manuelletherapie 2009; 13(4): 154-155
DOI: 10.1055/s-0028-1109746
Kongressbericht

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

International Mulligan Concept Conference „Mobilizations with Movement: The Science, Evidence and Art”

B. Scherer
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Publication Date:
22 September 2009 (online)

Vom 1. bis 3. Mai fand in Chicago (USA) die 1. internationale Mulligan-Konferenz statt. Als Teilnehmerin (und Absolventin der Mulligan-Kurse in der Schweiz) verfolgte ich diese Veranstaltung gespannt und erhielt weitere interessante Einblicke in das Mulligan-Konzept. Zudem wollte ich die Möglichkeit nutzen, die Persönlichkeit Brian Mulligan kennenzulernen. Anwesend waren auch vor allem amerikanische Physiotherapeuten, die die Mulligan-Kurse bereits absolviert hatten und als Certified Mulligan Practitioners (CMP; zum Erwerb des Titels muss nach absolviertem Grund- und Aufbaukurs eine Prüfung abgelegt werden) praktizieren. Mit den 45 zertifizierten Mulligan-Instruktoren waren insgesamt 150 Teilnehmer anwesend.

Am Freitag fand der Präkonferenzkurs A Day with Brian Mulligan statt. Der 76-jährige Brian Mulligan demonstrierte mit viel Können und Geschick eine Auswahl seiner äußerst interessanten Techniken und verstand es, die Teilnehmenden mit seinem Wissen und seinem Humor in seinen Bann zu ziehen. Nach einer kurzen Einleitung zum Konzept stellte er die Mobilisation with Movement (MWM) vor, die passiv gehaltene Zusatzbewegungen des Therapeuten darstellen. Dabei führt der Patient eine Bewegung in die eingeschränkte oder schmerzhafte Richtung aus. Bei den MWM handelt es sich um sogenannte PILL-Techniken, d. h. sie richten sich bei korrekter Anwendung nach folgenden Merkmalen:

P = painfree (schmerzfrei);

I = immediate result (sofortige Besserung);

L = long;

L = lasting (lang anhaltende Verbesserung).

Bei den MWM gelten die üblichen Kontraindikationen der Manuellen Therapie. Tritt keine Besserung ein, sind sie nicht indiziert. Die Bewegungen werden am 1. Behandlungstag an der Wirbelsäule jeweils 3-mal, an den Extremitätengelenken 10-mal wiederholt, wobei sich die Wiederholungszahl bei erfolgreicher Anwendung in den folgenden Therapiesitzungen steigern lässt. Zur Optimierung der MWM kann passiver Überdruck hinzugefügt werden. Dies geschieht möglichst durch den Patienten. Wichtig ist, dass die Therapeutin die Zusatzbewegungen während des gesamten Bewegungsausmaßes aufrechterhält.

Brian Mulligans 1. Patientenbeispiel zeigte eine aktiv ausgeführte, ab 80° schmerzhafte Schulterabduktion. Nach seinen klinischen Erkenntnissen behandelt er bei Schulterproblemen immer zuerst die HWS. Als 1. Technik führte er eine Spinal Mobilisation with Arm Movement (SMWAM) auf C 4 aus, worauf der Patient 10-mal aktiv den Arm abduzierte. Anschließend wurde die Abduktion mit Überdruck behandelt, was zu einer schmerzfreien Abduktion führte. Nach Mulligan basiert das erstaunliche Ergebnis auf neurophysiologischen Wirkungen, der Fazilitation der eingeschränkten Bewegung und dem engen Zusammenhang von HWS und Schulterbewegungen. Im Anschluss übten die Teilnehmer jeweils zu viert die vorgeführten Techniken, wobei sie von den anwesenden Instruktoren kontrolliert wurden. Insgesamt präsentierte Mulligan mehr als 10 Techniken (HWS, BWS, LWS, Ellenbogen, Hüfte, Knie und Fuß).

Nach einem anstrengenden und inspirierenden Kurstag konnte man in einem ungezwungen Rahmen mit Brian Mulligan anstoßen, der die ihm entgegengebrachte Anerkennung sichtlich genoss.

Am folgenden Tag eröffnete Mulligan offiziell die 1. internationale Konferenz. Er wies darauf hin, dass weltweit immer mehr CMP praktizieren und seine Bücher bereits in 9 Sprachen übersetzt wurden. Mulligan betonte die Wichtigkeit der wissenschaftlichen Evidenz. Mitte der 80er-Jahre begann er Patienten mit den MWM zu behandeln, und Ende der 90er-Jahre veröffentlichte der Australier Dr. Bill Vicenzino mit seinem Team die 1. randomisierte Studie über Tennisellenbogen. Zwischenzeitlich wurden viele weitere Studien durchgeführt, die wissenschaftlich belegen, dass sich mit dem Mulligan-Konzept insbesondere zervikogener Schwindel und Kopfschmerzen, Tennisellenbogen und Distorsionstraumen des oberen Sprunggelenks erfolgreich behandeln lassen.

