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Die Intention des Workshops liegt in der Darstellung und gemeinsamen Diskussion von Fakten, Erfahrungen und Perspektiven über das bisher auch wissenschaftlich noch nicht ausreichend bearbeitete Thema: Sucht im Alter.
Insgesamt nimmt der Konsum, Missbrauch und Abhängigkeit von Alkohol und Nikotin im Alter ab. Dennoch ist davon auszugehen, dass jeder 10. Mensch über 60 Jahre einen problematischen Alkoholkonsum betreibt und – wie in den anderen Altersgruppen –2–3% der Männer und 0,5–1% der Frauen alkoholabhängig und damit therapiebedürftig sind. Schon geringe Mengen von täglich konsumiertem Alkohol können bei älteren Menschen körperliche und seelische Schäden verursachen. Die Gründe sind vielfältig, altersspezifische physiologische Veränderungen wie verzögerter Abbau, abnehmendes Verteilungsvolumen und höhere Toxizität von Alkohol bedeuten eine stärkere Wirkung auf die Organe. Deshalb lauten die Empfehlungen für Menschen über 60 Jahre, im Durchschnitt nicht mehr als 10g Alkohol pro Tag zu trinken. Problematisch ist ein Konsum von Alkohol und Medikamenten, da die Nebenwirkungsrate und die Mortalität steigen. Bei den Alkoholabhängigen Menschen werden Früh-(Early-Onset) und Späteinsteiger (Late-Onset) unterschieden, deren Typisierung und Prognose verschieden ist. Die Diagnose Alkoholabhängigkeit wird in der Praxis und Klinik gerade bei älteren Menschen zu selten gestellt, was u.a. an der atypischen Symptomatik, die leicht mit „Alterskrankheiten“ verwechselt wird, liegt. Genauso bedeutend ist aber auch die häufig verbreitete Fehleinschätzung, dass eine Suchtherapie erfolglos sei oder sich nicht lohne. Für ältere Menschen liegen Risiken zur Entwicklung von Missbrauch und Abhängigkeit in Beendigung des Berufslebens, erschwerte Anpassung an neue Situationen, Fehlendes „Gebrauchtwerden“, Langeweile, innere Leere, Ausdünnung sozialer Netze, Einsamkeit, Isolation, Verlust des Partners, nachlassende körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit, Lebenssinnfragen sowie Häufung von Krankheit, Schmerzen, Mobilitätseinschränkung und Beschäftigung mit dem Tod.
Ca. 30% der Menschen älter als 70 Jahre erhalten psychotrope Substanzen, Benzodiazepine spielen dabei die größte Rolle, aber auch Neuroleptika und Antidepressiva. Hinzu kommen noch Schmerzmittel aller Kategorien, oft werden die Medikamente über längere Zeit ohne kritische Überprüfung der weiter bestehenden Indikation verordnet. Durch den Suchtmittelkonsum entstehen Gefahren für die Patienten wie Sturzgefahr, kognitive Beeinträchtigung, unerwünschte Medikamenteninteraktionen bei meist bestehender Polypharmazie. Zusätzlich können die ursächlichen Symptome verschlechtert werden wie durch Benzodiazepine induzierte Schlafstörungen mit nächtlicher Unruhe, Durchschlafstörungen und Dosissteigerung Speziell durch die physiologischen Bedingungen im Alter entstehen besondere pharmakologische Probleme, wie die schleichende Intoxikation durch verminderten Metabolismus, dies kann doppelte HWZ oder doppelte Plasmakonzentration bei gleicher Dosis oder doppelte Zeit bis zum Steady-State und doppelte Zeit beim Ausdosieren bedeuten. Ca. 15% der Patienten in Hausarztpraxen erhalten regelmäßig Benzodiazepine (BZD) länger als ein halbes Jahr. Besonderheiten der BZD-Niedrigdosisabhängigkeit sind die Verordnung durch Rezept, es besteht kein illegaler Konsum. Die Grenzen zwischen Missbrauch und Behandlung werden unscharf. Bei den Patienten besteht fehlendes Problembewusstsein. Die Verordnungshäufigkeit ist rückläufig, bewegt sich aber nach wie vor auf hohem Niveau, und in Studien wird immer wieder ein hoher Anteil nicht sachgerechter Verordnungen festgestellt. In 70% der Fälle erfolgt nach der Erstverordnung kein Gespräch mehr zwischen Patient und dem Arzt über die BZD-Medikation. Es wird vergessen, die Indikation im weiteren Verlauf zu überprüfen. Fortlaufende Verordnung durch Sprechstundenhilfen werden übersehen. Die Wahrscheinlichkeit der Verordnungen wächst mit dem Alter, Anzahl der Erkrankungen und weiblichen Geschlecht. Das Risiko der Dauerverordnung steigt besonders bei älteren Menschen mit körperlichen Erkrankungen, Angststörungen, Schlafstörungen und Persönlichkeitsstörungen.
