Balint Journal 2009; 10(2 ): 61-62
DOI: 10.1055/s-0028-1098907
Leserbrief

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Bedrohung und Reflexion ärztlichen Identitätsgefühls in einer Balintgruppe

Leserbrief zu R. NeumeierReflecting on the Sense of Identity as a Medical Doctor and its Threat in a Balint GroupLetter to R. NeumeierD. Normann
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Publication Date:
10 June 2009 (online)

Mit Interesse habe ich Herrn Neumeiers Beitrag zur Angstabwehr in einer Balintgruppe gelesen. Zum einen habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht bei der Zusammenarbeit mit Teilnehmern, deren motivationale Grundlage durch die erzwungene Absolvierung einer festgelegten (m. E. viel zu niedrigen) Anzahl von Doppelstunden ­belastet war; zum anderen meine ich auch grundsätzlich, dass eine stärkere Reflektion des Umstandes und der Folgen „verordneter“ ärztlicher Balintarbeit notwendig ist und das darin grün­dende Konflikt­potential seitens der Leiter bzw. ­Organisatoren ­solcher Weiterbildungen bisher noch nicht ausreichend gewürdigt und konfrontiert wurde.

Die Bereitschaft, die in der Arbeit des Autors zum Ausdruck kommt, von den dargestellten kränkenden Erfahrungen sich berühren zu lassen, ohne sich gleichzeitig einen kreativen Raum zur selbstbewussten Auseinandersetzung zu verstellen, verdient großen Respekt. In der Tat ist die Offenheit und Schonungslosigkeit der Entwertung und Aggression, die zuweilen seitens der Teilnehmer zutage tritt, erstaunlich, und sie scheint kaum durch vordergründige strategische Anpassung oder Einhaltung allgemein gültiger Regeln zwischenmenschlichen Taktes abgemildert zu sein; diese Kompromisslosigkeit der Distanzierung ­erinnert an die „hart zu ziehende Grenze“, die ­seitens der Teilnehmer eingefordert wurde beim ersten vom Autor skizzierten Fall in seiner ­Gruppe.

Ergänzen möchte ich daher gerne folgenden ­Aspekt; er bezieht sich auf eine m. E. in solchen Balintguppen zwischen Leitern und Teilnehmern zu erkennende Wiederholung einer grundsätzlichen – insbes. bei schweren oder chronischen Krankheiten – unbewussten Dynamik zwischen Patienten und Ärzten. Im Patientenerleben, so ­erfuhr ich in vielen therapeutischen Gesprächen mit körperlich Kranken, soll der als gesund fantasierte potente Arzt „Gefühle“ zeigen, Schwächen erkennen lassen, mal sich als Privatmensch anfassen lassen (Abwehr von Neid); des Weiteren werden der Arzt selbst als Überbringer der Botschaft mitsamt seiner eingeleiteten Therapie und deren Nebenwirkungen häufig als der eigentliche Ort der Bedrohung – anstelle der Krankheit – ­erlebt (Verschiebung durch Suche nach dem Schuldigen). Der Arzt soll hierbei erkennen lassen, dass er Fehler macht – und sei es, dass er ­zuwenig ­aufgeklärt, nichts verstanden oder keine ganz­heit­liche Sicht hatte. Beide patienten­seitigen Bedürf­nisse, die ubiquitären Mustern ­see­lischer Abwehrprozesse bei der Krankheits­verarbeitung entsprechen, finden sich (zumindest aus Sicht der „zwangsverpflichteten“ Teilnehmer) leicht wieder in der „Psychozunft“, die von erwachsenen, kontinuierlich aus- und fortgebildeten Kollegen nicht nur deren Geld, sondern auch Gefühle sehen und Vulnerabilitäten in Form des sog. eigenen Anteils entlocken und entlarven will.

Auf diesem (auch) verschobenen Feld setzt oftmals eine heftige Rache ein, im Sinne einer Verweigerung der Balintarbeit. Man kann endlich mal draufhauen, wo sonst nur desinfiziertes Tasten erlaubt ist.

Die anhaltend ausbeutenden Arbeitsbedingungen einer Vielzahl von ärztlichen Kollegen sowie die ständig sich ausweitende oft als Qualität bemän­telte Weichspülung der Kommunikationsstrukturen zwischen Ärzten und Patienten (der mündige ­Patient ist König Kunde) sind leider nicht gerade geeignet, Hoffnung zu machen, dass sich zukünftig das energetische und narzisstische Polster erweitert, das Ärzte benötigen, um sich den Balint’schen Ideen zu öffnen.

Ich selbst stehe als Balintleiterin noch etwas ratlos vor der Frage, ob und wie die Grenze zu zie­hen ist zwischen dem masoschistischen Aspekt, der im Leiten solcher Gruppen lauert, und der ­Chance, die darin enthalten ist, dem verführerischen narzisstischen Rückzug zu widerstehen, welcher darin endet, doch lieber in den Schoß der „eigenen“ altbewährten und oft langlaufenden Gruppe ­zurückzukehren, in der nur die „wirklich Motivierten“ ­sitzen und dem Balint- und Leiter-Ego wohltun. Herrn Neumeiers Artikel hierzu macht doch insgesamt eher Mut, über diese Grenze wieder mal nachzudenken.

Dr. med. D. Normann

Handschuhsheimer Landstr. 42

69121 Heidelberg

Email: dorisnormann@aol.com

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