Z Orthop Unfall 2025; 163(05): 401-402
DOI: 10.1055/a-2675-0867
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

Interview ZfOU zur Muster-Weiterbildungsordnung mit Prof. Dr. Bernd Kladny

Authors

  • Guntram Fischer

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Trägt die überarbeitete MWBO den fachlichen Anforderungen und Entwicklungen im Fachgebiet Orthopädie und Unfallchirurgie Rechnung?

Die letzte große Revision der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer erfolgte im Jahr 2018 nach einem mehrjährigen Vorlauf zusammen mit Fachgesellschaften und Berufsverbänden. Bayern war die letzte Landesärztekammer, in der die neue Musterweiterbildungsordnung im Jahr 2022 in Kraft getreten ist. Dies zeigt, dass der Entwicklungszyklus der Musterweiterbildungsordnung und deren Wirksamwerden überaus lang ist. Die Anforderungen unseres Gesundheitssystems entwickeln sich wesentlich dynamischer. Neben den durch Gesetze und Kostenträger vorgegebenen Rahmenbedingungen des Gesundheitssystems, wie der Ambulantisierung, sind technische Entwicklungen (Navigation, Robotik) in der Weiterbildung zu berücksichtigen. Richtig interessant wird es daher beim Ärztetag 2026, bei dem die Facharztweiterbildung auf der Agenda stehen wird. Sechs Jahre Facharztweiterbildung liegt über den europäischen Vorgaben von 5 Jahren. Immer häufiger wird der Wunsch nach einer deutlichen Verkürzung zugunsten einer frühzeitigen Spezialisierung vorgetragen. Jetzt hat der 129. Deutsche Ärztetag im Mai 2025 in Leipzig aber erst einmal Beschlüsse zum Paragrafenteil und zu den Zusatzqualifikationen getroffen. „Spezielle Orthopädische Chirurgie“, „Spezielle Unfallchirurgie“ und „Orthopädische Rheumatologie“ wurden zu Schwerpunkten und sind damit nur noch mit der Facharztqualifikation „Orthopädie und Unfallchirurgie“ erreichbar. Der Schwerpunkt „Orthopädische Rheumatologie“ wurde modifiziert, um der Tatsache gerecht zu werden, dass moderne medikamentöse Behandlung immer öfter erhebliche Gelenkzerstörungen mit konsekutiver aufwendiger operativer Therapie vermeidet. Mit der Eröffnung der Möglichkeit des Erwerbs der Zusatzweiterbildung „Geriatrie für Orthopädie und Unfallchirurgie“ wird man dem demografischen Wandel gerecht. Wir behandeln schon immer diese herausfordernden Patientinnen und Patienten und haben nun die Möglichkeit, dies mit dieser Zusatzweiterbildung auch zu dokumentieren.

Welche weiteren Qualifikationen für die Facharztausbildung in der O/U sind aus Ihrer Sicht zusätzlich notwendig, welche könnten entfallen?

