Fortschr Neurol Psychiatr 2009; 77(10): 607-618
DOI: 10.1055/s-0028-1109794
Mitteilungen

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft

Nr. 24 (2009) Hans Stoffels1
  • 1Redaktion: Rainer-M. E. Jacobi, Bonn
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Publication Date:
09 October 2009 (online)

Tagungsbericht

Arbeit und Gesundheit – Von den menschlichen Vorrausetzungen des Arbeitenwollenkönnens14. Jahrestagung der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft in Verbindung mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bethel vom 1. – 3.10.2008 in Bielefeld.

Wie schon im Jahr 2000 galt auch die letzte Jahrestagung einer Thematik aus jenem Sektor des Weizsäckerschen Werkes, der in der bisherigen Rezeption kaum Beachtung fand: nämlich dem der Sozialmedizin.[1] Dies überrascht umso mehr, als gegenwärtig ein Umbruch im Verständnis und Begriff der Arbeit zu beobachten ist, dessen soziale und gesundheitspolitische Konsequenzen es lohnenswert erscheinen lassen, auf einschlägige Quellen zu rekurrieren. Bereits vor 60 Jahren unternahm Viktor von Weizsäcker mit einer grundlegenden Studie für die Festschrift zum 80. Geburtstag des Historikers und Kulturtheoretikers Alfred Weber den Versuch einer Neubestimmung des Begriffs der Arbeit.[2] Der lange Zeit im Vordergrund stehende Erwerbscharakter der Arbeit hat deren strukturelle Sozialität, wie sie Weizsäcker mit den Formeln des „Umgangs”, der „Mitarbeit” und der „Gegenseitigkeit” zu beschreiben sucht, weitgehend verdeckt.[3] So verbindet sich mit Weizsäckers Plädoyer zur Anerkennung einer je individuellen „Krankheitsarbeit” wie auch mit seiner Absage an „beliebige Verwertbarkeit” im Sinne einer vermeintlich „an sich indifferenten Arbeitsfähigkeit” eine bis heute unzureichend gewürdigte Problematik.[4] Auch dass er zur Bestimmung von Gesundheit und Krankheit nach den je gegebenen „menschlichen Voraussetzungen des Arbeitenwollenkönnens” fragt,[5] erschließt sich erst im Lichte einer Grundthese seiner Medizinischen Anthropologie, wonach „Krankheit als eine Weise des Menschseins zu gelten hat.”[6]

Am Vorabend der Jahrestagung gab der Philosoph Stephan Grätzel (Mainz) einen auf unseren Kulturkreis bezogenen Überblick zum geschichtlichen Wandel des Arbeitsbegriffs. So habe die Arbeit von der Antike bis zur Neuzeit eine negative Bewertung als notwendiges Übel erfahren, um erst mit der Reformation mit positiven Attributen wie „Menschsein”, „erwählt sein” und „produktiv sein” verknüpft zu werden, was bis heute anhalte. Nach vertieftem Eingehen auf Grundbegriffe von Max Webers Schriften insbesondere aus „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus” erläuterte Grätzel den Arbeitsbegriff bei Hegel, insbesondere anhand der in der „Phänomenologie des Geistes” entwickelten dialektischen Betrachtung von „Herr und Knecht” und dessen Weiterentwicklung durch Karl Marx. Es folgten Betrachtungen zu Hannah Arendts Begriff der „Vita activa” und ihrem Versuch, den Arbeitsbegriff von seinem religiösen Nimbus zu befreien. Eine luzide Beschreibung der etwa seit den 70er-Jahren veränderten Arbeitswelt sei durch den Soziologen Richard Sennett in „Der flexible Mensch” (im englischen Original: „The corrosion of character”) von 1998 erfolgt. Die bis dahin insgesamt eher fest gefügte, lebenslang angelegte Berufskarriere mit Werten wie Treue, Vertrauen und Loyalität sei ersetzt worden durch kurzfristige, unsichere „Jobs”, die eine zunehmende Flexibilisierung erforderten und mit Unsicherheit und ständiger Sorge einhergingen. Mittlerweile plädieren der deutsche Soziologe Ulrich Beck wie auch der Unternehmer Götz W. Werner für ein Grundeinkommen, da das Ziel einer Vollbeschäftigung schon seit Jahren nicht mehr als realistisch eingeschätzt werden könne. Beck entwirft in „Schöne neue Arbeitswelt – Vision: Weltbürgergesellschaft” von 1999 die Vision einer „politischen Bürgergesellschaft” als Antithese zur bestehenden Arbeitsgesellschaft. Grätzel warf die Frage auf, ob die von Beck und Werner vertretenen Positionen Ausdruck einer veränderten Arbeitsethik seien oder letztlich nur ein verändertes Wirtschaftsmodell darstellten. In der an den Vortrag anschließenden Diskussion lieferten viele Beiträge konkrete Beispiele unterschiedlicher Auffassungen eines vom Erwerbscharakter entkoppelten Arbeitsbegriffs.

Den ersten Tagungsvormittag eröffnete die Sozialwissenschaftlerin Annelie Keil (Bremen) mit der Frage nach dem „Wert der Arbeit aus biografischer Perspektive”. Der lebendige und persönliche Aspekte umfassende Vortrag nahm seinen Ausgang von einem Herzinfarkt, den die Referentin im Alter von 40 Jahren erlitten hatte. Sie sei damals mit den Schriften Viktor von Weizsäckers in Berührung gekommen, was zu einem grundsätzlichen Wandel in ihren Auffassungen geführt habe. Annelie Keil entwickelte in ihrem Vortrag einen weit gefassten Arbeitsbegriff im Sinne einer biografischen Lebensarbeit, die jeder zu leisten hat. Ihre Ausführungen wurden durch konkrete Beispiele illustriert, den 12-jährigen Mark, ein Patient der Kinder- und Jugendpsychiatrie aus schwierigem sozialem Milieu und einer Hauptschullehrerin, die im Verlauf ihres Berufslebens an Multipler Sklerose erkrankte.

