Nervenheilkunde 2025; 44(09): 627-629
DOI: 10.1055/a-2672-8202
Nachruf

Those were the days: In Memoriam Wulf Bertram (1948–2025)

von seinen „Braintertainers“-Freunden
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Wulf Bertram (Quelle: J. Ronel, M. Spitzer (Ronel) [rerif])

Unser Freund Wulf Bertram starb am 24. April 2025. Ein Unfall mit seinem Traktor im Garten seines Hauses in Teolo beendete sein Leben viel zu früh und war für uns beide ein großer Schock. Wir haben Wulf sehr viel zu verdanken, wäre doch unser Leben ohne ihn anders verlaufen.

Wulf hat sich in den letzten Jahren immer weiter zurückgezogen, was wir beide, auch seine Freunde und Weggefährten in gewisser Weise nicht genügend gesehen haben, nicht sehen wollten. War er doch jemand, der eigentlich zeitlebens das Gegenteil für uns bedeutet hat: Mitten im Leben, mitten unter den Menschen – und vielmehr: Die Mitte selbst. Ich (Joram) erinnere mich noch sehr gut, wie es für mich als deutlich jüngerer Freund war, staunend mit Wulf einem Abend beizuwohnen, den er als Verleger für seine Autorinnen und Autoren organisierte. Er war der perfekte Gastgeber: charmant, geistreich, wertschätzend und großzügig – und er vermittelte allen auf seine gänzlich authentische Art und Weise, wie sehr er die Arbeit seiner Gesprächspartner schätzte. Dabei war er präzise, gut vorbereitet, hatte die Manuskripte wirklich gelesen und konnte dabei auch kritische Gedanken ansprechen, ohne je damit verletzend zu sein. Er war einnehmend, aber er ließ sich nicht ungewollt vereinnahmen. Auch das konnte ich von ihm lernen.

Wulf war auch ein politischer Mensch, er duckte sich nicht weg, wenn es um die deutsche Vergangenheit ging. Und er wusste über Geschichte und Geschichten. Seine eigene zu erzählen, würde den Rahmen hier sprengen. In Soest geboren, in Mailand, wo sein Vater das Büro der Lufthansa leitete, aufgewachsen, gab es zeitlebens eine große Verbindung zu Italien und zu Teolo, dem Ort seines lebendigen Lebens und der Ort, wo Wulf verunfallte und auch begraben ist. Der kleine Friedhof dort, mit Blick auf die Euganeischen Hügel, die er so geliebt hat. Stuttgart, und dort die Hölderlinstraße war das Zentrum seiner beruflichen Heimat, dem Schattauer Verlag, den er über viele Jahre prägte, und zu einem der wichtigsten medizinischen Fachverlage, speziell für psychotherapeutische, psychiatrische und psychosomatische Literatur machte. Daria, seine Tochter und Stefania, seine Frau haben auf dem Erinnerungskärtchen, das auf der Beerdigung verteilt wurde, in Abwandlung an Paolo Contes Song „Max“ geschrieben: „Wulf era Wulf.“ Wulf war Wulf. Das passte.

Irgendwann gegen Ende des letzten Jahrtausends (um 1998) sprach Wulf mich (Manfred) an, ob ich nicht Herausgeber der Nervenheilkunde (NHK) werden wollte. „Was soll ich mit diesem Käseblatt?“ – so oder so ähnlich habe ich geantwortet, worauf Wulf später immer wieder einmal in seinen kleinen Reden zu den verschiedensten Anlässen hingewiesen hat. Eine von Wulfs Fähigkeiten bestand darin, sich durch solche dumme flapsige Worde nicht entmutigen zu lassen. Er machte mir klar, dass die NHK die bei weitem auflagenstärkste neuropsychiatrische Zeitschrift im deutschen Sprachraum ist und gerade von praktisch tätigen niedergelassenen Kollegen gerne gelesen wird. Nicht die Wissenschaft, sondern deren Vermittlung und praktisch-klinische Anwendung standen im Vordergrund. Das machte mich neugierig, denn schon lange hatte ich immer wieder mit einer TV-Serie und Büchern versucht, Erkenntnisse aus der Gehirnforschung in die echte Lebenspraxis („auf die Strasse“, wie man heute sagt) zu bringen. Und so nahm ich den Job an, was zugleich der Anfang einer langen und immer tieferen Freundschaft war.