Das Fach Orthopädie und Unfallchirurgie hat eine enorme Breite. Wir behandeln Patientinnen und Patienten von der Wiege bis kurz vor der Bahre. Diese Breite in einer Weiterbildung von 72 Monaten abzubilden, ist zunehmend ein Problem, zumal auch Arbeitszeitregelungen die Zeit der Weiterbildung und damit des Lernens und der Kompetenzbildung nicht ausnehmen. Bürokratische Belastungen fressen große Teile der zur Verfügung stehenden Zeit. Es muss der gesamte Prozess von der Diagnostik bis zur Therapie auch mit nicht-operativen Verfahren vermittelt werden. Es sollen nicht nur Operateure als Handwerker aus der Weiterbildung gehen. Wir wollen prinzipiell an der Vermittlung der Breite des Faches festhalten, da dies im Laufe des Berufslebens Anpassungen der beruflichen Tätigkeit an unterschiedliche Herausforderungen möglich macht. Man sollte sich nicht zu Beginn auf eine schmale Spezialisierung festlegen, dann hat man im Laufe eines doch langen Berufslebens ein besseres Entwicklungspotenzial. Eine breite Aufstellung der Weiterbildung erlaubt Alternativen, wenn der medizinische Fortschritt Behandlungsverfahren überflüssig macht. Wir werden uns aber die Inhalte der Facharztweiterbildung genau ansehen und auf den Prüfstand stellen müssen. Die Bundesärztekammer möchte keine weitere Spezialisierung der Fächer und Gebiete mehr abbilden. Fachgesellschaften waren in diesen Bereichen schon aktiv. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie hat Kriterien definiert und es gibt zusammen mit den Sektionen bereits Personenqualifikationen für Fuß, Schulter/Ellenbogen, Endoprothetik und Kniegelenk. Sicherlich muss man unabhängig davon Überlegungen zu einer Modularisierung des Schwerpunktes „Spezielle Orthopädische Chirurgie“ anstellen. Weiterhin wird man die Etablierung einer Zusatzweiterbildung „Spezielle Wirbelsäulenchirurgie“ im Auge haben müssen.

Ist eine umfassende Weiterbildung im Fachgebiet O/U an einer Weiterbildungsstelle überhaupt leistbar oder bedarf es zukünftig Verbundweiterbildungslösungen, auch zwischen praxisambulanten Versorgern und Kliniken?

Sie sprechen einen sehr wichtigen Punkt an. Früher wurde in einer großen stationären Einrichtung für Orthopädie und Unfallchirurgie nahezu das gesamte Spektrum der Diagnostik und Behandlung vorgehalten. Heute finden wir oft eine hohe Spezialisierung in Einrichtungen vor, die nur einen Teil der Weiterbildung ermöglicht. Dieser Trend wird sich durch die Einführung des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) mit den Leistungsgruppen noch deutlich verschärfen. Außerdem werden Behandlungsverfahren und Eingriffe aufgrund der Vergütungssystematik zunehmend in den ambulanten Bereich verortet. Noch gibt es erst sehr wenig gut strukturierte Verbünde für eine intersektorale Weiterbildung, die in Zukunft unabdingbar sein wird, um den Weiterzubildenden im Fach Orthopädie und Unfallchirurgie einen sinnvollen Ablauf der Weiterbildung zu ermöglichen. Dies bedingt Ortswechsel und Wechsel der Arbeitgeber mit allen hierdurch bedingten Problemen. Es ist nicht damit getan, dass wir einige Vorzeigemodelle hierfür haben. Die Voraussetzungen für eine flächendeckende Etablierung vor Verbundweiterbildung sind im Arbeitsrecht, im Tarifsystem sowie den Vergütungssystemen für ärztliche Leistungserbringung zu schaffen. Es muss im ambulanten Bereich die Möglichkeit der Leistungserbringung durch Weiterbildungsassistenten verbindlich akzeptiert werden. Der vermehrte Aufwand für operative Eingriffe wie längere Dauer und die Notwendigkeit einer 2. Person für Eingriffe, die im Routinebetrieb durch den Operateur allein durchgeführt werden können, sind bislang nicht geregelt. Weiterbildungskosten müssen zwingend auch in der Krankenhausfinanzierung Berücksichtigung finden.

Macht sich die Feminisierung in der Medizin auch in der O/U bemerkbar und wenn ja, welche Konsequenzen lassen sich für die Weiterbildenden daraus ableiten?