Die menschliche Entwicklung folge biologischen und universellen Prinzipien. Wir werden zu einer bestimmten Zeit in ein bestimmtes Milieu geboren und bekommen eine bestimmte Ausstattung mit. Die konkrete Biografie kann nur auf der Basis des Vorgefundenen gestaltet werden. Um aus dem „Geworfensein” einen einmaligen biografischen Entwurf zu machen, sind Förderung und Schutz erforderlich, die wir in unterschiedlichem Ausmaß und manchmal nicht ausreichend erhalten. Die menschliche Existenz ist immer auch Krisenexistenz. Sie ist pathisch, d. h. durch Endlichkeit, Verletzlichkeit, Krankheit und relative Unvorhersagbarkeit gekennzeichnet; die „Lebensarbeit” kann zur „Krankheitsarbeit” werden. In der Krise, wie zum Beispiel bei der Erkrankung der vorgestellten Lehrerin, kommt es zu Fragen wie „warum-gerade-jetzt”, „warum-gerade-hier” und „warum-gerade-ich”.[7] Leben wird entschieden und erlitten, jede Biografie erzählt über die pathischen Kategorien des Müssens, Sollens, Dürfens, Wollens und Könnens, die eng miteinander verknüpft sind.[8] Stets müssen wir konkrete Antworten auf die Herausforderungen des Lebens suchen. Dieses Ringen um Entwicklung geschieht in permanentem Austausch mit der Welt und den Mitmenschen. Die Übernahme der Verantwortung für diese Entwicklung setzt ein gewisses Maß an Selbstwirksamkeit voraus, das heißt, Vertrauen in sich selbst und in das eigene Tun, aber auch Vertrauen in andere, in Beziehungen und die Anerkennung durch andere. Jede Arbeit an dieser Entwicklung ist demnach wesenhaft stets Zusammenarbeit. Das Leben wird zu einem lebenslangen Lernen, was mitnichten eine Erfindung der Pädagogen sei. Die Schulen und Universitäten würden in der Vermittlung dieser Haltung leider oftmals scheitern. Gerade an Universitäten würde nicht vermittelt, lernen und erfahren zu wollen, sondern oftmals eine ergebnisorientierte Haltung, die zunächst danach fragt, was in der nächsten Prüfung an faktischem Wissen gewusst werden muss. Keil bezog sich auf Weizsäcker sinngemäß mit der Aussage, dass man sich ständig in der Welt bewegen und mit ihr verstricken müsse. Sie zitierte ihn zum Abschluss ihres Vortrags mit der nicht leicht zu verstehenden These, dass jede gelingende Arbeit, also auch im weiteren Sinne die beschriebene Lebensarbeit eine „kleine Ekstase” sei.[9] Dieser Satz wurde in der nachfolgenden Diskussion und im weiteren Tagungsverlauf immer wieder aufgegriffen.

Anschließend sprach der Soziologe Bruno Hildenbrand (Jena) über die „Zumutbarkeit im Rehabilitationsprozess des kranken Menschen”. Der Referent bemühte sich um die Integration zweier Perspektiven bei der Beantwortung der Frage, welche Art der Veränderung und Anpassungsleistung einem Menschen in bestimmten Situationen und Krisen seines Lebens zumutbar seien. Zum einen nahm er die Perspektive der anthropologischen Psychiatrie ein unter besonderer Berücksichtigung der Geschichtlichkeit eines Lebens, des Anerkennens der Familiengeschichte als Teil der Biografie und der Auffassung von Krankheit als Einbruch, d. h. als eine eingetretene oder drohende Stagnation des Werdens. Zum anderen nahm er eine soziologische Perspektive ein, bei der die Autonomie einer konkreten Lebenspraxis durch die Entscheidungen in Krisensituationen zum Ausdruck komme. Eine Autonomie sei ohne Krisenbewältigung nicht zu haben. Routine sei als Übergang zwischen Krisen möglicherweise schon der erste Schritt in eine Krankheit. Eine Integration dieser Perspektiven könne in einer Genogrammarbeit gelingen, die in genauer Sequenzanalyse die Biografie und Familiengeschichte rekonstruiere. Krankheit wird anhand dieser Rekonstruktion als der Prozess einer verfehlten Problembewältigung in Situationen der Krise aufgefasst, die sich anhand konkreter Entscheidungen in der Familiengeschichte analysieren ließe. Die Arbeit mit dem Genogramm stellte Hildenbrand anhand eines konkreten Patienten vor, den er in Melchiors Grund kennengelernt hatte. Melchiors Grund ist eine psychiatrische Fachklinik am Vogelsberg in Hessen. Es handelt sich um ein „Kulturtherapeutisches Dorf” und eine „Freie Lebensstudien-Gemeinschaft für soziale Hygiene”, so der Name des eingetragenen Vereins, mit 60 Betten für medizinische und soziale Rehabilitation, Pflege und betreutes Wohnen. Es werden Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen und weiteren psychiatrischen Diagnosen, sogenannten „Doppeldiagnosen” behandelt, wobei die Aufenthaltsdauer sich im Einzelfall auf mehrere Jahre erstrecken kann. Das Dorf verfügt über 150 Hektar mit biologisch-dynamischer Landwirtschaft und unter anderem über eine Theaterwerkstatt. Ein großer Teil der Behandlung und Rehabilitation beruht auf der Integration in die tätige Dorfgemeinschaft. Der vorgestellte Patient, Sascha, 1978 geboren, hatte bereits viele Jahre im Gefängnis verbracht, bevor er in Melchiors Grund aufgenommen wurde. Seine Familiengeschichte wurde anhand eines Genogramms über mehrere Generationen rekonstruiert. Saschas bisheriger Lebensweg war gekennzeichnet durch Drogen und Delinquenz, sein Lebensstil war, wie verdeutlicht werden konnte, gekennzeichnet durch Einzelkämpfertum und Vatersuche. Die in Melchiors Grund auftretenden Krisen, Saschas massive Schwierigkeiten, sich in eine Gemeinschaft zu integrieren und Autoritäten zu akzeptieren, wurden so besser verständlich. Durch die Genogrammarbeit werde es ermöglicht, ein besseres Gespür dafür zu entwickeln, was dem Patienten in einer gegebenen Situation zumutbar sein könnte und was noch nicht. Hildenbrand sprach von Prolepsis als einem spezifischen „Möglichkeitssinn” dafür, was jemandem zugemutet werden könne.[10] Hierzu bedürfe es einer genauen Situationskenntnis im Sinne „individueller Normalität”. Überdies müsse die „affektive Rahmung” stimmen, die Begegnung mit dem Patienten also von Zuverlässigkeit, Vertrauen und Respekt gekennzeichnet sein. Der Patient müsse das Vertrauen haben, aufgefangen zu werden, wenn der Sprung daneben gehe.[11] In der Diskussion ging es vertieft um den Begriff der Zumutbarkeit und insbesondere um seine konkrete Anwendung in der Alltagspraxis. Der niedergelassene Arzt werde zum Beispiel häufig mit Situationen konfrontiert, in der von ihm Krankschreibungen und Atteste gewünscht würden und er in einem relativ kurzen Kontakt eine Haltung dazu entwickeln müsse, was dem Patienten zumutbar ist und ob er dem Gewünschten entsprechen sollte.