Vor allem jedoch hätte es die Braintertainers nie gegeben – weder den Namen (den hatte sich Wulf ausgedacht), noch die Band selbst. Die hatte Wulf nicht nur ins Leben gerufen, sondern war auch immer ihr Manager, Zentrum und bei den Auftritten ihr „Frontman“. Für die knapp 20 Jahre ihrer Existenz bereitete sie uns dreien immer wieder sehr viel Freude. Wulf machte die Termine unserer Auftritte, kümmerte sich um das ganze drumherum, sodass wir beide nur noch anreisen, aufbauen, spielen, abbauen und wieder abreisen mussten. Wie ein begeisterter Junge hat Wulf immer wieder etwas dazu organisiert: Eine Mini-Lichtorgel, einen Aufsteller mit „Schattauer“ und „Braintertainers“ für die Bühne und vor allem auch unsere Polo-Shirts mit vorne „Braintertainers“ und hinten „Schattauer“ drauf. Er selber trat dann immer in seiner roten Hose auf und einem Pailletten-Hut. Er war durch seine berufliche Tätigkeit im Verlag sehr gut vernetzt, kannte unglaublich viele Menschen und nutze seine Verbindungen, um die Dinge voranzubringen.

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Lindau, 2016. (Quelle: J. Ronel, M. Spitzer (Ronel) [rerif])

Es fing alles ganz bescheiden an: anlässlich des Erscheinens von „Musik im Kopf“ beim Schattauer Verlag (1999) schlug Wulf vor, dass wir beide (Manfred und Wulf) doch bei der Buchvorstellung in Lindau ein kleines Ständchen (zwei oder drei Stücke) zum Besten geben könnten. Zuvor hatten wir beide festgestellt, dass wir gern musizierten – er auf der Klarinette und ich auf der Gitarre. Ich weiß nicht mehr genau, was wir spielten, vielleicht „Sunny Side of the Street“ und noch zwei weitere Jazz- oder Folk (-Pop-)-Klassiker. Das machte Spaß, und so wurden wir zu Widerholungstätern. Einige Zeit später meinte Wulf, wir bräuchten einen dritten Mann und machte sich aktiv auf die Suche. Ein gemeinsamer Freund hat mich (Joram) Anfang der 2000er Jahre auf Wulf aufmerksam gemacht: „Melde Dich doch bei Wulf Bertram. Der wird bestimmt Interesse haben, Deine Doktorarbeit zu drucken.“ Selbstverständlich hatte er kein Interesse, aber seine Absage fühlte sich wie ein Kompliment an. Und dies nicht nur, weil er einen Tag später völlig überraschend nochmal anrief und mich einlud, zusammen mit ihm und einem gewissen Manfred Spitzer in zwei Tagen in Berlin für eine Veranstaltung Musik zu machen. Der Hintergrund dieses Anrufs wird weiter unten berichtet. Wulf erzählte diese Geschichte unseres Kennenlernens sehr oft, immer wenn er uns bei den Braintertainers ansagte. Mir war das immer ein bisschen unangenehm, aber dadurch war der Beginn unserer bis zu seinem Tode anhaltende Freundschaft markiert und öffentlich. Meistens erzählte er dabei auch, wie wir das erste Mal geprobt haben: Ein livrierter Page, der zudem auch noch die beiden Hündchen einer amerikanischen Milliardärin hüten musste, hat uns in die Präsidenten-Suite eines 5-Sterne-Hotels geführt, wo ein Steinway-Flügel für uns vorbereitet war. Warum wir dort proben sollten, ist mir bis heute ein Rätsel. Aber in dieser surrealen Umgebung lernte ich Wulf und Manfred kennen. Ich war Ende 20, Wulf Anfang 50 und Manfred ungefähr 40. Ein Blind Date. Manfred und Wulf hatten keinerlei Hemmungen darauf loszuspielen, Manfred mit verschiedensten Instrumenten: Gitarre, Trompete, Saxophon, einem kleinem Schlagzeugset, dass er ebenfalls dabeihatte. Wulf blies in sein Tenor-Saxophon und auch in seine Klarinette, mit ehrlich gesagt bestenfalls mäßigem Ansatz. Und beide sangen lauthals mit. Ich: etwas eingeschüchtert, musikalisch deutlich selbstkritischer, nicht auf die Idee kommend, hier etwas vorzusingen. Der Auftritt am nächsten Abend in einem Kellergewölbe bei den Hackeschen Höfen war ein voller Erfolg. Das Publikum eines Psychiatriekongresses (zugegebenermaßen kannten sie Wulf als Verleger und Manfred als Psychiater – mich kannte niemand) war begeistert und nach dem dritten Song waren alle auf der Tanzfläche. Ich war fassungslos angesichts dieser unkritischen Hingabe. Aber seitdem war das die erfolgreichste Band, über die man hinter vorgehaltener Hand sagte, dass es die erfolgreichste und gleichsam unmusikalischste Band aller Zeiten war. Es war der Beginn der Braintertainers und zudem der Anfang einer wundervollen Freundschaft zwischen uns dreien.

