Zusammenfassung
Manchmal findet sich als anatomisch nachweisbare Grundlage einer scheinbar rein funktionellen
Psychose eine Kombination verschiedener Krankheitsprozesse, von denen jeder einzelne
die akute, tödlich verlaufende Geistesstörung nicht ausreichend erklären würde. Es
handelt sich gewöhnlich um Einwirkung einer akuten Schädigung auf einen schon länger
bestehenden chronischen Hirnprozeß. Der letztere kann derartig sein, daß er, obwohl
er eine diffuse Veränderung des Gehirns darstellt, doch lange Zeit keine Funktionsstörungen
hervorruft und deshalb symptomlos bleibt. Erst unter der Einwirkung der akuten Noxe
versagt das durch den chronischen Prozeß beeinträchtigte Gehirn und reagiert mit einer
schweren, oft tödlich verlaufenden Funktionsstörung.
Von solchen akuten Schädigungen kommen in Betracht: Traumen, Intoxikationen, Infektionen,
Erkrankungen anderer Organe, namentlich Kreislaufstörungen.
Als chronische Hirnprozesse, die lange Zeit symptomlos bleiben können, finden sich
diffuse, chronische, fibröse Leptomeningitis, vielleicht als Residuum einer früheren
akuten Erkrankung, oder diffuse Sklerose der Hirngefäße. Die letztere, wenn sie in
Form der fibrösen Entartung zahlreicher feinerer Gefäßäste auftritt, kann nicht nur
längere Zeit symptomlos bleiben, sondern ist oft auch post mortem makroskopisch nicht
erkennbar, sodaß erst durch die mikroskopische Untersuchung diese anatomische Grundlage
festzustellen ist.
Es ist denkbar, daß auch bei akuten, nicht tödlich verlaufenden Psychosen gelegentlich
ein ähnlicher Mechanismus zugrunde liegt, der, weil der chronische Prozeß für sich
allein keine Symptome gemacht hat, schwer nachgewiesen werden kann. Dadurch würde
sich für manche Fälle die elektive Wirkung akuter Schädigungen erklären, ohne daß
man jedesmal zu der Hypothese einer endogenen Prädisposition seine Zuflucht zu nehmen
braucht. Auch andere organische Hirnerkrankungen bestimmter Art, z. B. meningitische
Prozesse, Tumoren, können gelegentlich durch eine solche Kombination von zwei ganz
anders gearteten Veränderungen vorgetäuscht werden.