Balint Journal 2009; 10(1): 1
DOI: 10.1055/s-0028-1098850
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Editorial

G. Bergmann
Further Information

Publication History

Publication Date:
05 March 2009 (online)

Das Balint Journal erschien erstmalig im Jahr 2000. Es feiert somit in diesem Jahr sein zehnjähriges ­Bestehen. Der Vorstand der Deutschen Balint-Gesellschaft und die Redaktion freuen sich hierüber und sind stolz darauf. Es ist Anlass für ein kurzes ­Innehalten.

Vor mehr als zehn Jahren fanden Vorgespräche mit dem Georg Thieme Verlag statt. Der Unterzeichner erinnert sich gerne an die Vorbereitungsgespräche, die insbesondere in Heidelberg in einer konstruktiven, der Sache und einer kulturorientierten Betrachtungsweise gewidmet waren, ohne die Ökonomie, d. h. das verlegerische Risiko und damit auch das Risiko der Unternehmung insgesamt zu vergessen. Hier ist an erster Stelle Herrn Eich vom Georg Thieme Verlag zu danken. Er hat in seiner Person in hervorragender Weise Kultur und Ökonomie, Risikobereitschaft und Realitätssinn verkörpert, die Unternehmung mitgetragen und nach vorne gebracht hat. Wir denken gerne an eine kontinuierliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Verlag und den Mitarbeitern zurück und sagen hier Frau Czischek und Frau Malarczuk unseren herzlichen Dank.

Grundlage hierfür ist nicht zuletzt eine von Vertrauen und Respekt getragenes „Bezogensein“, welches im Einzelfall unterschiedliche Interessen zum Ausgleich bringen kann.

Heute ist noch deutlicher zu formulieren, was auch vor zehn Jahren Ziel war: ein Forum für ­Erlebnisse und Ergebnisse im Zusammenhang mit den Erfahrungen in Balintgruppen, ein Forum für theoretische Fragen im Zusammenhang mit dem Verständnis von beziehungsorientierter ­Arbeit, ­ergänzt durch Weiter- und Fortbildungs­aspekte, ein über methodische Grenzen Hinausschauen in andere Erlebnisdimensionen jenseits des ärzt­lichen psychotherapeutischen Aspektes.

Wie sind die Dimensionen von Begegnung, Beziehung und Interaktionen in einem zunehmend enger werdendem medizinischen und psychologischen Selbstverständnis einzuordnen, welchen Stellenwert haben sie in einer Welt der Systematik, der Zahlen, der Ökonomie, der Empirie mit ihren (scheinbaren) Objektivierungsmöglichkeiten? Ist es vermessen zu formulieren, dass es ein Beitrag ist zur Dialektik im Verhältnis von Naturwissenschaften und Kultur, von Emotion und Empirie, von bezogen sein und entzogen sein?

Mit einer solchen Idee begibt man sich in ein Wagnis. Es ist häufig ein Grenzgang. Nehmen wir die Natur­wissenschaften, die Ergebnisse der empirischen Forschung ausreichend zur Kenntnis? Gehen wir in einen Kulturraum der anderen gehört? Sind die eingegangenen oder aufgeforderten Artikel ­qualifiziert genug, sind sie ideologielastig? Sind sie ­ausreichend, hinreichend kritisch reflektierend. Entspricht der Schriftstil dem vorzutragenden ­Inhalt? Ist es eigentlich für den Leser, die Leserin von Interesse, anregend, interessant, innovativ?

Die Redaktion hat sich hiermit monatlich aus­einander gesetzt, sie hat weise und weniger weise Entscheidungen getroffen, aber sie hat um die ­gemeinsamen Ziele immer wieder gerungen, kontrovers und konsensuell.

Es ist ein Journal, welches sich auch als Forum versteht, nicht nur Ergebnisse, sondern auch Erlebnisse mitzuteilen, nicht nur Wahrheiten sondern auch Reflexionen über die Wahrheit.

In einer zehnjährigen Rückschau ist vieles gut ­gelungen, Weniges weniger gut.

Nun wird der Kritiker die Frage stellen: Was ist denn der Mehrwert, der Gewinn? Eine von vielen Antworten (und Sie, liebe Leser und Leserinnen sind aufgefordert, weitere zu geben) könnte sein: Die rechts und links eines zunehmend eingeengten medizinischen Weges liegenden Bedingungen besser zu verstehen, der Begegnung im ärztlich- und patientenorientierem Raum, den Kontext der aktuellen Begegnung, des Familien- und Freundes- aber auch des Kulturkreises. Besser zu verstehen heißt, dem Patienten in seiner subjektiven Wahrheit zu begegnen, heißt in und mit dem Arzt, der Ärztin, dem Psychologen, der Psychologin Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Neugier zu trainieren und damit etwas zu tun, was sowohl der Salutogenese des Patienten als auch der des Helfers dient. ­Bedarf es noch mehr Beweise als die Flucht der Patienten und Patientinnen in die Paramedizin und die Flucht der approbierten Ärzte in allenfalls medizinnahe, teils patientenferne Bereiche? Jenseits der Erfolge der naturwissenschaftlichen ­Medizin wird dies das Thema des nächsten Jahrzehntes sein. Entscheidend ist hierbei nicht, ob diese Entwicklung gut oder schlecht ist, entscheidend ist, dass wir dabei sind und sie mit gestalten. Und dass wir sie verstehen. Und dass wir dann unser Handeln darauf ausrichten. Es ist die Voraussetzung für ein Kohärenzgefühl, das unabdingbar dafür ist, weiter zu leben und zu ­arbeiten, sei es als Patient, sei es als Arzt, sei es als Patientin, sei es als Ärztin.

Das vorliegende Heft widmet sich der Grund­legung der Historie und der schweizerisch–deutschen Zusammenarbeit – ein Dokument wechselseitiger ­Bezogenheit (R. Honegger).

Ein Essay leitet uns in die „Finanzkrise“, Realität und Epiphänomen und somit von hoher Aktualität (A. Anselm – Manteuffel u. E. R. Petzold).

Anmerkungen zu Gruppenprozessen und ihrer ­Dynamik (S. Scheerer) sowie erfahrene und erlebte Balintgruppen, ein Bericht aus der Praxis (R. Neumeier) sind ebenso präsent.

Ein bunter Strauß – viel Spaß beim Lesen!

G. Bergmann, Göttingen

PD. Dr. med. G. Bergmann

Universitätsmedizin Göttingen · Vorstand, Ressort Krankenversorgung

Robert-Koch-Str. 42

37075 Göttingen

    >