Dtsch Med Wochenschr 1936; 62(2): 45-47
DOI: 10.1055/s-0028-1120602
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Zur Differentialdiagnose zwischen chylösen und chyliformen Ergüssen mit Orcanette = Alkanna-Tinktur1

Abdülkadir Noyan2 - Vorstand der Klinik
  • Medizinischen Klinik des Gülhane-Krankenhauses in Istanbul
1 Orcanette und Alkanna tinctoria sind identische Begriffe, indem das erste Wort die französische Bezeichnung für das zweite ist. Alkanna tinctoria ist ein Baum, aus dessen Wurzeln Henna gewonnen wird. Alkanna-Tinktur oder -Papier wird in gleicher Weise verwendet wie Lackmus-Tinktur oder -Papier. Dem Chemiker ist Alkanna als Indikator in der Analyse bekannt; im klinischen Laboratium ist die diagnostische Verwendung in Deutschland bisher im allgemeinen nicht gebräuchlich. 2 „Noyan”: Familienname nach dem neuen Gesetz in der Türkei anstatt des früheren Namens „Lütfi”.
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Publication Date:
05 May 2009 (online)

Zusammenfassung

Bei unserem ersten Kranken mußte man annehmen, daß dieser chylöse Erguß nicht per diapedesin, sondern mehr infolge der durch den Druck auf den Ductus thoracicus entstandenen Stauung im Milchbrustgang selbst und dessen Zerreißen zustande gekommen ist, obgleich wir diese Annahme weder durch Operation noch durch Sektion zu bestätigen Gelegenheit fanden. Die schnelle Ansammlung der Flüssigkeit und ihre chemischphysikalische und mikroskopische Beschaffenheit paßten mehr zu einem chylösen Erguß. Die per os gegebene Orcanettelösung in Olivenöl färbte den Erguß deutlich und bestätigte mithin die Herkunft des Ergusses vom Ductus thoracicus. Bei unserem zweiten Falle hatten wir klinische Beweise, die uns zur Annahme eines malignen Tumors und einer Peritonitis zwangen. Nach seinen physikalischen, chemischen und mikroskopischen Eigenschaften war der Erguß mehr chyliform zu nennen. Orcanette hat diesen Aszites nicht färben können. Auch mit unserem Reagens konnten wir keine Orcanette feststellen.

Es ist schwierig, durch Vertiefung der chemischen, physikalischen und mikroskopischen Untersuchungen bei einem Kranken mit milchartigem Erguß die Differenzierung des vorliegenden Ergusses in chylöse, chyliforme und pseudochylöse Gruppen fertigzubringen. Die Straußsche Fettdiätprobe, die darin besteht, daß man dem Kranken eine Fettdiät vorschreibt und darauf die Fettmenge im milchigen Ergüsse kontrolliert, hat in der Klinik nicht immer zum positiven Ergebnis geführt. Da die Fette nicht in gleicher Beschaffenheit durch die Darmwand resorbiert werden, so meint Leidhecker, daß das Olivenöl mit seiner Beschaffenheit zu diesem Zwecke ungeeignet sei. Die Erhöhung des Fettgehaltes eines milchigen Ergusses nach der Fettdiät wird für einen positiven Beweis für die chylöse Beschaffenheit dieses Ergusses gehalten. Manche Autoren legen auf das positive Ausfallen der Probe mehr Wert, andere behaupten gerade das Gegenteil.

Da man dem Kranken wegen der Anorexie oder Widerwillen nicht immer beliebig viel Fett zu geben vermag, und da das Problem der Ausnutzungsfähigkeit der Fette durch den Organismus selbst einer gesonderten Betrachtung harrt, so kann die Straußsche Fettdiätprobe nicht immer als zuverlässig angesehen und ihre Ausführung nicht als leicht bezeichnet werden.

Die Flüssigkeit, die wir bei unserem zweiten Kranken durch Punktion gewonnen hatten, hatte sowohl adipöse als auch chylöse Beschaffenheit. Das Nichtübergehen der Orcanette in den Erguß zeigte uns, daß sein Milchigsein in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des Ductus thoracicus stand.

Das orcanettehaltige Olivenöl ist ein Mittel, das man jedem Kranken als Arznei verordnen kann. Da der Farbstoff auch in geringer Menge in den Ductus thoracicus und mithin in die mit diesem Duktus in Verbindung stehenden Höhlen (mit den Fetten, die per diapedesin oder durch das Zerreißen eindringen) übergehen kann, so ist seine Bestimmung in diesen Ergüssen mit dem angegebenen Reagens sehr einfach.

Es hat sich herausgestellt, daß die Orcanettemenge die chylösen Ergüsse deutlich rot färbt und in die gewöhnlichen entzündlichen oder nicht entzündlichen Brust- und Bauchergüsse nicht übergeht. Der Gebrauch der Orcanette scheint uns nicht nur über chylöse Ergüsse, sondern vielleicht auch noch über Chylurie und Lipämie, über deren Wesen die Meinungen noch geteilt sind, manche lehrreiche und nutzbringende Aufklärung bringen zu können.

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