Dtsch Med Wochenschr 1911; 37(40): 1825-1827
DOI: 10.1055/s-0028-1130986
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Ueber die stomachale Anwendung von Tuberkulinpräparaten1)

Stabsarzt B. Möllers - kommandiert zum Institut für Infektionskrankheiten, W. Heinemann - Assistenzarzt am Rudolf Virchow-Krankenhause
  • Aus dem Institut für Infektionskrankheiten (Direktor: Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. Gaffky) und der Infektionsabteilung des Rudolf Virchow-Krankenhauses (Dirigierender Arzt: Prof. Dr. Jochmann)
1) Die Untersuchungen wurden mit Mitteln der Robert Kochstiftung ausgeführt und werden nebst Besprechung der einschlägigen Literatur in den „Veröffentlichungen der Robert Koch-Stiftung” ausführlich mitgeteilt werden.
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. Juni 2009 (online)

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Zusammenfassung

1. Es ist praktisch möglich, das Tuberkulin in Kapseln zu reichen, die zwar der Verdauung des Magensaftes widerstehen, aber unter der Wirkung des Darmsaftes zur Auflösung gebracht werden.

2. Unter dem Einfluß des Pepsins und des Trypsins wird die spezifisch wirksame Substanz des Tuberkulins stark geschädigt, diese Schädigung läßt sich experimentell nachweisen durch den Ausfall

a) der Pirquetschen Reaktion,

b) des Meerschweinchenversuches,

c) der Komplementbindungsmethode nach Bordet und Gengou.

3. Selbst hochgradig tuberkulinempfindliche Menschen haben bei stomachaler Verabreichung Dosen bis zu 1000 mg Alttuberkulin und 100 mg Bazillensubstanz in den meisten Fällen ohne jede Fieber- oder sonstige Allgemeinreaktion wie ohne Herdreaktion vertragen.

4. Auch bei den mit hohen Tuberkulindosen stomachal behandelten Patienten läßt sich eine Tuberkulinimmunität nicht nachweisen, und zwar weder durch Auftreten von Antikörpern im Blutserum, noch durch Verschwinden der Pirquetschen Reaktion, noch durch Herabsetzung der Reaktionsfähigkeit gegen subkutan gegebene kleine Tuberkulindosen.

5. Für diagnostische Zwecke ist die innerliche Tuberkulinbehandlung wegen ihrer unsicheren Wirkung vollkommen ungeeignet.

Therapeutisch schadet die stomachale Verabreichung von Tuberkulin zwar nicht, ist aber wegen der Abschwächung der spezifischen Substanz durch die Verdauung, wegen der mangelhaften Resorption und der unsicheren Dosierung gleichfalls abzulehnen.

Die stomachale Verabreichung von Tuberkulinpräparaten ist daher weder zu diagnostischen noch zu therapeutischen Zwecken geeignet, die bisher meist gebräuchliche subkutane Behandlungsweise zu ersetzen.