Anschließend hielt Dr. Bill Vicenzino einen Vortrag über The Art and its Science der MWMs und stellte fest, dass es sich sehr oft eher um Science – also Wissenschaft – als nur um Kunst handelt.

Zum Thema Schwindel stellte die Australierin Susan Reid ihre Studie The Treatment of Cervicogenic Dizziness and Pain with SNAG: A Randomized Controlled Trial vor. Darin untersuchte sie die Wirksamkeit des Sustained Natural Apophyseal Glide bei zervikogen bedingtem Schwindel, Nackenschmerzen und der daraus resultierenden Behinderung im Alltag. Sie verglich die SNAG mit einer Placebobehandlung. Ihre Schlussfolgerung: SNAG hatten bei HWS-Dysfunktionen einen sofortigen, lang anhaltenden Effekt bei der Reduktion von Schwindel, Schmerz und Behinderung im Alltag.

Peter Osmotherly, ebenfalls Australier, präsentierte eine Studie zu kraniovertebraler Instabilität vor. Er stellte die Frage, ob die Stabilitätstests wirklich die Anatomie reflektieren. Die Untersucher erkannten, dass die Ligg. alaria und die Membrana tectoria anatomisch bedingt verschiedene Verläufe haben. Die üblichen angewandten Stabilitätstests sind neu zu überprüfen, da sie nicht zuverlässig die zu prüfenden Strukturen unter Zug bringen. Ein falsch negatives Resultat der Stabilitätsteste hätte unter Umständen schlimme Folgen.

Nach den Referaten fanden während 2 Stunden verschiedene Workshops statt. Brian Mulligan zeigte die Behandlungen gegen Fersenschmerzen mit Kalkaneusmobilisationen und einen Natural Apophyseal Glide (NAG) auf C 2 gegen Kopfschmerzen. Bei dieser Technik werden beide Facettengelenke in die anatomische Richtung nach ventral mobilisiert. Weitere Referenten stellten ihre aktuellen Forschungsergebnisse zu Mulligan-Techniken vor und rundeten den Kongresstag ab.

Am 3. Tag erklärte Dr. Bill Vicenzino die Rolle der MWM bei Verletzungen des oberen Sprunggelenks. Das posterior-anteriore Gleiten des Unterschenkels gegen den Talus zeigt sehr gute Erfolge bei Supinationstraumen.

Dr. Darren Rivett (Australien) hielt einen Vortrag über MWM und Clinical Reasoning, das er als perfektes Zusammenspiel bezeichnete. Der Anspruch des Clinical Reasonings hat das Mulligan-Konzept erreicht, da die Behandlung damit eine ständige Reflexion beinhaltet.

In einem 2-stündigen Workshop demonstrierte Brian Mulligan weitere Anwendungsbeispiele und Verfeinerungen seiner Techniken. Rick Crowell (Mulligan-Instruktor aus den USA) zeigte verschiedene Taping-Techniken. So wird bei Achillessehnenproblemen z. B. der M. gastrocnemius nach lateral getapet. Um einen Senkfuß zu korrigieren, wird das Achillessehnentape weiter kaudal angebracht, wobei sich die Tapeenden jedoch nicht zirkulär überlappen dürfen.

Danach besuchte ich bei Toby Hall (Mulligan-Instruktor aus Australien) ein Seminar zum Thema Die obere HWS. Er stellte den Rotationstest von C 0 – C 2 in Flexion vor. Das normale Bewegungsausmaß liegt bei 45° falls die Beweglichkeit um 15° kleiner ausfällt, ist der Test positiv. Bei Kopfschmerzen ist die Technik erster Wahl ein SNAG auf C 1. Weiter zeigte er mit Gurten die Traktion an der oberen HWS aus Rückenlage und betonte, dass in dieser Ausgangsstellung die Flexion und Rotation zur Mobilisation genau eingestellt werden kann.

Einmal mehr wurde dargelegt, dass das Mulligan-Konzept effizient aufgebaut ist, da sich der Patient aktiv bewegen und somit bei der Behandlung mitarbeiten muss. Das entsprechende Heimprogramm ist konsequenterweise fest integrierter Bestandteil der Behandlung.

Nicht sehr gelungen war der gewählte Kursort. Das Kongresshotel lag in unmittelbarer Nähe des internationalen Flughafens, der mehrspurig im 2-Minutentakt angeflogen wird. Leider war das Stadtzentrum von Chicago mit öffentlichen Verkehrsmitteln 1Œ Stunden entfernt. Dennoch erlebten die Teilnehmenden einen gelungenen und praxisorientierten Kongress, der die Reise wert war.

Die Präsentationen des Kongresses können unter www.bmulligan.com als PDF heruntergeladen werden.

Abb. 1 Blick ins Plenum.

Abb. 2 Brian Mulligan, Bill Vicenzino, Toby Hall und Darren Rivett (von links) bei einer Podiumsdiskussion.

Barbara Scherer

PT, OMTsvomp

Zürich, Schweiz

Email: barbara.scherer@physio-meierhof.ch

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