Dtsch Med Wochenschr 1951; 76(15): 513-516
DOI: 10.1055/s-0028-1116718
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Zur Frage der Schwangerschaftsunterbrechung und Sterilisation bei der familiären Erythroblastose

Peter Dahr
  • Institut für Blutgruppenforschung, Göttingen (Leiter: Prof. Dr. med. habil. P. Dahr)
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Publication Date:
05 May 2009 (online)

Zusammenfassung

1. Die neuzeitlichen Erkenntnisse, daß die familiäre Erythroblastose in ursächlichem Zusammenhang steht mit dem 1950 entdeckten Rh/rh-Blutgruppensystem, wodurch wir die Möglichkeit haben, bestimmte Fälle von tödlicher Gelbsucht beim Neugeborenen bzw. von Totgeburten so zu deuten, daß sie immer wieder in derselben Familie auftreten, zwingen den Gesetzgeber bzw. die ärztliche Standesvertretung, sich mit der Frage einer Schwangerschaftsunterbrechung oder einer Sterilisierung bei Frauen aus Familien mit Neugeborenen-Erythroblastose auseinanderzusetzen.

2. Vorausgesetzt, daß es dabei zu einer grundsätzlichen Befürwortung der Anwendung der Schwangerschaftsunterbrechung bzw der Sterilisierung kommen sollte, ist zu diesen Problemen hinsichtlich einer ärztlichen Indikation folgendes zu sagen:

3. Die Unterbrechung einer Schwangerschaft ist vom ärztlichen Standpunkt aus nur in einem Fall gestattet: Dann nämlich, wenn bei einer Frau, die bereits ein totes Kind zur Welt gebracht hat, während einer neuen Schwangerschaft schon sehr frühzeitig (Mens III—IV) sogenannte blockierende Rh-Antikörper allein in ihrem Blut auftreten und diese in kurzer Zeit an Stärke erheblich zunehmen, und wenn gleichzeitig aus der schwangerschaftsfreien Zeit bzw. aus der frühesten Zeit der Schwangerschaft (Mens I—II) ein antikörperfreier Befund vorliegt. Es muß also bei der neuen Schwangerschaft das Neuauftreten blockierender Antikörper aus dem negativen Verhalten heraus festgestellt werden. Liegt ein solcher negativer Antikörperbefund aus der schwangerschaftsfreien Zeit oder aus der frühesten Zeit der Gravidität nicht vor, dann kommt eine Unterbrechung der Schwangerschaft von vornherein nicht in Frage; und zwar deshalb, weil es sich bei den während der neuen Schwangerschaft nachgewiesenen Rh-Antikörpern um solche handeln kann, die noch von der Geburt des letzten erythroblastotischen Kindes her sich im Blut der Mutter befinden.

4. Selbst für den Fall, daß man eine Sterilisierung bei der familiären Erythroblastose in bestimmten ärztlich begründeten Fällen als sittlich zulässig ansehen würde bzw. gesetzlich erlauben würde, erscheint sie, ärztlich gesehen, nicht berechtigt, da die in Frage kommenden Frauen unter gewissen Voraussetzungen tatsächlich noch mit gesunden Kindern rechnen können.

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