Am Nachmittag fanden zeitgleich drei Symposien statt, die sich speziellen Fragestellungen widmeten. Im ersten Symposion unter der Leitung von Rainer Schmitt aus Bielefeld-Bethel mit der Thematik „Arbeit als Therapie” gab es Beiträge von Thomas Reuster aus Dresden „Kann Arbeit Therapie sein? Eine Einführung”, von Antje Höper und Rupprecht Thorbeke aus Bielefeld-Bethel über „Beobachtungen bei medizinischen Belastungserprobungen Epilepsiekranker” und von Joachim G. Witzel aus Uchtspringe über „Beobachtungen bei arbeitstherapeutischer Alltagsgestaltung in der forensischen Psychiatrie”. Das zweite Symposion „Arbeitsunfall und psychosomatische Traumaverarbeitung” wurde von Mechthilde Kütemeyer aus Köln moderiert. Beiträge leisteten Barbara Benoit aus Herscheid über den „Arbeitsunfall als Inszenierung. Sprachanalyse von Unfallschilderungen”, Mechthilde Kütemeyer selbst über den „Arbeitsunfall als seelisches Trauma – psychosomatisch und sozialmedizinisch” sowie von Bernhard Nguyen aus Köln über „Psychosomatische Rehabilitation nach Arbeitsunfällen”. Das dritte Symposion behandelte in der Tradition der letzten Jahrestagungen „Fälle und Probleme”, die von Martin Reker aus Bielefeld moderiert wurden. Kornelia Fricke von der ambulanten Suchtkrankenhilfe in Bethel und Martina Steinbauer von der Arbeitsvermittlung „Arbeitplus in Bielefeld GmbH”, einer Tochtergesellschaft der Stadt Bielefeld und der Agentur für Arbeit Bielefeld, stellten eine Patientin respektive Kundin vor, die nach Entwöhnungsbehandlung in eine Arbeit vermittelt werden sollte. Diese Arbeit war nach Einschätzung der sie betreuenden Frau Fricke zu dem gegebenen Zeitpunkt nicht zumutbar. Dies wurde kontrovers diskutiert, wie auch die Angemessenheit der Bezeichnung als „Kundin” aus der Sicht der Arbeitsvermittlung.[12] Im zweiten Teil des Symposions berichtete Frau Hannelore Reich-Gerick, aus der Behörde für Schul- und Berufsbildung in Hamburg, von ihrer Arbeit mit Lehrern, die zu 25 % frühpensioniert würden und ihren Schwierigkeiten im Berufsleben, ihrer schwierigen gesellschaftlichen Rolle und der häufig erlebten mangelnden Anerkennung ihrer Arbeit.

Den zweiten Tagungsvormittag eröffnete der Psychiater Thomas Reuster (Dresden) mit einem Vortrag über „Arbeit als Therapie”. Er begann seine Ausführungen mit den Schwierigkeiten, die Begriffe Arbeit und Therapie genau zu definieren, für beide gebe es zahlreiche Definitionsversuche, allerdings ohne dass deren Zusammenhang konsistent dargestellt werde. Einfach und pragmatisch sei die Definition der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), nach der Arbeit Therapie sei, wenn sie ärztlich verordnet und Teil eines Behandlungsplans ist. Reuster lieferte einen weit gespannten medizinhistorischen Überblick zu Arbeit und praktischem Tätigsein als Therapieform in der Psychiatrie. Die Bezeichnung Ergotherapeut existiere als Berufsbezeichnung in Deutschland erst seit 1999. Deutlich wurde in seinen Ausführungen mit Erwähnung von Galens Diktum „Arbeit ist die beste Medizin, die uns die Natur gegeben”, von Esquirol (1772 – 1840) und Phillipe Pinel (1745 – 18 826), Wilhelm Griesinger (1917 – 1868) und Johann Christian Reil (1759 – 1813), dass es Arbeit als Therapie immer schon gegeben habe. Allerdings habe es auch immer wieder kritische Töne gegeben, wie zum Beispiel von Ernst Kretschmer (1888 – 1964), der den „Arbeitsfanatismus” seiner Zeit geißelte. Reuster ging auch auf Positionen von Autoren wie Goethe, Hölderlin und Novalis zur heilsamen und positiven Wirkung des praktisch-körperlichen Tätigseins ein. So zitierte er zum Beispiel Goethe mit seiner tiefen Skepsis des „Erkenne Dich selbst”. Viktor von Weizsäcker habe sich zweimal explizit mit dem Thema Arbeit als Therapie beschäftigt. Zum einen in den 20er-Jahren in Heidelberg mit der Situationstherapie, die er in „Soziale Krankheit und soziale Gesundung” vorstellt, und am Ende des zweiten Weltkriegs durch die Arbeit in einem Hirnverletztenlazarett, die in dem Aufsatz „Arbeitstherapie bei Hirnverletzen” beschrieben wird.[13] Reuster ging dann detaillierter auf die im letztgenannten Aufsatz beschriebene Unterscheidung von leistungsgebunden im Gegensatz zu symptomgebunden bei in ihrer Arbeitsfähigkeit Eingeschränkten ein. Der Hirnverletzte gehöre demnach überwiegend zu den leistungsgebunden Eingeschränkten. Das heißt, seine Beschwerden treten erst mit und durch eine Leistung auf. Dies ist gegensätzlich zu den meisten anderen Kranken und den sogenannten Neurotikern, die ihre Symptome unabhängig von zu erbringender Leistung auch in Ruhe verspüren und bei der Ablenkung durch Arbeit gegebenenfalls sogar verlieren können. Aus dieser Unterscheidung folge, dass man allein aus der neurologischen Untersuchung und durch objektive Messmethoden über Art und Ausmaß einer Arbeitsfähigkeit keine sichere Aussage machen könne. Erst eine tätige Arbeitserprobung zeige, wie die tatsächliche Arbeitsfähigkeit einzuschätzen sei.