Die Konzerte der Braintertainers fingen immer gleich an. Ob in Lindau, während der Lindauer Psychotherapiewochen (wir waren nie Teil des offiziellen Programms, es war immer der Donnerstag an einer der beiden Wochen, und es hatte Kultstatus), oder während des DGPPN in Berlin: Das erste Stück war stets „Mercy, Mercy, Mercy“ von Joe Zawinul, den wir auch mal in einem Hotel im Frühstücksraum getroffen hatten. Es war der bescheidene Versuch, das geneigte Publikum davor zu warnen, dass es gleich mit viel Improvisation und wenig Eingespieltheit konfrontiert sein wird. Wulf deklarierte immer zum Anfang: „Wer übt ist feige.“ Damit war das Narrativ gesetzt und entfaltete auch beim Publikum stets die gleiche Entspanntheit, die wir auch auf der Bühne erlebten. Es gab dann in der Regel ein Jazz-Set, um dann weiter von einem (immer nur gecoverten) musikalischem Höhepunkt zum nächsten aufzusteigen, die klar zu den Vokalstücken tendierten: Manfred brillierte mit „Just the two of us“ (wir variierten mutigerweise textlich zu „the three of us“), Joram traute sich irgendwann auch mit „Besa me mucho“ oder „Bei mir bist Du schön“ ans Mikro und Wulf räumte dann beim letzten Set mit den Italo-Pop-Nummern ab: „Volare“, „L’Italiano“, „Marina, Marina“ und natürlich auch „Azzuro“. Es war insbesondere Wulfs Ernsthaftigkeit in der Lust, die funktioniert hat und alle verzauberte.

In den vielen Jahren des Bestehens der Braintertainers entstand eben auch eine besondere Freundschaft, auf die wir drei, so unterschiedlich wir waren, immer sehr achtgegeben hatten. Es war eine besondere Nähe und Verbundenheit, die man vielleicht nur erlebt, wenn man zusammen Musik macht. Wir teilten unsere Freuden, aber auch unsere Leiden. Wir wussten über die Enttäuschungen des Lebens, berufliche Entwicklungen, Fehlschläge, Kämpfe, Kränkungen, Einsamkeiten und natürlich auch über die Liebe, die wir suchten, fanden, verloren und wieder fanden. Eine besondere Vertrautheit, die auch unsere Familien zusammenbrachte.

