Psychother Psychosom Med Psychol 2008; 58(8): 339-340
DOI: 10.1055/s-0028-1082360
Mitteilungen aus dem DKPM

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Tagungsbericht - Zentrale Deutsche Psychosomatiktagung mit über 900 Teinehmern

Further Information

Publication History

Publication Date:
14 August 2008 (online)

 

59. Jahrestagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM) und 16. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) Thema: "Bindung und Entwicklung" vom 12.-15. März 2008 in Freiburg i.Br. Almut Zeeck, Carl Scheidt, Petra Sitta, Michael Wirsching

Zum 2. Mal wurden die Jahrestagungen von DKPM und DGPM gemeinsam organisiert. Neben einem wissenschaftlichen Programm wurde ein umfangreiches und hochkarätiges Fortbildungsprogramm angeboten. Eine Kombination dieser beiden Schwerpunkte sollte auch in Freiburg einen intensiveren Austausch zwischen Forschern und Klinikern ermöglichen. Psychosomatik und Psychotherapie wurde dabei als ein Feld verstanden, welches ohne einen Austausch und die Kooperation verschiedener Fachgesellschaften und Verbände nicht denkbar ist. Es waren nicht nur Ärzte, Psychologen und weitere Berufsgruppen wie Pflegekräfte und Spezialtherapeuten angesprochen, sondern es bestand auch das Bestreben, andere Fachgesellschaften über Satellitensymposien in das Programm der Tagung einzubinden: so nahmen die Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGP), die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG), die Deutsche Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW) die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Psychologie (DGMP) sowie die Deutsche Gesellschaft für Essstörungen (DGESS) an der Tagung teil.

Die Tagung wurde von über 900 Teilnehmern besucht, der größten Teilnehmerzahl einer deutschen Psychosomatiktagung überhaupt. Besonders erfreulich ist, dass vor allem auch jüngere Kolleginnen und Kollegen sowie Studierende für den Besuch der Tagung gewonnen werden konnten. Um auch Studierenden den Tagungsbesuch zu ermöglichen, wurden erstmals Reisekostenstipendien ausgeschrieben, für welche es über 60 Bewerbungen gab. Insgesamt nahmen 125 Studierende teil, deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Sehr positiv waren auch zahlreiche Abstractanmeldungen aus dem deutschsprachigen Ausland (Österreich, Schweiz) und die Teilnahme weiterer europäischer Kollegen, unter anderem im Rahmen des ENPM-Treffens (Europäisches Netzwerk für Psychosomatische Medizin).

Das Thema Bindung und Entwicklung stand im Mittelpunkt des Kongresses und zwar aus zweierlei Gründen. Einerseits sind viele psychische, psychosomatische und auch biologische Störungen auf frühe Bindungserfahrungen und Entwicklungsprozesse zurückzuführen bzw. werden durch diese wesentlich mit beeinflusst. Der zweite Aspekt von "Bindung und Entwicklung" berührt das zentrale "Werkzeug" unseres Fachgebietes: die Psychotherapie. Die therapeutische Beziehung und ihre Gestaltung ist einer der zentralen Wirkfaktoren, welcher persönliche Entwicklungen und Heilungen ermöglicht. Ein Wissen um die Auswirkungen früher Bindungserfahrungen ist also sowohl erforderlich, um präventive Konzepte zu entwickeln, als auch für die Entwicklung adäquater therapeutischer Strategien.