Der Neurologe Wilhelm Rimpau (Berlin) stellte in seinem Vortrag „Der Gesellschaftswert ärztlicher Leistungen nach Viktor von Weizsäcker” Dokumente aus dem Bundesarchiv Koblenz und dem Nachlass Dolf Sternbergers aus dem Deutschen Literaturarchiv Marbach vor, die erst 2006 und 2007 gesichtet wurden. Diese Quellen enthalten einen Antrag an die „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft” (aus der ab 1951 die Deutsche Forschungsgemeinschaft hervorging) von 1932 auf Unterstützung einer sozialpolitischen Arbeitsgemeinschaft, die sich überraschend interdisziplinär mit einer Reform des Sozialversicherungswesens beschäftigte. Rimpau stellte aufgrund der beschränkten Zeit kursorisch die gefundenen Dokumente und Quellen vor, die in ihrer Bedeutsamkeit noch längst nicht vollständig untersucht und ausgedeutet seien, bevor er im zweiten Teil seines Vortrags die Mitglieder der sozialpolitischen Arbeitsgemeinschaft vorstellte, der auch Dolf Sternberger angehörte. Im dritten Teil seines Vortrags ging Rimpau unter dem Motto „der Gesellschaftswert ärztlicher Leistungen” etwas näher auf Weizsäckers Aufsätze „Über Rechtsneurosen” von 1929, „Soziale Krankheit und soziale Gesundung” von 1930 sowie „Ärztliche Gedanken zur Versicherungsreform” von 1931 ein.[14] Diese Schriften enthielten zusammen mit den neu entdeckten Quellen und Dokumenten entscheidende Vorschläge zu einer Reform und einem Wandel der Sozialpolitik, die gerade heute wieder hoch aktuell seien, und – so Rimpau – annähernd „1 zu 1” übernommen werden könnten. Er schloss seinen Vortrag mit dem Ausdruck tiefen Bedauerns, dass die Beiträge Weizsäckers und der sozialpolitischen Arbeitsgemeinschaft bislang kaum wirksam geworden wären, und verband dies mit einem Appell, die Notwendigkeit einer neuen Sozialgesetzgebung diskursfähig zu machen.

Der Psychologe und Unternehmensberater Ingo Dammer (Köln) hielt den anschließenden Vortrag mit dem Titel „Macht Arbeit krank? Von der Schwierigkeit, aus der Not eine Tugend zu machen.” Er griff in seinem unterhaltsamen und oftmals humorvollen Vortrag zunächst die Klage der mangelhaften wirkungsgeschichtlichen Durchsetzung Weizsäckers auf. Weizsäcker würde zwar immer wieder erwähnt, und auch „gern sonntags” zitiert, aber eine konkrete Umsetzung seiner Gedanken und Ideen finde kaum statt. Das „kulturelle Über-Ich des cartesianischen Denkens” scheine dies hartnäckig zu verhindern. Bezogen auf sein Vortragsthema griff Dammer zunächst den vielleicht paradox erscheinenden Umstand auf, dass unsere heutige Arbeitswelt oftmals pathogen wirke, die Nichtteilhabe in Form von Arbeitslosigkeit aber ebenso. Warum ist Arbeitslosigkeit pathogen und haben wir überhaupt die Freiheit, das Arbeiten zu lassen? Seit der Reformation habe die Arbeit, hier stellte der Referent einen Bezug zum einleitenden Vortrag von Stephan Grätzel her, eine positive Erfüllungstendenz neben der nackten Überlebensnotwendigkeit erhalten und sei zum kulturellen Leitwert avanciert. Mit Freud könnte man sagen, dass eine „Aktivwerdung des passiv Erlittenen” erfolgte. Arbeitslosigkeit habe daher neben den wirtschaftlichen Folgen eine nahezu „totemistische” Wirkung und sei mit kultureller Exklusion gleichzusetzen. Das sei mit der Situation in einer primitiven Gesellschaft vergleichbar, wenn für fünf junge Männer vor ihrem Initiationsritus nur vier dafür erforderliche Opfertiere zur Verfügung stünden. Einer würde dann leer ausgehen, was zu seinem kulturellen Tod und vermutlich auch nachfolgenden biologischen Tod führen würde.

Aber warum ist die Arbeitswelt pathogen? Zunächst einmal sei es für Unternehmen im Sinne ihres eigenen Überlebens völlig normal, sich auf Gewinnmaximierung zu orientieren. Hierbei ist die Arbeit lediglich ein zu kalkulierender Kostenfaktor und Gesundheit in strengem Wortsinn gleichgültig, zumindest so lange, bis sie zu einem Kostenfaktor werde. Das sei nicht als moralische Anklage zu verstehen, die Wirtschaft mit ihren Unternehmen sei auch nicht gegen Gesundheit, sondern die Gleichgültigkeit liege in der Natur der Sache. Weltweit würde zwar weiterhin die Produktion steigen, aber es seien dafür immer weniger Arbeitskräfte erforderlich. Die moderne Arbeitswelt bringe nun in unserem Kulturkreis einen Typus hervor, den Dammer als „desorganisierten Selbstperfektionierer” bezeichnete. Er verdeutlichte dies anhand eines Meisters aus der Automobilindustrie, der bereits mit 40 Jahren mehrere Herzinfarkte erlitten hatte. Die genaue Analyse seines Arbeitsplatzes und seiner Arbeitsweise hatten gezeigt, dass dieser Meister nahezu perfekt jedes mögliche Problem bereits vor seinem Auftreten antizipiert und somit verhindert hatte. Das hatte zunächst zu der Einschätzung geführt, dass er einen der am wenigsten belastenden Arbeitsplätze in dem Betrieb hatte. Diese Typus Arbeiter funktioniert also quasi in perfekter Resonanz zu seinem Unternehmen, was aber in dem Fall des beschriebenen Meisters beinahe zur Resonanzkatastrophe geführt hätte, denn den dritten Herzinfarkt hatte er fast nicht überlebt. In der modernen Unternehmenskultur sei der Begriff der Resonanz zentral geworden, was aber zu einem außerordentlich belastenden Funktionieren führe. Der Arbeitsalltag werde als dauernde diffuse Drucksituation erlebt, verbunden mit der Unfähigkeit zu entspannen. Dieser Art der Arbeit ist nicht mehr gegeben, was für gelingende Arbeit, wie für Gesundheit erforderlich sei, nämlich ihre Transzendenz. In der Arbeit und der Gesundheit müsse man sich stets überschreiten, hier nahm Dammer Bezug auf den Vortrag von Annelie Keil vom Vortag und ihrem Hinweis auf die ekstatische Natur gelingender Arbeit. Er ergänzte dies noch durch die Rede vom „Wahncharakter” der Arbeit bei Weizsäcker – gleichfalls eine sich dem schnellen Verständnis entziehende Formulierung.[15]

