Dtsch Med Wochenschr 1911; 37(9): 389-391
DOI: 10.1055/s-0028-1130494
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Zur Frage des Mechanismus der Tuberkulinreaktion

R. Kraus, E. Löwenstein, R. Volk
  • Aus dem Staatlichen Serotherapeutischen Institute in Wien. (Vorstand: Hofrat Prof. Paltauf.)
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Publication Date:
06 July 2009 (online)

Zusammenfassung

Die Tuberkulinreaktion wird vielfach als eine Anaphylaxiereaktion (Allergie v. Pirquet) aufgefaßt und aus dem Zusammenwirken eines Antikörpers (Reaktionkörpers) mit dem ungiftigen Tuberkulin erklärt.

Gegen diese Annahme sprechen folgende Tatsachen:

1. Weder bei tuberkulösen Menschen noch bei tuberkulösen Tieren ist es bis jetzt gelungen, im Serum und in den Organen, diesen supponierten Reaktionskörper nachzuweisen.

2. Der Symptomenkomplex bei tuberkulösen Meerschweinchen nach intravenöser oder intraperitonealer Tuberkulininjektion entspricht, wie auch Joseph betont hat, weder toxikologisch noch anatomisch dem für die Anaphylaxie charakteristischen Bilde.

3. Die Reaktionsfähigkeit der Haut ist bei kachektischen tuberkulösen Tieren sowohl gegenüber dem Tuberkulin als gegenüber dem Diphtherietoxin herabgesetzt; auch durch Choleratoxin kachektisch gewordene Tiere zeigen gegenüber dem Diphtheriegift eine solche Herabsetzung der Reaktionsfähigkeit. Die Kachexiereaktion läßt sich einfach aus einer herabgesetzten Giftempfindlichkeit der Haut erklären.

4. Das Tuberkulin unterscheidet sich allerdings von den echten primären Toxinen dadurch, daß es bei einem gesunden Tiere keine Antikörperbildung hervorzurufen vermag. Daß trotzdem die Auffassung einer primären Giftwirkung ihre Berechtigung hat, geht aus den Untersuchungen von Pickert und Löwenstein hervor, die zuerst den Antigencharakter erweisen konnten. Diesen Autoren ist es gelungen, im Serum von tuberkulösen, mit Alt-Tuberkulin behandelten Patienten spezifische Substanzen Antikutine nachzuweisen, welche die Hautwirkung des Tuberkulins neutralisieren.

Durch diesen Nachweis ist auch der Mechanismus der Tuberkulinwirkung unserem Verständnis näher gebracht und vielleicht auch der des künstlichen und natürlichen Heilungsprozesses der Tuberkulose.

Daß neben diesen Antikutinen noch andere Antikörper (Valée, Ruppel und Rickmann) durch Immunisierung mit Alt-Tuberkulin entstehen können, ist durch die obenerwähnten Arbeiten sichergestellt.

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