Was heißt das für uns? Es macht keinen Sinn, dass es weltweit so unterschiedliche Standards für die Diabetesdiagnose gibt, die sich dann auch noch in ihrer Güte unterscheiden. Allerdings erleben wir im Moment gerade, dass es sehr viel Unterstützung für den 1-Stunden-Glukose-Wert gibt. In den Konsensusgruppen der ADA und EASD wird der 1-Stunden-Glukose-Wert als ein sehr solider und evidenzbasierter Parameter sowohl für eine Prädiabetes- als auch für eine Diabetesdiagnose gehandelt. Kommt dieser noch dazu, müssen wir von 5 Kriterien reden und das macht dann noch viel weniger Sinn.
Es besteht der dringende Bedarf, die Kriterien für die Diabetesdiagnose weltweit zu harmonisieren und mit einem für alle verbindlichen diagnostischen Standard vorzugehen. Gerade jetzt, wo auch der Typ-5-Diabetes immer mehr Interesse weckt und mit der Neueinführung einer solchen Diabetesform ganz klare und nachvollziehbare Diagnosekriterien nötig sind ist es umso wichtiger, Klarheit in die Diabetesdiagnose zu bringen. Die Internationale Diabetesgesellschaft hat vor einigen Tagen eine solche Arbeitsgruppe, an denen alle anderen großen Partner (WHO, ADA, EASD, WDF) teilnehmen, ins Leben gerufen.
Ihre Antje Bergmann und Peter Schwarz
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
15. Oktober 2025
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