Wodurch wäre nun aber Gesundheit in Zusammenhang mit Arbeit gekennzeichnet? Weizsäcker thematisiere in seinen Schriften Arbeit und Krankheit, vermeide aber fast konsequent, Gesundheit positiv zu definieren und zu beschreiben, was sie denn ausmache. Dammer entwickelte daran die These, dass es Gesundheit gar nicht gebe. Gesundheit sei nicht direkt erlebbar, sie sei verborgen und existiere allenfalls so, wie vielleicht Gerechtigkeit, nämlich nur für den Moment und allenfalls mit mehr oder weniger Plausibilität. Dem Begriff sei eine epistemologische Umschärfe eigen, daher werde er auch von Weizsäcker bewusst nicht direkt expliziert. Es gebe natürlich „dämliche” Definitionen von Gesundheit und die Verwendung als ideologischen Kampfbegriff zum Beispiel in gesundheitspolitischen Auseinandersetzungen, aber das werde ihm nicht gerecht. Jedenfalls, so postulierte Dammer gegen Ende seines Vortrags, werde die Arbeit als kultureller Leitwert in der bestehenden Form kein weiteres Jahrhundert überleben. Der übergeordnete Kulturauftrag, den man so fassen kann, dass die Mitglieder einer Kultur sagen können sollten, „so ist es richtig”, werde durch diesen Leitwert nicht mehr erfüllt. Der erforderliche und unabwendbare Umbruch der Leitwerte werde vermutlich ungeplant geschehen. Ihm, so Dammer, fehle allerdings die Fantasie, sich die daraus folgende Entwicklung konkret vorzustellen. Der Vortrag bestand aus zahlreichen weiteren Nebengedanken und Verknüpfungen, denen dieser kurze Bericht naturgemäß nicht gerecht werden kann. Hartwig Wiedebach wies in der nachfolgenden, lebhaften Diskussion darauf hin, dass eine zentrale Kategorie des Überschreitens bei Weizsäcker das Opfer sei, und bat den Referenten um eine Stellungnahme dazu. Dammer meinte, dass „Opfer” heute in den öffentlichen Diskursen ein Tabu sei und für den von Weizsäcker beschriebenen Sachverhalt eine „zeitgemäße” Sprache gefunden werden müsse.

Den abschließenden Vortrag der Tagung hielt der Psychiater Martin Reker (Bethel). Er beschrieb humorvoll und mit nachfühlbarem Enthusiasmus zunächst seine eigene berufliche Entwicklung. Diese nahm ihren Ausgang von einem Zivildienst, in dem er einen Rettungswagen begleitete, ging über eine neurologische Ausbildung in der Epileptologie und nahm ihren Fortgang in einer sozialpsychiatrisch geprägten Facharztausbildung. Mittlerweile ist er leitender Arzt der Abteilung für Abhängigkeitskranke in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bethel. Zunehmend habe er sich während seiner beruflichen Entwicklung mit den Fragen auseinandergesetzt, was denn eigentlich ärztliches Handeln ausmache und was es legitimiere; in welcher Tradition er als Arzt stehe und auf welche Lehrer er sich berufen könne. Reker verdeutlichte seine Gedankengänge und Fragen anhand seiner Beschäftigung mit einer gemeindeorientierten Suchtkrankenbehandlung aus den USA, dem sogenannten „community reinforcement approach”.[16] Diese basiert wesentlich auf der Erkenntnis, dass es in der Suchtkrankenbehandlung primär um positive Verstärkung gehe. Die Betroffenen brauchen ein wirklich lohnendes Ziel, zum Beispiel eine Partnerschaft oder einen Arbeitsplatz, um den Suchtmittelkonsum beenden zu können. Die Frage, ob belegt werden könne, dass diese Form der Behandlung wirksam, also evidenzbasiert ist, kann mittlerweile deutlich bejaht werden. Aber selbst wenn dieser Beleg erfolgt ist, kann man sogleich weiter fragen, ob es denn überhaupt zum ärztlichen Aufgabenkreis gehört, sich um Fragen der Arbeit, des Wohnens und der Partnerschaft, also um soziale Fragen des Patienten zu kümmern. Das seien in der Tat immer wieder Fragen, über die er sich mit seinen Assistenzärzten auseinandersetze. Was liegt in der Verantwortung des ärztlichen Berufs? Reker zitierte aus dem „Ulmer Papier”, den Gesundheitspolitischen Leitsätzen der Ärzteschaft, die als Beschluss des 111. Deutschen Bundesärztetags veröffentlicht wurden.[17] Dieses Papier bezieht zumindest teilweise, obgleich sicherlich auch streitbar Position zu den angesprochen Fragestellungen. Im Epilog dieser Leitsätze wird Rudolf Virchow (1821 – 1902) zitiert, der den Arzt als gesellschaftliche Führungsperson mit hoher Verantwortung sah. Allerdings, so Reker, gingen die Ansprüche der Gesellschaft an die Ärzte deutlich weiter als deren berufliches Selbstverständnis reiche. Auch hierzu lieferte Reker ein aktuelles Beispiel. Bei abgelehnten Asylbewerbern sei der Arzt die letzte Entscheidungsinstanz, um über eine tatsächliche Abschiebung zu entscheiden, nämlich durch Attestieren von vorhandener oder nicht vorhandener Reisefähigkeit. Angesichts der persönlichen Schicksale der Asylbewerber würden viele Ärzte Gefälligkeitsgutachten erstellen, was wiederum zu einem Vertrauensverlust in der Politik geführt habe. Dem versuche man nun mit strukturierten kurrikularen Fortbildungen zur Begutachtung in aufenthaltsrechtlichen Verfahren entgegenzutreten. Damit wird man aber vermutlich nicht dem Umstand gerecht, dass Ärzte beauftragt werden, mit medizinischen Urteilen soziale Entscheidungen zu treffen, letztlich also Sozialpolitik zu machen. Hierzu sei ein grundsätzliches Nachdenken über die sozialen Implikationen menschlichen Krankseins und ärztlichen Handelns nötig, wie es bereits in Weizsäckers Reformschrift aus dem Jahr 1930 entfaltet werde.[18] Zum Abschluss seines Vortrags ging er dann auf einen weiteren Arzt ein, der ihn in seinem Handeln und seinen Auffassungen beeinflusst habe, den Sozialpsychiater Erich Lindemann (1900 – 1974). Dieser war 1927, nach einjähriger Tätigkeit bei Weizsäcker in Heidelberg, in die USA emigriert, war aber ab 1960 regelmäßiger Gast der Lindauer Psychotherapiewochen als Leiter von Selbsterfahrungsgruppen. Lindemann, dem eine herausragende Fähigkeit zur Kommunikation und Integration nachgesagt wird, gilt als früher Förderer einer gemeindeorientierten Psychiatrie. Seit 1935 in Harvard tätig, begann er frühzeitig damit, interdisziplinäre Arbeitsgruppen mit Soziologen, Anthropologen und Sozialpsychologen zu bilden. Auch in diesem Fall sei trotz der unbestrittenen Verdienste eine ähnliche Wirkungslosigkeit wie bei Weizsäcker zu konstatieren. Es erscheint daher lohnenswert, sich mit der Frage zu beschäftigen, warum Weizsäckers sozialmedizinische Schriften bislang so wenig Wirkung auf die aktuellen Auseinandersetzungen zu diesem Thema hatten?[19]

Kerstin Stenkamp, Berlin

1 Vgl. jetzt hierzu Hans Stoffels (Hrsg), Soziale Krankheit und soziale Gesundung. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008.

