Dtsch Med Wochenschr 1949; 74(37): 1110-1112
DOI: 10.1055/s-0028-1121282
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Gestationsvorgänge und genuine Epilepsie1

Johannes Hirschmann
  • Universitäts-Nervenklinik Tübingen (Direktor: Prof. Dr. Dr. h. c. E. Kretschmer)
1 Vortrag, gehalten vor dem Medizinisch-Naturwissenschaftlichen Verein Tübingen am 30. 5. 1949.
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Publication Date:
02 June 2009 (online)

Zusammenfassung

Unter Berücksichtigung des derzeitigen Schrifttums und Durchsicht eines Krankengutes von 231 weiblichen genuinen Epileptikern, die Schwangerschaften und Geburten durchmachten, wird die Frage des Einflusses von Gestationsvorgängen auf die genuine Epilepsie behandelt. Der Prozentsatz der Frauen, die durch Schwangerschaft, Geburt oder Wochenbett eine entscheidende Verschlechterung ihres Leidens erfuhren, ist gering (7,4% des Gesamtmaterials). Das Fortpflanzungsgeschäft stellt für epileptische Frauen ein besonderes Risiko nicht dar. Wurden eine oder mehrere Schwangerschaften ohne nachteiligen Einfluß auf die Krankheit überstanden, so sind in der Regel auch weitere Schwangerschaften nicht mit der Gefahr einer Verschlimmerung der Epilepsie verbunden.

Da die Möglichkeit einer Verschlechterung der Krankheit in Einzelfällen aber doch gegeben ist, wurde nach klinischen Anhaltspunkten gesucht, die eine brauchbare Prognosestellung gestatten. Diese ergaben sich aus der Konstitution und dem Grad der Wesensveränderungen. Mit einer entscheidenden Verschlechterung reagierten schwere Defektkonstitutionen und Kranke mit ausgeprägterer Wesensänderung. Die Änderung der hormonellen Funktionen, wie sie durch die Gestationsvorgänge bedingt sind, genügt für die Dekompensation des Leidens allein nicht. Letztere wird erst dann hervorgerufen, wenn die infolge der Gestation erzeugten stoffwechselmäßigen und hormonellen Funktionsänderungen auf eine Konstitution treffen, die bereits anlagemäßig mit einer Dysfunktion der Blutdrüsen und des Stoffwechselhaushaltes behaftet ist. Die Verschlimmerung der genuinen Epilepsie durch Gestationsvorgänge hat die Potenzierung mehrerer Kausalfaktoren zur Voraussetzung. Die Untersuchungen zeigen erneut die klinische Bedeutung der konstitutionellen Betrachtungsweise.