Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29(6): 286-287
DOI: 10.1055/s-0028-1119433
Praxis
Depressionen
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Cochrane-Report 2008 zu Johanniskraut bei Depressionen: Wirksam wie, aber verträglicher als synthetische Antidepressiva

Volker Schulz
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Publication Date:
12 January 2009 (online)

Johanniskraut-Extrakte zählten in den Neunziger Jahren zu den meistverordneten Antidepressiva in Deutschland. Mit dem Ausschluss der meisten Phytopharmaka aus der Kassenerstattung (GMG vom April 2004) erlosch jedoch das Interesse daran bei vielen Ärzten. Zu früh wie es jetzt scheint. Einerseits waren geprüfte Johanniskraut-Präparate zur Behandlung mittelschwerer Depressionen zu keinem Zeitpunkt von der Erstattung ausgeschlossen. Zum anderen hat das Bundesministerium für Gesundheit jüngstens verfügt, dass diese Präparate ab April 2009 der ärztlichen Rezeptpflicht zu unterstellen sind. Diese Entscheidung wurde nicht aufgrund von Wirkstoffrisiken, sondern allein der Indikation wegen getroffen. Die Behandlung depressiver Patienten gehört in die Hand des Arztes.

Unabhängige Bewertung bestätigt Kenntnisstand

Da trifft es sich gut, dass soeben der aktualisierte Bewertungsreport »St John’s wort for major depression« (Datenstand: August 2008) der international anerkannten Cochrane Collaboration erschienen ist ([1]). Diese Metaanalyse schloss alle Studien ein, die randomisiert und doppelblind bei Patienten mit »Major depression« (ICD-10 und DSM-IV) über Zeiträume von 4–12 Wochen mit Johanniskraut-Extrakt (Dosierung 600–1200 mg/d) im Vergleich mit Placebo und/oder synthetischen Standard-Antidepressiva durchgeführt worden sind. Das Hauptkriterium zur Wirksamkeit war die Responder-Rate nach den Kriterien der Hamilton-Depressionsskala; das Hauptkriterium zur Verträglichkeit war die Häufigkeit von Studienabbrüchen seitens der Patienten. Die Bewertung erfolgte durch mindestens 3 voneinander unabhängige Gutachter.

Erneut bestätigt: Vom Arzt verordnetes Johanniskraut ist bei leichten bis mittelschweren Depressionen den Standard-Antidepressiva vergleichbar – bei signifikant selteneren Nebenwirkungen und geringeren Kosten.

29 Studien mit insgesamt 5489 Patienten erfüllten die Einschlusskriterien. Darunter waren 18 Vergleiche gegen Placebo und 17 gegen Standard. Die Vergleiche mit Placebo zeigten in ihrer Gesamtheit eine signifikante Überlegenheit zugunsten des Verums. Die Ergebnisse waren jedoch relativ heterogen. Studien in deutschsprachigen Ländern ergaben bessere Ergebnisse als solche in anderen Ländern. Die Vergleiche mit synthetischen Standard-Antidepressiva zeichneten sich dagegen durch eine länderübergreifende statistische Homogenität aus. Sowohl gegenüber den Tri- und Tetrazyklika (Imipramin, Amitriptylin, Maprotilin) als auch den SSRI (Fluoxetin, Sertralin, Paroxetin, Citalopram) ergaben sich statistische Gleichstände der Wirksamkeit (RR-Werte 1,02/5 Studien resp. 1,0/12 Studien). »Drop-out«-Fälle aufgrund unerwünschter Wirkungen waren jedoch unter Johanniskraut signifikant seltener als unter synthetischen Antidepressiva.