2 Viktor von Weizsäcker, Zum Begriffe der Arbeit. Eine Habeas Corpus-Akte der Medizin? (1948). Ges. Schriften (hrsg. von Peter Achilles, Dieter Janz, Martin Schrenk, Carl-Friedrich von Weizsäcker). Bd. 8, S. 222 – 267. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1986.

3 Vgl. ebd., S. 250, 265 ff.

4 Vgl. ebd., S. 253.

5 Viktor von Weizsäcker, Über den Begriff der Arbeitsfähigkeit (1931). Ges. Schriften, Bd. 8, S. 97 – 113, hier S. 109, 113.

6 Viktor von Weizsäcker, Zum Begriffe der Arbeit, a. a. O., S. 262. Eine ausführliche Entfaltung findet diese Grundthese in seinem großen Text „Der Begriff der Allgemeinen Medizin” (1947). Ges. Schriften, Bd. 7, S. 135 – 196, hier S. 186.

7 Diese Fragestellungen verweisen auf die von Weizsäcker begründete „biografische Methode” anthropologischer Medizin. Ausführlich hierzu im Kapitel „Biographik” in seinem Spätwerk „Pathosophie” (1956). Ges. Schriften, Bd. 10, S. 270 – 292. Vgl. aber auch Viktor von Weizsäcker, Studien zur Pathogenese (1935). Ges. Schriften, Bd. 6, S. 253 – 330; sowie ders., Das Problem des Menschen in der Medizin (1953). Ges. Schriften, Bd. 7, S. 366 – 371, hier S. 369.

8 Vgl. Viktor von Weizsäcker, Pathosophie, a. a. O., S. 70 – 97 (Die pathischen Kategorien).

9 Viktor von Weizsäcker, Zum Begriffe der Arbeit, a. a. O., S. 239.

10 Der von Alfred Prinz Auersperg geprägte Begriff der „Prolepsis” spielt für den biologischen Zeitbegriff, also für die Beschreibung der eigentümlichen Zeitlichkeit des Lebendigen eine grundlegende Rolle. Vgl. zur Begriffsgeschichte Viktor von Weizsäcker, Natur und Geist (1949/54). Ges. Schriften, Bd. 1, S. 9 – 190, hier bes. S. 77 – 91; ausführlicher hierzu im Kapitel „Raum, Zeit und Form” von Weizsäckers 1940 erschienenen Hauptwerk Der Gestaltkreis (Ges. Schriften, Bd. 4, S. 77-337, hier S. 256 ff.) aber auch bei Martin Sack, Von der Neuropathologie zur Phänomenologie. Alfred Prinz von Auersperg und die Geschichte der Heidelberger Schule. Königshausen & Neumann, Würzburg 2005, hier S. 67 ff. Zur „proleptischen Struktur der Biographie” vgl. Viktor von Weizsäcker, Pathosophie (1956), a. a. O., S. 285 ff.

11 Mit der Rede vom „Sprung”, der auch daneben gehen könne, verbindet sich die immanente Ambivalenz jeder Krise, insofern das Wesentlichste an ihr „nicht nur der Übergang von einer Ordnung zu einer anderen (ist), sondern die Preisgabe der Kontinuität oder Identität des Subjektes.” Viktor von Weizsäcker, Der Gestaltkreis (1940), a. a. O., S. 298.

12 Gemeint ist hier der Kundenbegriff nach dem SGB II, vgl. auch http://www.arbeitsagentur.de/nn_27908/ Dienststellen/RD-BW/Schwaebisch-Hall/AA/A01-Allgemein-Info-Presse/2007/19-mit-der-Arbeitsagentur-auf-Augenhoehe.html; ergänzend http://www.sofi-Goettingen.de/fileadmin/Peter_Bartelheimer/Literatur/ SM33_Bartelheimer_Dienstleistungen.pdf

13 Viktor von Weizsäcker, Soziale Krankheit und soziale Gesundung (1930). Ges. Schriften, Bd. 8, S. 31 – 95; ders., Arbeitstherapie bei Hirnverletzten (1943). Ges. Schriften, Bd. 8, S. 187 – 221.

14 Viktor von Weizsäcker, Über Rechtsneurosen (1929). Ges. Schriften, Bd. 3, S. 7 – 30; ders., Soziale Krankheit und Soziale Gesundung, a. a. O.; ders., Ärztliche Gedanken zur Versicherungsreform (1931). Ges. Schriften, Bd. 8, S. 114 – 125.

15 Vgl. Viktor von Weizsäcker, Zum Begriffe der Arbeit, a. a. O., S. 240.

16 Vgl. www.psychiatrie.de/data/pdf/2e/05/00/432_inhalt_vorwort.pdf.

17 Vgl. www.bundesaerztekammer.de/downloads/Ulmer_Papier_DAet_2008-1.pdf.

18 Vgl. hierzu Michael Theunissen, Wie ist soziale Krankheit möglich? Über Viktor von Weizsäckers Reformschrift, in: Stoffels, H. (Hrsg), Soziale Krankheit und Soziale Gesundung, a. a. O., S. 21 – 33.

19 Für hilfreiche Anregungen und Ergänzungen sei Wolfgang Raabe und Rainer-M. E. Jacobi gedankt.

20 Den Ausgang des Dialogs bildet die Besprechung des Buches von Udo Benzenhöfer „Der Arztphilosoph Viktor von Weizsäcker. Leben und Werk im Überblick.” (Göttingen 2007) durch Johannes Picht in den „Mitteilungen” Nr. 22 (Fortschr Neurol Psychiat 2008; 76: 631 – 633).

21 Viktor von Weizsäcker, Natur und Geist (1944/54). Ges. Schriften, Bd. 1, S. 9 – 190, hier S. 145 ff.

22 Dieter Janz, Über den Schwindel bei Viktor von Weizsäcker, in: Hahn, P., Jacob W. (Hrsg), Viktor von Weizsäcker zum 100. Geburtstag, S. 132 – 139. Springer, Heidelberg 1987.

