Diabetes aktuell 2025; 23(07): 295
DOI: 10.1055/a-2664-6993
Editorial

Die Zwillingszyklus-Hypothese – Schlüssel zu Verständnis und Remission des Typ-2-Diabetes

Authors

  • Antje Bergmann

  • Peter Schwarz

Selten gelingt es einer wissenschaftlichen Hypothese, das kollektive Verständnis einer chronischen Erkrankung so tiefgreifend zu verändern wie es die Zwillings-Zyklus-Hypothese (Twin Cycle Hypothesis) von Prof. Roy Taylor getan hat. Sie beschreibt das Zusammenspiel zweier pathophysiologischer Kreisläufe – eines in der Leber und eines im Pankreas –, die gemeinsam den Typ-2-Diabetes entstehen lassen und erhalten.

Der erste Kreislauf, der Leberzyklus, wird durch chronische Kalorienüberschüsse und Fettakkumulation in der Leber in Gang gesetzt. Die Folge ist eine zunehmende Insulinresistenz, die zu einer übermäßigen Glukoseproduktion führt. Gleichzeitig stimulieren erhöhte Insulinspiegel den Fettspeicherprozess weiter – ein sich selbst verstärkender Mechanismus. Parallel dazu läuft in der Bauchspeicheldrüse der zweite Kreislauf: freie Fettsäuren, die aus der Leber mobilisiert werden, lagern sich im Pankreas ab, schädigen dort die Beta-Zellen und beeinträchtigen die Insulinsekretion.

Diese beiden Zyklen verstärken sich gegenseitig – ein pathophysiologisches „Tandem“, das die klinische Manifestation des Typ-2-Diabetes erklärt. Bemerkenswert ist, dass Taylor zugleich den Weg zur Umkehr aufzeigt: Wird das Organfett in Leber und Pankreas durch signifikante Gewichtsreduktion reduziert – etwa mittels kalorischer Restriktion, intermittierenden Fastens oder Wasserfastens –, kann sich der Diabetes im Frühstadium rückbilden. Diese Beobachtung führte zur bahnbrechenden Erkenntnis, dass Typ-2-Diabetes nicht zwangsläufig chronisch progredient ist, sondern in eine stabile Remission überführt werden kann.

In der praktischen Diabetologie eröffnet die Hypothese einen Paradigmenwechsel. Lebensstilinterventionen, bislang oft als Ergänzung zur Pharmakotherapie betrachtet, werden zum zentralen therapeutischen Hebel. Die Reduktion von Organfett wird zur eigentlichen Zielgröße. Ob durch energiereduzierte Ernährung, kontrolliertes Fasten, Bewegung oder digitale Selbsterfahrung mit Glukosesensoren – entscheidend ist, den metabolischen Kreisläufen die „Energiequelle“ zu entziehen.

Für die Zukunft der Diabetologie liegt darin ein Versprechen: Die Kombination aus metabolischem Verständnis, individueller Lebensstiltherapie und digitaler Selbstbeobachtung erlaubt es, krankmachende Kreisläufe zu erkennen und umzukehren. In diesem Sinne ist die Zwillingszyklus-Hypothese nicht nur eine Theorie, sondern ein hoffnungsstiftendes Modell für eine heilbare Stoffwechselkrankheit.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen



Publication History

Article published online:
18 November 2025

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