Die Verordnung von opioidhaltigen Analgetika nimmt insgesamt zu, wobei die Verordnungspraxis großzügig gehandhabt wird und die Kontraindikationen weniger beachtet werden. Laut Arzneimittelreport sind Analgetika die am meistverordneten Medikamente, dazu werden mehr opioidhaltige als nichtopioidhaltige Präparate verordnet (nur verordnete berücksichtigt, NSRA meist frei verkäuflich und deswegen nicht miterfasst). Zu registrieren ist eine vermehrte Verordnung opioidhaltiger Präparate bei Nicht-Tumorschmerzen. Größere Problemrelevanz entsteht bei Menschen mit psychiatrischen Komorbiditäten wie Depression, Angst und Persönlichkeitsstörungen.
Die Ziele der Suchtbehandlung gelten ebenso für ältere Menschen, dazu gehören Reduzierung des Konsums und deren Exzesse, Verlängern der suchtstofffreien Zeit, Lebensgestaltung und Lebensbewältigung, Sichern des Überlebens und Hinarbeiten auf eine dauerhafte Abstinenz. Der Anteil der über 60-jährigen im ambulanten Suchthilfeangebot liegt unter 5%, der Anteil der über 60-jährigen innerhalb der stationären Suchtbehandlung liegt bei ca. 5%. Spezifische Themen in der psychosozialen Suchthilfe mit älteren Menschen sind z.B.: Einsamkeit, Trauerbewältigung, Angst vor Siechtum und Tod, Nachlassen körperlicher Fähigkeiten, Verlust des beruflichen Status, Verlust des bisherigen Freizeitverhaltens, Kriegs- und Nachkriegserlebnisse. Verschiedene Fachkliniken in Deutschland, die seit Jahren eine altersspezifische Entwöhnungstherapie anbieten, haben Behandlungsergebnisse nachgewiesen, die mindestens so erfolgreich sind wie bei jüngeren Menschen. Studien aus USA zeigen, dass sowohl bei ambulanten Interventionen wie in Altersheimen positive Entwicklungen stattfinden.
Fazit:
Ältere Suchtkranke sind keine Rarität – sondern häufig.
Die Diagnosestellung bedarf einer speziellen Wachsamkeit.
Der therapeutische Nihilismus ist absolut nicht gerechtfertigt.
Eine auf die Bedürfnisse und Ressourcen ausgerichtete Therapie ist am erfolgreichsten.
Im Gegensatz zum Alkoholkonsum haben Ärzte einen erheblichen Verursacheranteil in der Entstehung von Medikamentenmissbrauch und –sucht.
Wünschenswert ist eine kritische Verordnung und kurzfristige Überprüfung der Weiterverordnung. Es sollten Modelle für eine kritischere Verschreibe- und Vergabepraxis entwickelt werden.
Ein zieloffenes Vorgehen ist erforderlich, auch um die Selbstbestimmung der Älteren zu wahren.
Der Auf- und Ausbau von Komplementärangeboten und eines Netzwerkes ist eine sinnvolle und notwendige Herausforderung.