23 Martin Sack, Viktor von Weizsäcker, in: Schliack, H., Hippius, H. (Hrsg), Nervenärzte. Biographien, S. 164 – 171. Thieme, Stuttgart 1998.

24 Wolfgang Bister, Erinnerungen an Viktor von Weizsäcker im Heidelberg der Nachkriegszeit und seine Einstellung zur Psychoanalyse Sigmund Freuds. Freie Assoziation 2008; 11: 71 – 93.

25 Thomas Henkelmann, Zur Geschichte der Pychosomatik in Heidelberg. Viktor von Weizsäcker und Alexander Mitscherlich als Klinikgründer. Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie 1992; 42: 175-186.

26 Paul Vogel (Hrsg), Viktor von Weizsäcker. Arzt im Irrsal der Zeit. Eine Freundesgabe zum 70. Geburtstag am 21.4.1956. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 1956.

27 Viktor von Weizsäcker, Körpergeschehen und Neurose (1933). Ges. Schriften, Bd. 6, S. 119 – 251, hier S. 125 (Vorwort von 1946).

28 Viktor von Weizsäcker, Pathosophie (1956). Ges. Schriften, Bd. 10, S. 270.

29 Vgl. Viktor von Weizsäcker, Natur und Geist. Ges. Schriften, Bd. 1, S. 175 ff.; ders., Kranker und Arzt (1929). Ges. Schriften, Bd. 5, S. 221 – 244, hier S. 238.

30 Martin Altmeyer, Helmut Tomä, Die vernetzte Seele. Klett-Cotta, Stuttgart 2006.

31 Viktor von Weizsäcker, Begegnungen und Entscheidungen (1949). Ges. Schriften, Bd. 1, S. 191 – 399, hier S. 299 – 310; ders., Mystik, Magie, Dämonie (1928), ebd., S. 535 – 541.

32 Viktor von Weizsäcker, Mystik, Magie, Dämonie. Ges. Schriften, Bd. 1, S. 536.

33 Dieser Nachruf des Vorstandes der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft gilt einem Aspekt des Wirkens von Cora Penselin. Um die Vielfalt ihrer Interessen und Neigungen, aber auch lebensgeschichtlich bedeutsame Umstände angemessen würdigen zu können, wird ein Gedenksymposium ausgerichtet. Beiträge hierzu sind herzlich willkommen.

34 Cora Penselin, Bemerkungen zu den Vorwürfen, Viktor von Weizsäcker sei in die nationalsozialistische Vernichtungspolitik verstrickt gewesen, in: Benzenhöfer, U. (Hrsg), Anthropologische Medizin und Sozialmedizin im Werk Viktor von Weizsäckers, S. 123 – 137. Peter Lang, Frankfurt/M. 1994. Die bislang am zuverlässigsten recherchierte Darstellung dieser Zusammenhänge gibt Udo Benzenhöfer, Der Arztphilosoph Viktor von Weizsäcker. Leben und Werk im Überblick. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, hier bes. S. 152 – 173.

35 Aus gegebenem Anlass erscheinen die 2006 auf der Homepage der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft veröffentlichten Anmerkungen nochmals als Druckfassung in den vorliegenden „Mitteilungen” (Nr. 24/2009, S. 615–618).

36 Vgl. Cora Penselin, Drei Briefe aus dem Nachlass Viktor von Weizsäckers, in: Jacobi, R.-M. E., Claussen, P. C., Wolf, P. (Hrsg), Die Wahrheit der Begegnung. Anthropologische Perspektiven der Neurologie. Festschrift für Dieter Janz, S. 555 – 560. Königshausen & Neumann, Würzburg 2001; dies., Erinnerungen an den Vater, in: Stoffels, H. (Hrsg), Soziale Krankheit und soziale Gesundung, S. 193 – 197. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008. Hier sei auch auf die eindrucksvolle biografische Notiz zu ihrem ältesten Bruder Robert von Weizsäcker verwiesen, die Cora Penselin für die Anmerkungen der Edition des Gestaltkreises in den „Gesammelten Schriften” beigetragen hat (Ges. Schriften, Bd. 4, S. 559 f.).

37 Viktor von Weizsäcker, Reisebeschreibung 1945. Sinn und Form 2007; 59: 725 – 763. Für die freundliche Erlaubnis zum erneuten Abdruck der Vorbemerkung von Cora Penselin sei der Redaktion von Sinn und Form sehr herzlich gedankt. Nach dem bemerkenswerten Erfolg dieser Veröffentlichung fanden auch weitere Überlegungen, ausgewählte Nachlassstücke einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren, große Aufgeschlossenheit bei Cora Penselin. Jüngstes Beispiel ist die Edition eines Vortrags zu Jean-Paul Sartre aus dem Jahr 1948. Vgl. Viktor von Weizsäcker, Die Lehre vom Menschen und Jean-Paul Sartre. Sinn und Form 2009; 61: 640 – 653.

38 Vgl. hierzu jetzt die Beiträge von Uwe Gerrens, Tendenzen der Medizin im Nationalsozialismus, S. 127 – 138, und Peter Achilles, Der Begriff der konservativen Revolution im Werk Viktor von Weizsäckers, S. 139 – 161, in: Stoffels, H. (Hrsg), Soziale Krankheit und soziale Gesundung. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008.

39 Viktor von Weizsäcker, Begegnungen und Entscheidungen (1949). Ges. Schriften, Bd. 1, S. 191 – 399, hier S. 229.

40 Ebd., S. 231.

41 Vgl. Viktor von Weizsäcker, Arbeitstherapie bei Hirnverletzten (1943). Ges. Schriften, Bd. 8, S. 187 – 221.

42 Cora Penselin, Bemerkungen zu den Vorwürfen, Viktor von Weizsäcker sei in die nationalsozialistische Vernichtungspolitik verstrickt gewesen, in: Benzenhöfer, U. (Hrsg), Anthropologische Medizin und Sozialmedizin im Werk Viktor von Weizsäckers. Peter Lang, Frankfurt/M. 1994, S. 123-137. Die bislang gründlichste Darstellung hierzu jetzt bei Udo Benzenhöfer, Der Arztphilosoph Viktor von Weizsäcker. Leben und Werk im Überblick. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, S. 152 ff.