Kommentar der AKdÄ zum »Placebo-Anteil«

Diese Cochrane-Analyse bestätigt, was niedergelassene Ärzte in Deutschland vor mehr als einem Jahrzehnt beobachtet und damals zum Nutzen ihrer Patienten auch breit angewendet hatten. Der Gleichstand der Therapieerfolge mit Johanniskraut bei leichten und mittelschweren Depressionen hat auch die internationale Diskussion über die (pharmakologische) Wirksamkeit der Antidepressiva erneut angefacht. Eine kürzliche Metaanalyse von 35 aktuellen Therapiestudien mit synthetischen Antidepressiva ergab einen »Placebo-Anteil« von 80% an allen erzielten Behandlungserfolgen ([2]). Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ) sah sich im April 2008 zu folgender bemerkenswerter Stellungnahme veranlasst ([3]): »Der Hinweis auf den hohen Anteil an Placeboeffekt an der Wirksamkeit von Antidepressiva ist kein grundsätzliches Argument gegen den Einsatz dieser Arzneimittel. Vielmehr handelt es sich auch beim Placeboeffekt um eine Wirksamkeit, die dem Patienten voll zugute kommt. Auch darf der so genannte Placeboeffekt keinesfalls mit Nichtbehandlung verwechselt werden. Neben dem Attributionseffekt, der auf der Erwartung einer positiven Wirkung durch das eingenommene Arzneimittel beruht, sind die jede Psychopharmakotherapie begleitenden stützenden ärztlichen Gespräche (Clinical management) und die von Vertrauen, Empathie und Hoffnung geprägte Arzt-Patienten-Beziehung therapeutisch wirksam.«

Patientennutzen und Pharmakoökonomie

Damit erkennt auch die AKdÄ den großen Anteil zeitintensiver ärztlicher Betreuung am Erfolg der antidepressiven Arzneitherapie an. Unter solchen Rahmenbedingungen verändern sich für die Praxis aber auch bestimmte Rangfolgen bei der Arzneiauswahl. An Stellenwert gewinnen dabei: die Akzeptanz der Arznei durch die Patienten, die Verträglichkeit sowie die Kosten der Therapie. Bekanntlich sind aber gerade bei den pflanzlichen Arzneimitteln »Vertrauen, Empathie und Hoffnung« der Patienten besonders hoch. Unerwünschte Wirkungen werden bei älteren Trizyklika bei etwa jedem zweiten, bei neueren synthetischen Präparaten bei etwa jedem fünften, bei Johanniskraut-Extrakt trotz einiger Interaktionsrisiken aber erst bei etwa jedem 50. Patienten beschrieben ([4], [5]). Die Tagesbehandlungskosten (DDD) liegen in gleicher Reihenfolge bei 0,59–0,69 resp. 0,73–1,52 resp. 0,47 ([6]). Das Beispiel macht deutlich, dass die Phytotherapie bei diesem wichtigen Anwendungsgebiet sehr geeignet sein kann, den Patienten Überbehandlungen durch zu nebenwirkungsreiche und den Krankenkassen unnötige Kosten durch zu teure Arzneimittel zu ersparen.

Literatur

  • 1 Linde K, Berner MM, Kriston L. St John’s wort for major depression.  Cochrane Database of Systematic Reviews. 2008;  (4) DOI: 10.1002/14651858.CD000448.pub3
  • 2 Kirsch I, Deacon BJ, Huedo-Medina TB, et al.. Initial severity and antidepressant benefits: a meta-analysis of data submitted to the Food and Drug Administration.  PLoS Med. 2008;  5 e45
  • 3 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft .Stellenwert von Antidepressiva in der Depressionsbehandlung. AKdÄ Newsletter 2008 120-vom 17. April 2008
  • 4 Schulz V. Therapierisiken durch Johanniskraut?.  Deutsche Apotheker Zeitung. 2006;  146 4280-4291
  • 5 Linde K, Knüppel L. Large-scale observational studies of Hypericum extracts in patients with depressive disorders – a systematic review.  Phytomedicine. 2005;  12 148-157
  • 6 Schwabe U, Paffrath D Hrsg.. Arzneiverordnungsreport 2007. Berlin, Heidelberg, New York; Springer 2007: 779-809

Prof. Dr. Volker Schulz

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