In diesem Sinne beschäftigten sich die Plenarvorträge sowohl mit dem Einfluss, den frühe Bindungserfahrungen auf neurobiologische inklusive genetische Prozesse haben, und andererseits mit den Möglichkeiten, problematisch verlaufende Bindungs- und Entwicklungserfahrungen (die in psychische Störungen einmündeten) therapeutisch zu beeinflussen. Michael Meany aus Montreal berichtete eindrucksvoll von seinen tierexperimentellen Studien, in denen er zeigen konnte, wie stark frühe Zuwendung spätere hormonelle und neuronale Regulationsprozesse beeinflusst - bis hin zur Hemmung oder Aktivierung von Gensequenzen. Frühe Bindungserfahrungen beeinflussen dadurch ganz wesentlich auch den späteren Umgang mit und die physiologischen Reaktionen auf "Stress" und Belastungen. Klaus Zerres, Humangenetiker aus Aachen, unterstrich in seinem Vortrag die Wechselwirkungen von genetischen und Umwelteinflüssen - und zeigte Methylierungsprozesse als einen Mechanismus auf, der dazu beiträgt, dass sich die Auswirkungen bedeutsamer Erfahrungen über den genetischen Code in die nächsten Generationen tradieren können. Daniel Stern und Pamela Foelsch focussierten dann auf die Psychotherapie als entwicklungsfördernden Prozess. Dieser verläuft nicht kontinuierlich, sondern diskontinuierlich mit Wendungen, die sich in wenigen Momenten vollziehen können. Dabei ist es durchaus möglich, auch gravierende Persönlichkeitsstörungen und schwer beeinträchtigende Bindungserfahrungen zumindest teilweise zu korrigieren.

In der Presse wurde das Thema interessiert aufgegriffen. So titelte beispielsweise die Süddeutsche Zeitung am 19.3.2008: "Die Last der frühen Jahre: Psychosomatiker und Neurobiologen entdecken prägende Faktoren, die im späteren Leben für Stress anfällig machen" und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (20.3. 2008): "Wohl dem, der wohlbehütet aufwächst - Über die Gene hinweg: frühe Lebenserfahrungen beeinflussen entscheidend, wie wir auf Stress reagieren".

Das wissenschaftliche Programm der Tagung war neben den Plenarvorträgen im Weiteren durch State-of-the-Art-Symposien und wissenschaftliche Symposien geprägt. Erstere gaben im Bereich eines breiten Themenspektrums einen Überblick zum aktuellen Forschungsstand (zu zentralen Störungsbildern wie Depression, Essstörungen oder Persönlichkeitsstörungen, aber auch zu Behandlungsverfahren wie der Familientherapie und aktuellen Forschungsmethoden). Die wissenschaftlichen Symposien dienten der Vorstellung von Forschungsaktivitäten der verschiedenen Zentren in Deutschland. Insgesamt wurden 288 Abstracts eingereicht und 102 Vorträge in wissenschaftlichen Symposien gehalten, ferner 19 Vorträge im Rahmen von Workshops zu bestimmten Themenschwerpunkten. 85 Poster wurden in zwei Postersitzungen präsentiert (zur Übersicht über die Zentren, welche die meisten Beiträge einreichten, Abb. [1]). Das Fortbildungsprogramm umfasste 45 Fortbildungsangebote, welche von der Vermittlung von neuen, störungsspezifischen Therapieverfahren bis hin zu Themen wie Begutachtung und Diagnostik reichten. Die Beurteilung Fortbildungsveranstaltungen fiel durchgehend positiv aus (Abb. [2]).

Abb. 1 Kliniken/ Abteilungen mit 5 oder mehr angenommenen Beiträgen. Legende: State of art = State-of-the-art Vorträge; Vorträge in wissenschaftlichen Symposien; Zentren für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie nach Autokennzeichen benannt (Zentren mit weniger als 5 Beiträgen sind nicht aufgeführt), bei Kooperationen wurde jeweils das Zentrum des Erstautors berücksichtigt.

Abb. 2 Fortbildungsevaluation (Schulnoten von 1 "sehr gut" bis 6 "mangelhaft").

Einen Höhepunkt und auch den Abschluss der Tagung bildeten ein Vortrag von W. Frühwald zum Thema "Die Kunst zu leben. Carl Gustav Carus und die Medizin seiner Zeit" sowie eine Veranstaltung zum 100.Geburtstag von Thure-von-Uexküll, einem der zentralen Wegbereiter der heutigen Psychosomatischen Medizin.

Die nächste Tagung wird erneut von DKPM und DGPM unter Einbeziehung kooperierender Fachgesellschaften organisiert werden und vom 18.-21. März in Mainz stattfinden. Das Thema der Tagung ist "Psychotherapeutische Forschung und Psychosomatische Praxis" (siehe unter www.dkpm.de).

Priv.-Doz. Dr. med. Almut Zeeck

Universitätsklinikum Freiburg Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin

Hauptstraße 8

79104 Freiburg

Email: almut.zeeck@uniklinik-freiburg.de

    >