43 Vgl. Jürgen Peiffer, Wissenschaft unter politischem Druck. Hans-Joachim Scherer (1906 – 1945), in: Hirnforschung im Zwielicht: Beispiele verführbarer Wissenschaft aus der Zeit des Nationalsozialismus. Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Heft 79. Mathiesen, Husum 1997, S. 56 – 71; ders. und Peter Kleihues, Hans-Joachim Scherer (1906 – 1945). Pioneer in Glioma Research. Brain Pathology 1999; 9: 241 – 245. Erhellend ist ein Abschnitt aus einem Brief von Jürgen Peiffer an Hans Stoffels vom 11.03.2005: „Dass die Gehirnsendungen aus Lubliniec an Viktor von Weizsäcker adressiert waren (dies ist durch entsprechende Anschreiben gesichert), so bedeutet dies allerdings keineswegs, dass er über die speziellen Hintergründe bzw. die Verbindung mit den Tötungsmaßnahmen informiert war. Die Adressierung an den Direktor einer Klinik, an der sich ein neuropathologisches Labor befand, war nicht unüblich und lässt nicht ohne Weiteres den Schluss zu, der Klinikdirektor habe selbst die Unterlagen geprüft oder gar die Gehirne begutachtet, zumal es gesichert erscheint, dass v. W. an der morphologischen Hirnuntersuchung kein eigenes Interesse hatte, – hierin abweichend von seinem Vorgänger O. Foerster.”

44 Vgl. Viktor von Weizsäcker, Ärztliche Aufgaben (1934). Ges. Schriften, Bd. 8, S. 143 – 157. Die folgenden Zitate sind dieser Schrift entnommen und nur mit Seitenzahlen nachgewiesen.

45 Benzenhöfer hat Weizsäckers Vorgehensweise als „Nebeneinander von Affirmation und Kritik” charakterisiert. Vgl. Udo Benzenhöfer, „Ärztliche Aufgaben”. Bemerkungen zu einem Vortrag Viktor von Weizsäckers aus dem Jahre 1933; in: ders. (Hrsg), Anthropologische Medizin und Sozialmedizin im Werk Viktor von Weizsäckers, a. a. O., S. 109 – 122.

46 Unter den Zuhörern dieser Vorlesung war Georg Picht. Er hat darüber an anderer Stelle berichtet. Vgl. Georg Picht, Die Macht des Denkens, in: Neske, G. (Hrsg), Erinnerung an Martin Heidegger. Neske, Pfullingen 1997, S. 197 – 205.

47 Vgl. Jürgen Peiffer, Hirnforschung in Deutschland 1849 bis 1974. Briefe zur Entwicklung von Psychiatrie und Neurowissenschaften sowie zum Einfluss des politischen Umfeldes auf Wissenschaftler. Springer, Berlin/Heidelberg 2004, S. 948 f. In diesem Brief vom 2.1.1935 schreibt Carl Schneider u. a.: „Ich möchte Ihnen ganz klaren Wein einschenken, und da muss ich Ihnen sagen, dass nach allem, was ich hörte, insbesondere Frau v. W. zunächst einmal ein hoffnungsloser Fall ist hinsichtlich der Bewegung. W. selbst steht der Bewegung kühl gegenüber, verhält sich aber selbstverständlich vollkommen loyal. Irgendwie tiefer ergriffen ist er offensichtlich nicht. (…). Die ganze Sache ist deswegen so traurig, weil W. vor dem Umschwung eigentlich in Kampfstellung zur früheren Regierung stand, und weil er einer der Ersten ist, der den Begriff einer politischen Medizin prägte und in seiner Klinik schon längst die kameradschaftliche Haltung in der Schulung der Assistenten und Studenten hatte, die uns allen doch notwendig erscheint” (S. 948f).

48 Ebd., S. 948.

49 Karl Binding/Alfred Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form. Felix Meiner, Leipzig 1920.

50 Viktor von Weizsäcker, Ärztliche Fragen. Vorlesungen über Allgemeine Therapie (1934). Ges. Schriften, Bd. 5, S. 259 – 342, hier S. 323.

51 Ebd., S. 321.

52 Ebd., S. 329.

53 Ebd., S. 328. Zum näheren Verständnis dieser Begrifflichkeit bei Weizsäcker jetzt Hartwig Wiedebach, Zum Begriff einer „Ärztlichen Vernichtungsordnung”. Skizze einer,negativen‘ Lehre des Arztes, in: Gahl, K., Achilles, P., Jacobi, R.-M. E. (Hrsg), Gegenseitigkeit. Grundfragen medizinischer Ethik, S. 429 – 442. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008.

54 Vgl. Udo Benzenhöfer, Bemerkungen zur „Vernichtungslehre” in den „Vorlesungen über Allgemeine Therapie” (1933) Viktor von Weizsäckers, in: Gegenseitigkeit, a. a. O., S. 415 – 427; hierzu auch die Einführung in diesen Band von Rainer-M. E. Jacobi, bes. S. 38 – 46 (Erhaltung und Vernichtung).

55 Viktor von Weizsäcker, „Euthanasie” und Menschenversuche (1947). Ges. Schriften, Bd. 7, S. 91 – 134, hier S. 112. Zu den Autoren, die sich schon früh mit Weizsäckers Vorlesung und Einführung des Begriffs „Vernichtungslehre” befasst haben, gehört Alexander Mitscherlich. Er schreibt: „Der naturwissenschaftliche Arzt hat seit langem aus dem Auge verloren, dass er auch zum Tode und zur Würde des Todes hinzuführen hat. Es wäre deshalb weniger missverständlich, von Todeslehre als von Vernichtungslehre zu sprechen. Aber das Beispiel der Schwangerschaftsunterbrechung ... zeigt, dass auch Vernichtung vom Arzt gefordert wird und dass sie sich ethisch keineswegs ein für allemal ablehnen lässt” (Freiheit und Unfreiheit in der Krankheit. Das Bild des Menschen in der Psychotherapie. Hamburg, Claasen und Goverts 1946. Wieder abgedruckt in: Alexander Mitscherlich, Ges. Schriften, Bd. 1. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1983, S. 125).

56 Zusätzlich zu den in den Anmerkungen genannten Texten sei noch hingewiesen auf Viktor von Weizsäcker, Geleitwort. Zu Hollmann, W.: Die ärztliche Begutachtung in der Sozialversicherung. Beitrag zu ihrer Reform (1934). Ges. Schriften, Bd. 8, S. 5 – 11; ders., Ludolf von Krehl. Gedächtnisrede (1937). Ges. Schriften, Bd. 1, S. 415 – 423.

Rainer-M. E. Jacobi

Medizinhistorisches Institut der Universität Bonn

Sigmund-Freud-Str. 25

53105 Bonn

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