Das Ende der Braintertainers gehört zu den Kollateralschäden der weltweiten Corona-Pandemie. Um die Pandemie einzudämmen, gab es ab Mitte März 2020 weitgehende Einschränkungen für das öffentliche Leben, die zwar Anfang Mai wieder aufgehoben, im Herbst aber erneut verschärft, im März 2022 wieder aufgehoben und dann im Oktober wieder verschärft wurden. Erst im April 2023 hatten die „Lockdown“-Maßnahmen ein Ende. Während dieser Zeit konnte man keine Kongresse oder andere größere Zusammentreffen planen, weswegen es auch zu keinen Auftritten der Band kam. Nicht einmal zum Üben konnten wir uns treffen, denn das war zu Zeiten des Lockdowns untersagt. Zwei Jahre später ist das Ganze schon wieder so lange her, dass man kaum noch nachzufühlen vermag, wie ein kleines Viruspartikel unser gesellschaftliches Leben so stark zum Erliegen gebracht hat.

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Ulm, 06.12.2024. (Quelle: J. Ronel, M. Spitzer (Spitzer) [rerif])

Unser letzter Auftritt war wohl beim 11. Internationaler Kongress über Theorie und Therapie von Persönlichkeitsstörungen (IKTTP) am 5. bis 7. Juli 2019 in München, und zu unseren „Fans“ gehörte damals kein geringerer als Otto Kernberg, einer der Pioniere auf diesem Feld, den man für einen überraschenden Moment zu unseren Klängen tanzen sehen konnte!

Wulf litt sehr unter dem Ende des Schattauer Verlages, welcher 2017 verkauft wurde. Seine Rolle als Verleger, Förderer, Zusammenbringer, veränderte sich – und es kam zeitgleich zur Corona-Epidemie zu seinem schleichenden Rückzug. Wir waren zwar immer wieder im Kontakt, aber die Band selbst spielte nicht mehr. Nach etlichen Versuchen trafen wir uns am 6.12.2024 endlich wieder in Ulm, um darüber zu reden, wie es mit den Braintertainers künftig weitergehen sollte. Für uns beide war klar, dass wir wieder einmal üben sollten, und wir hatten dies schon zu diesem Termin geplant. Wie immer haben wir bei solchen Übungs-Terminen in Ulm (die Mitte zwischen den Wohnorten von Wulf, Stuttgart, und Joram, München und seit 2018 in der Schweiz) bei Manfred (der kochen musste, weil er nicht fahren brauchte) zuerst geredet und dann musiziert. Bei unserem letzten Treffen haben wir nur geredet. Wir hatten uns erstens sehr viel zu erzählen und zweitens hatte Wulf seine Instrumente nicht dabei. Er war sich unsicher, ob sein Ansatz im Moment für Auftritte ausreichen würde. Wir beide haben das natürlich anders gesehen. Nicht wissend, dass dies unser letztes gemeinsames Treffen überhaupt sein würde.

Die wichtigste Zugabe, die wir immer spielen mussten, war jedesmal der Song „Those were the days“ – ursprünglich beruhend auf einem russischen Volkslied. Alle sangen und tanzten mit und es entstand ein wunderbares Gefühl der Gemeinsamkeit. Wir haben damals nicht geahnt, wie sehr die Worte, die Bedeutung von Abschied und Schmerz wiedergeben:

Those were the days, my friend
We thought they’d never end
We’d sing and dance forever and a day
We’d live the life we choose
We’d fight and never lose
For we were young and sure to have our way

Wir verneigen uns vor Dir, mit Applaus, mit Lachen und Weinen und in Dankbarkeit.

Deine beiden nun allein verbliebenen Braintertainers:
Joram Ronel, Manfred Spitzer



Publication History

Article published online:
12 September 2025

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