Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29(6): 284-285
DOI: 10.1055/s-0028-1119432
Praxis
Atemwegsinfekte
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Cochrane-Review zu Pelargonium sidoides bei akuten Atemwegsinfekten: Positives Fazit hält kritischem Bewertungsansatz stand

Volker Schulz
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Publication Date:
12 January 2009 (online)

Die Cochrane Collaboration publizierte am 17. Juli 2008 den Review »Pelargonium sidoides extract for acute respiratory tract infections« ([1]). Die 6 Autoren kommen darin zu folgenden Schlüssen:

Umckaloabo® ist ein pflanzlicher Extrakt von Pelargonium sidoides (P. sidoides) und ist sowohl als Tablette als auch in flüssiger Form erhältlich. Der Extrakt wird zur Behandlung von akuten Atemwegsinfektionen verwendet, bei denen Antibiotika nicht notwendig sind. Im Licht des unsachgemäßen Einsatzes von Antibiotika und steigender Resistenzraten weltweit ist eine wirksame therapeutische Alternative für diese Krankheitszustände absolut notwendig.

Wir haben 8 randomisierte klinische Studien untersucht mit akzeptierter Methodik. Zwei Studien zeigten, dass P. sidoides effektiv alle Symptome, insbesondere Husten und Auswurf bei Erwachsenen mit akuter Bronchitis lindert. Eine 3. Studie zeigte hingegen lediglich eine effektive Verbesserung des Auswurfes. In ähnlicher Weise beseitigte P. sidoides in 2 von 3 Studien bei Kindern und Jugendlichen die Symptome einer akuten Bronchitis.

Bei akuter Sinusitis und Erkältung konnte P. sidoides effektiv alle Symptome, einschließlich Kopfschmerzen und Schnupfen bei Erwachsenen beseitigen, wenn es über einen längeren Zeitraum genommen wurde. Unerwünschte Ereignisse traten unter P. sidoides häufiger auf, aber keines war schwer. Es existiert begrenzte Evidenz für die Wirksamkeit von P. sidoides in der Behandlung von Infekten der oberen Atemwege. Die pflanzliche Zubereitung kann effektiv sein in der Linderung der Symptome der akuten Bronchitis bei Erwachsenen und Kindern und der Sinusitis bei Erwachsenen.

Die Auswahl der Studien deckt sich mit anderen Analysen und Bewertungen. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass alle Studien für die zugelassene Indikation »akute Bronchitis« mit identischem Design durchgeführt worden sind. Die konfirmatorische Zielgröße war in allen Fällen ein klinischer Summenscore für die akute Bronchitis (BSS). Dieser addierte sich aus 5 vom Arzt in 4 Schweregraden (von 0 = nicht vorhanden bis 4 = sehr schwer) zu bewertende Symptome, nämlich Husten, Auswurf, Rasselgeräusche, Brustschmerz beim Husten und Dyspnoe. Damit wird das Krankheits- und Beschwerdebild der akuten Bronchitis insgesamt gewichtet. Verlaufsbewertungen und -vergleiche, auch bei Infekten aus unterschiedlichen Epidemien, werden möglich.

Der Ansatz knüpft außerdem an die hausärztliche Untersuchung und Einschätzung bei solchen Patienten, teilt damit allerdings auch den formalen Mangel, dass die Methode im statistischen Sinne »nicht validiert« ist. Letzteres trifft aber, wenn man so will, für nahezu die gesamte klinische Diagnostik zu; unsere Arztpraxen könnten schließen, wollte man hier dem diagnostischen Erfahrungsschatz aus Generationen die Validität aberkennen. Im konkreten Fall der akuten Bronchitis existiert bis heute auch im wissenschaftlichen Schrifttum – weder national noch international – ein »validierter« Bewertungsscore. So lag es nahe, sich in der Studienplanung an den praxisüblichen Verlaufsbeurteilungen zu orientieren.

»Vollständige Symptomfreiheit« als neuer Parameter für die Metaanalyse

Die Cochrane-Autoren sahen das dennoch anders. Statistischer Prinzipien zuliebe wurde anstelle des BSS-Gesamtscores der prozentuale Anteil derjenigen Patienten, die nach 7 Tagen »völlig beschwerdefrei« waren, als konfirmatorischer Parameter für die Metaanalyse gewählt. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, lassen sich unschwer am Beispiel der in der [Tab. 1] dargestellten Studienergebnisse erkennen. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Persistenz der Symptome reduziert sich der Bewertungsmaßstab von einem klinischen Gesamtbefund auf ein singuläres Item, nämlich dasjenige Merkmal, das zuletzt abklingt (bei der akuten Bronchitis in der Regel der residuale Reizhusten, der wochenlang persistieren kann). Die subjektive Gesamtlast der Krankheit für die Patienten, die u.a. für die wichtige Frage der Arbeitsbzw. Schulunfähigkeit entscheidend ist, spiegelt sich bei diesem Endpunkt kaum noch wider.

