Nervenheilkunde 2025; 44(10): 723
DOI: 10.1055/a-2677-5337
Leserbrief

Leserbrief zum Artikel ,,Einfluss des Klimawandels auf die Schlaganfall-Häufigkeit in Südwestdeutschland“

Authors

  • Michael Ertl

    Günzburg
  • Markus Naumann

    Augsburg
Preview

Treib J et al., Nervenheilkunde 2025;44: 506–513

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich Treib et al. in Ihrer Arbeit der äußerst relevanten Frage des Zusammenhangs zwischen Klimawandel und Schlaganfallhäufigkeit widmen. Der Artikel liefert wertvolle Impulse und unterstreicht die Relevanz klimatischer Veränderungen für die neurologische Versorgung. Dennoch möchten wir auf einige Aspekte hinweisen, die unseres Erachtens eine differenzierte Betrachtung verdienen und auf Grundlage aktueller Evidenz möglicherweise zu einer anderen Bewertung führen.

  1. Bedeutung extremer Wetterlagen

    In der Diskussion bleiben relevante Extremereignisse wie sommerliche Kaltlufteinbrüche oder Tropennächte unberücksichtigt. Diese sind jedoch in mehreren neueren Arbeiten als unabhängige Risikofaktoren für Schlaganfälle identifiziert worden:

    • He et al. (2025) zeigten anhand von Daten aus Süddeutschland, dass Kaltlufteinbrüche im Sommer das ischämische Schlaganfallrisiko signifikant erhöhen (OR –1,2). Gerade solche Ereignisse könnten in einem sich verändernden Klima zunehmen und sollten in Prognosen berücksichtigt werden.

    • He et at. (2024) konnten in einer longitudinalen Analyse einen Zusammenhang zwischen nächtlicher Hitze (Tropennächte) und einem kontinuierlich steigenden Schlaganfallrisiko nachweisen.

    Beide Studien machen deutlich, dass Mittelwertanalysen klimatischer Parameter allein nicht ausreichen, um das Risiko adäquat abzubilden.

  2. Regionale Evidenz und Datenaktualität

    Die von Ihnen herangezogene Studie von Rakers et al. (2015) war wegweisend, basiert jedoch auf einer vergleichsweise kleinen Stichprobe und älteren Klimadaten. Neuere regionale Analysen, etwa die von Simon et al. (2025) mit über 23.000 Schlaganfallpatienten aus Augsburg, zeigen, dass bestimmte Großwetterlagen (z. B. zyklonale Westlagen im Winter) mit einer Erhöhung des Schlaganfallrisikos um bis zu 15 % einhergehen. Diese Ergebnisse sollten in eine zeitgemäße Bewertung klimatischer Einflüsse auf zerebrovaskuläre Ereignisse einfließen.

  3. Risikogruppen im Fokus

    Ein weiterer Aspekt, der unserer Ansieht nach mehr Beachtung verdient, betrifft besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen. Aktuelle Studien zeigen, dass vor allem ältere Menschen, Frauen sowie Patienten mit kardio-metabolischen Vorerkrankungen (z. B. Hypertonie, Diabetes, Vorhofflimmern) besonders empfindlich auf klimatische Stressoren reagieren. Für diese Gruppen sind sowohl Hitzespitzen als auch abrupte Temperaturwechsel mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko verbunden.

    Eine differenzierte Betrachtung solcher Risikogruppen würde helfen, die komplexen Auswirkungen des Klimawandels auf die neurologische Versorgung gezielter abzubilden,

FAZIT

Zusammenfassend möchten wir anregen, bei zukünftigen Arbeiten zum Thema die genannten Aspekte – insbesondere die zunehmende Bedeutung klimatischer Extreme und die Rolle vulnerabler Risikogruppen – stärker zu berücksichtigen. Aus unserer Sicht sprechen die aktuellen Daten eher für eine Zunahme als für eine Abnahme der klima-bedingten Schlaganfallhäufigkeit in Mitteleuropa.

Dabei sollte Umwelt nicht allein auf Klima und Wetter reduziert werden. Vielmehr bedarf es eines umfassenderen Verständnisses der vielfältigen Umweltfaktoren (z. B. Luftschadstoffe, Lärm, etc.) und ihrer Wechselwirkungen mit individueller Vulnerabilität. Diese Interaktionen tragen wesentlich zur Entstehung zerebrovaskulärer Ereignisse bei.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
14. Oktober 2025

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