Circa 65% der Medizinstudierenden sind Frauen. Die Gesamtärzteschaft in Deutschland ist seit Ende 2024 knapp mehrheitlich weiblich, doch in Orthopädie und Unfallchirurgie hinken wir hinterher. Bei den Facharztanerkennungen 2024 entfielen nur rund 26% (247 von 940) auf Ärztinnen. Wir haben daher das Thema auf der Agenda. Konkrete Aufgaben, die sich ableiten lassen, sind die Forderungen nach planbaren Rotationen, Teilzeit- und Jobsharing-Modellen, transparenten OP-Zuteilungen, frühzeitiger operativer Exposition und flexible Simulationstrainings zur Kompensation von Ausfallzeiten. Auch die Arbeitsorganisation muss auf den Prüfstand: Homeoffice für Verwaltungsarbeiten, Flexibilisierung der Arbeitszeit oder Rückkehrpfade nach der Elternzeit. Mit der Initiative „Operieren in der Schwangerschaft“ (OPidS) fördern wir die sichere operative Tätigkeit trotz Schwangerschaft. Sichtbare weibliche Role Models und aktive Karriereförderung verbessern die Bindung junger Ärztinnen ans Fach. Und wir müssen auch die Männer mitdenken. Das Thema ist bei Weitem nicht nur die Feminisierung. Wir müssen dies als Herausforderung der Familisierung begreifen.

Reichen die deutschlandweit 940 Facharztanerkennungen (2024) in O/U aus, um den absehbaren (Ersatz-)Bedarf an Fachärzten und Fachärztinnen mit Hinblick auf die bevorstehende Ruhestandswelle der Baby-Boomer-Generation zu decken?

Zum Stichtag 31. Dezember 2024 waren laut Ärztestatistik 15212 berufstätige Kolleginnen und Kollegen im Fach Orthopädie und Unfallchirurgie zu verzeichnen. Hinzu kommen 4340 mit der Bezeichnung Orthopädie und 1640 mit Facharztbezeichnung Chirurgie und Schwerpunkt Unfallchirurgie. Das ergibt insgesamt 21192 tätige Kolleginnen und Kollegen in Orthopädie und Unfallchirurgie. Weiterhin können wir davon ausgehen, dass ungefähr 5000 Weiterzubildende in unserem Fach tätig sind. Die deutsche Ärzteschaft verzeichnet ein stetiges Wachstum. In der Statistik der Bundesärztekammer sind für 2024 insgesamt 16246 in Orthopädie und Unfallchirurgie Tätige angegeben. Damit haben wir in 10 Jahren eine Steigerung von ca. 30% erfahren. Dies kann aber trotzdem zu niedrig sein, um den Herausforderungen des demografischen Wandels in einem Doppeleffekt zu begegnen. Zum einen verlieren wir die Boomer, die sukzessive in Wellen in den Ruhestand treten, und auf der anderen Seite wird patientenseitig die Nachfrage deutlich steigen. In der Gesamtärzteschaft sind bereits über 20% der Berufstätigen ≥ 60 Jahre. 2024 wurden 940 neue O/U-Facharztanerkennungen registriert. Wir können nur schlecht vorhersagen, welche Auswirkungen die zunehmende Familisierung, häufig verbunden mit dem Wunsch nach Teilzeittätigkeit, haben wird. Auch sind Ausfallzeiten und Abwanderung ins Ausland sowie in Industrie und Forschung wenig kalkulierbar. In jedem Fall ist vor Attraktivitätsverlust und Arbeitsverdichtung zu warnen, die die Bindung an das Fach beeinträchtigen und den Ersatzbedarf erhöhen können. Ein deutlicher Bürokratieabbau steigert die Verfügbarkeit für ärztliche Aufgaben. Produktivitätssteigernde Konzepte für die ärztliche Tätigkeit sind unabdingbar, nicht zuletzt auch für eine verbesserte Berufszufriedenheit. Die Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf wird ebenso ein Thema bleiben. Möglicherweise gelingt es Kolleginnen und Kollegen, die das gesetzliche Rentenalter erreicht haben, mit entsprechenden Arbeitsbedingungen vertretungsweise oder in Teilzeit länger im Beruf zu halten. Internationale Rekrutierung sehe ich nicht nur positiv, da die Gefahr besteht, dass wir als Kolonialismus 2.0 ärztliches Personal aus Ländern zu uns holen, das dort auch dringend gebraucht wird.



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Article published online:
23 September 2025

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