NOTARZT 2009; 25(2): 59-60
DOI: 10.1055/s-0028-1090104
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Dumm gelaufen

F.  Martens1
  • 1Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. Ulrich Frei), Berlin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
09. April 2009 (online)

Der Fall

Bei einer großen Laufveranstaltung fällt wenige Kilometer nach dem Start einem Streckenposten ein Läufer auf, der sich nur noch torkelnd fortbewegt. Auf Befragen gibt dieser jedoch keine Beschwerden oder Besonderheiten an und begehrt seinen Lauf fortzusetzen. Einige Kilometer später wird der Läufer von einem weiteren Streckenposten erneut wegen seines schwankenden Laufes angehalten und schließlich überredet, sich untersuchen zu lassen. Der etwa 60-jährige Läufer ist wach, spricht etwas verwaschen, gibt jedoch lediglich Müdigkeit an. Die pulsoxymetrisch gemessene Sättigung liegt bei 94 %, der Blutdruck bei 135 / 65 mm Hg und die Herzfrequenz bei 64 pro Minute. Kurz nach dem Hinlegen auf eine Krankentrage schläft der Läufer ein und ist nur sehr schwer erweckbar. Daher wird er mit einem RTW in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses transportiert.

Dort ist der Läufer anhaltend tief somnolent und wiederholt nur durch kräftiges Rütteln zu erwecken. In den Schlafphasen sinkt die pulsoxymetrische Sättigung unter 90 % und die Atemfrequenz wird mit 6 / min bestimmt. Bei der genaueren Untersuchung fallen stecknadelkopfgroße Pupillen auf.

Daher wird probatorisch bei ungeklärter Bewusstseinstrübung eine Ampulle Naloxon verabfolgt, woraufhin der Patient sofort erwacht. Auf entsprechende Befragung wird die Einnahme von Opiaten negiert, lediglich eine Tablette Captagon® aus alten Vorräten und Diclofenac habe er eingenommen. Er stamme nicht aus Berlin und habe zusammen mit seiner Ehefrau in einem Hotel übernachtet und dort auch gefrühstückt. Dann sei er zum Start der Laufveranstaltung gefahren.

In den Folgestunden kommt es mehrfach zum Wiederauftreten sehr tiefer Bewusstseinstrübung, die jeweils nach Naloxongabe reversibel ist, sodass der Patient schließlich doch auf die Intensivstation zur weiteren Überwachung verlegt wird.

In Kenntnis der vorangegangenen Naloxongaben wird dort mit dem erneuten Auftreten einer soporösen Bewusstseinslage nach einem 0,2 mg-Bolus mit einer kontinuierlichen Infusion von Naloxon begonnen. In den Folgestunden kommt es zu keiner erneuten Bewusstseinstrübung.

Wenige Stunden nach Übernahme auf die Intensivstation fällt auf, dass der Patient noch keinen Urin gelassen hat. Sonografisch lässt sich jedoch eine prall gefüllte Harnblase nachweisen, aus der sich nach Legen eines Dauerkatheters sukzessive über 1 000 ml klarer Urin entleeren.

Am Nachmittag des gleichen Tages kommt endlich das Ergebnis der noch von der Rettungsstelle kurz nach Aufnahme initiierten toxikologischen Untersuchung mit dem Nachweis von Methadon (0,50 mg / l) im Blut des Patienten. Da der Patient und dessen Ehefrau, beide als Apotheker tätig, in einem ausführlichen Gespräch sich nicht das Vorhandensein von Methadon im Körper erklären können, wird ihnen angeraten, wegen schwerer Körperverletzung Anzeige zu erstatten, was sie jedoch nach eingehender Überlegung für nicht erfolgversprechend hinsichtlich der Aufklärung halten. 27 Stunden nach Krankenhausaufnahme wird erneut eine Blutprobe zur toxikologischen Analyse eingeschickt. Darin findet sich eine niedrigere, jedoch im Vergleich mit Literaturangaben immer noch nicht therapeutische Konzentration von Methadon (0,36 mg / l).

Da unter der kontinuierlichen Naloxongabe keine erneuten Bewusstseinstrübungen zu verzeichnen waren, wird die intravenöse Antidotbehandlung bei noch nachweisbarem Methadon im Blut auf das langwirksame, oral applizierbare Naltrexon umgestellt.

Innerhalb der nachfolgenden 24 Stunden kommt es zu keiner erneuten Bewusstseinstrübung oder Atemdepression. Nach erneuter Naltrexoneinnahme wird der Patient, seinem eigenen Wunsch entsprechend, 53 Stunden nach Einlieferung aus der Krankenhausbehandlung entlassen.

Literatur

  • 1 Milroy C M, Forrest A RW. Methadone deaths: a toxicological analysis.  J Clin Pathol. 2000;  53 277-281
  • 2 Perret G, Déglon J J, Kreek M J. et al . Lethal methadone intoxications in Geneva, Switzerland, from 1994 to 1998.  Addiction. 2000;  95 (11) 1647-1653
  • 3 Shields L, Hunsaker J C, Corey T S. et al . Methadone toxicity fatalities: A review of medical examiner cases in a large metropolitan area.  J Forensic Sci. 2007;  52 (6) 1389-1395
  • 4 Worm K, Steentoft A, Kringsholm B. Methadone and drug addicts.  Int J Leg Med. 1993;  106 19-123
  • 5 Mercadante S, Sapio M, Seretta R, Caligara M. Patient-controlled analgesia with oral methadone in cancer pain: preliminary report.  Annals of Oncology. 1996;  7 613-617
  • 6 Baselt R C, Cravey R H. Disposition of toxic drugs and chemicals in man, 3rd Ed. Chicago, London, Boca Raton, Littleton; Year Book Medical Publishers, INC 1990
  • 7 Albrecht K. Intensivtherapie akuter Vergiftungen. Berlin, Wiesbaden; Ullstein Mosby 1997

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum
Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

eMail: frank.martens@charite.de

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