Fortschr Neurol Psychiatr 2009; 77(8): 431
DOI: 10.1055/s-0028-1109628
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Früherkennung und Frühbehandlung von Psychosen

Early Recognition and Prevention of PsychosesJ. Klosterkötter
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Publication Date:
12 August 2009 (online)

Psychotische Störungen gehören auch unter den heutigen verbesserten Behandlungsbedingungen immer noch zu den das Leben am meisten belastenden Erkrankungen. Deshalb bemüht man sich in neu entstandenen Früherkennungszentren inzwischen weltweit um die Entwicklung und Überprüfung von geeigneten Präventionsstrategien.

Die zunehmende Bedeutung dieser Programmatik kommt auch in diesbezüglichen Publikationen unserer Zeitschrift schon seit Jahren immer wieder zum Ausdruck. In Heft 6 hatte die Arbeitsgruppe um A. Richer-Rössler aus dem Früherkennungszentrum an der Psychiatrischen Poliklinik des Universitätshospitals in Basel ein Selbstbeurteilungsinstrument zur Früherkennung von Psychosen vorgestellt und sich optimistisch zu den Möglichkeiten geäußert, in psychiatrischen und auch in Hausarztpraxen Personen mit erhöhtem Psychoserisiko aus psychisch Kranken mit anderen psychiatrischen Diagnosen herauszufiltern [1] [2]. In einem der nächsten Hefte nehmen nun Ch. Eggers und D. Bunk aus dem vergleichsweise großen Erfahrungsschatz der schon in den 60er-Jahren begonnen „Essener Studie über Langzeitverläufe im Kindes- und Jugendalter beginnender Schizophrenien” heraus in eher skeptischer Weise auf die Früherkennung- und Präventionsprogrammatik Bezug [3]. Gerade bei Kindern mit ihrem noch als pluripotent anzusehenden Verhaltensrepertoire seien hinsichtlich der Risikoeinschätzung äußerste Vorsicht sowie Zurückhaltung angebracht und bei der Planung einer präventiv ausgerichteten Frühbehandlung deren Nutzen und Risiko besonders sorgfältig abzuwägen. In der Tat bedürfen Früherkennung und Frühintervention bei Psychosen mit erster Manifestation vor dem 18. Lebensjahr („early onset”) oder schon vor dem 13. Lebensjahr („very-early onset”) besonderer Anstrengungen und man kann es nur begrüßen, dass uns Ch. Eggers als hoch erfahrener Pionier auf diesem Forschungsgebiet zusammen mit seinem langjährigen Mitarbeiter Bunk noch einmal auf alle die Abgrenzungsschwierigkeiten in dem oftmals breiten Spektrum psychischer Symptome in der Vorgeschichte kindlicher Schizophrenien aufmerksam macht. Eine solche differenzialdiagnostische Herausforderung wie diese kindlichen Syndrome, die neben den noch vergleichsweise spezifischen sozialen Kommunikationsstörungen und Rückzugstendenzen auch Lern-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Sprach- und Sprechstörungen, Defizitsyndrome mit Negativsymptomatik sowie Entwicklungsstörungen umfassen können [4], bietet der Frühverlauf der typischen schizophrenen Erkrankungen mit ihren Erstmanifestationen im jungen Erwachsenenalter zwar in der Regel nicht. Die initialen Prodrome, um deren treffsichere Identifikation und richtige prospektive Risikobewertung es in den Früherkennungszentren geht, beginnen aber mit ihrer durchschnittlich fünfjährigen Verlaufsdauer immerhin oft auch schon deutlich vor dem 18. Lebensjahr und können dann durchaus ähnliche Abgrenzungsschwierigkeiten wie die „early onset”-Psychosen mit sich bringen.

Deshalb ist es lehrreich, zwischen den beiden angesprochenen Publikationen eine gedankliche Verbindung herzustellen. Der erwachsenenpsychiatrische Optimismus und die kinder- und jugendpsychiatrische Skepsis müssen voneinander profitieren und dies kann nur durch die gemeinsame Entwicklung von Früherkennungsinstrumenten mit aufeinander abgestimmten Erwachsenen- sowie auch Kinder- und Jugendversionen gelingen, für die es mit dem Schizophrenia-Proneness-Instrument (SPI) bereits ein vielversprechendes Beispiel gibt [5]. Die sich sowohl in der grundlagenwissenschaftlichen als auch in der klinischen Forschung immer mehr durchsetzende Früherkennungs- und Präventionsprogrammatik nicht nur für die Schizophrenien, sondern auch viele andere schon im Kindes- und Jugendalter beginnende psychiatrische Erkrankungen zwingt überhaupt dazu, den auf die unterschiedlichen Lebensabschnitte bezogenen Wissenserwerb inhaltlich, methodisch und auch institutionell viel stärker miteinander zu verschränken, als das bisher in Deutschland üblich ist. Sehr zu recht wird diese Perspektive denn auch einen der thematischen Schwerpunkte des diesjährigen DGPPN-Kongresses ausmachen.

Literatur

  • 1 Riecher-Rössler A, Aston J, Ventura J. et al . Das Basel Screening Instrument für Psychosen (BSIP): Entwicklung, Aufbau, Reliabilität und Validität.  Fortschr Neurol Psychiatr. 2008;  76 207-216
  • 2 Kammermann J, Stieglitz R D, Riecher-Rössler A. „Selbstscreeen-Prodrom” – Ein Selbstbeurteilungsinstrument zur Früherkennung von psychischen Erkrankungen und Psychosen.  Fortschr Neurol Psychiatr. 2009;  77 278-284
  • 3 Eggers C, Bunk D. Frühentwicklung kindlicher Schizophrenien.  Fortschr Neurol Psychiatr. 2009;  im Druck
  • 4 Resch F. Früherkennung und Frühbehandlung der Schizophrenie: Chance oder Dilemma?.  Z Kinder-Jugendpsychiatr Psychother. 2008;  36 235-244
  • 5 Schultze-Lutter F, Koch E. Schizophrenia Proneness Instrument, Child and Youth version (SPI-CY).  2008;  DOI: Epub: www.basissymptome.de

Prof. Dr. med. Joachim Klosterkötter

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Köln

Kerpener Str. 62

50924 Köln

Email: joachim.klosterkoetter@uk-koeln.de

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