Tab. 1: Beschwerdefreiheit nach 7 Tagen in % der Patienten. Je nach Epidemie können einzelne Symptome längere Zeit andauern, obwohl die Krankheit als Ganzes für den Patienten weitgehend abgeklungen ist. [Nach Matthys und Heger, Curr Med Res Opin 2007; 23: 323–331] Symptom Verum Placebo Differenz Husten 52 12 40 Rasselgeräusche 88 50 38 Schwäche/Müdigkeit 80 47 33 Auswurf 68 40 28 Heiserkeit 80 56 24 Kopfschmerzen 88 68 20 Atemnot 88 77 11 Brustschmerzen 93 86 7 Fieber 98 91 7 Gliederschmerzen 93 88 5

Dosisfindungsstudie miteinbezogen

Ein weiteres Problem dieser statistischen Minimalversion wird aus der [Tab. 2] deutlich. Darin werden für die ausgewählten Studien bei akuter Bronchitis die Ergebnisse beider Bewertungsverfahren gegenübergestellt. Bei den Studien »Chuchalin« und »Matthys II« führten die Kriterien im Sinne von Summenscore-Entwicklung resp. der vollständigen Symptomfreiheit tatsächlich zu statistisch ähnlichen Ergebnissen. Im Falle der Studie »Anonymus« führt dagegen das Kriterium der vollständigen Symptomfreiheit zu einem Null-Ergebnis, obwohl die Summenscore-Differenzen gegenüber Placebo signifikant und unter den beiden oberen Dosierungen sogar noch höher waren als in den beiden vorangehenden Studien. Das für die Cochrane-Analyse allein entscheidende letzte Symptom war hier aber offenbar dauerhafter, sodass mit diesem Bewertungsmaßstab die Schwelle der statistischen Signifikanz bis zum Tag 7 bei keiner Dosierung erreicht wurde. Zu berücksichtigen ist zudem, dass es sich bei dieser Studie um eine Dosisfindungsstudie zu einer neuen Galenik (Tablette) handelt. Bei derartigen Studien werden üblicherweise, neben der Dosierung mit erwarteter Wirksamkeit (hier die 20-mg-Tablette), eine Dosierung unterhalb der genannten (in diesem Fall die 10-mg-Tablette) und eine darüber liegende (hier die 30-mg-Tablette) gewählt.

Tab. 2: Vergleich der statistischen Ergebnisse unter den Bewertungskriterien »Bronchitis spezifischer Symptomen-Score« (BBS) und »völlig symptomenfrei«. Bei Patienten aus benachbarten Infekt-Jahrgängen stimmten die Resultate beider Verfahren überein, bei weiter entfernten Jahrgängen dagegen nicht. * = signifikant; P = Placebo; V = Verum Studie Symptomen-Score symptomfrei Infekt-Jahr d 0/7 Δ d 7–0 Δ V-P N % Chuchalin P 8,5/3,2 5,2 1/60 2 2000/ V 8,9/1,2 7,7 2,5* 18,64 28* 2001 Matthys P 8,4/3,1 5,3 7/109 6 2001/ V 8,9/2,3 7,6 2,2* 59/108 45* 2002 Anonym P 8,2/5,5 2,7 1/101 1 2006 10 mg 8,2/3,9 4,3 1,6 4/102 4 20 mg 8,6/2,5 6,1 3,4* 10/101 10 30 mg 8,7/2,4 6,3 3,6* 8/100 8

Methodik-Diskussion fehlt

Wie aus der letzten Spalte der [Tab. 2] hervorgeht, wurden bei der Cochrane-Metaanalyse Studien bei Atemwegsinfekten aus unterschiedlichen Jahrgängen einbezogen. Jeder erfahrene Arzt weiß aber, dass virale Atemwegsinfekte von Jahr zu Jahr wechselnde Erkrankungsprofile aufweisen können. Einzelne Symptome können dominieren oder auch für längere Zeit persistieren. Zum Zeitpunkt der Erstellung der Studienpläne sind solche epidemiologische Varianten noch nicht absehbar. Eine vorbeugende Verlängerung der Studiendauer ist generell nicht sinnvoll, weil erfahrungsgemäß die Compliance wie auch die Bereitschaft der Patienten zu weiteren Untersuchungen mit dem Abklingen der Mehrheit der Symptome rasch schwindet.

Eine Metaanalyse, die unter diesen Rahmenbedingungen bei gleichem Stichtag verschiedene Infektions-Jahrgänge zusammengefasst, sollte sich deshalb auf die relative Besserung eines möglichst umfassenden Syndroms und nicht nur auf den Wegfall des letzten Symptoms stützen. Der Ersatz eines quantitativen Merkmals durch ein singuläres qualitatives Item kann anderenfalls zu Fehlschlüssen führen, wie das auch hier der Fall gewesen sein könnte. Leider findet sich weder bei der Darlegung der Methoden noch im Abschnitt »Diskussion« eine kritische Auseinandersetzung der Cochrane-Autoren mit dieser Fehlerquelle.

Literatur

  • 1 Timmer A, Günther J, Rücker G, Motschall E, Antes G, Kern WV. Pelargonium sidoides extract for acute respiratory tract infections.  Cochrane Database of Systematic Reviews. (3) DOI: 10.1002/14651858.CD006323.pub2

Prof. Dr. Volker Schulz

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