Dtsch Med Wochenschr 1953; 78(13): 421-425
DOI: 10.1055/s-0028-1131287
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Über die Genese rezidivierender kolikartiger Leibschmerzen beim Kinde („Nabelkoliken”)1

K. H. Schäfer, M. A. Lassrich
  • Universitäts-Kinderklinik Hamburg-Eppendorf (Direktor: Prof. Dr. K. H. Schäfer)
1 Herrn Professor Ylppö, Helsinki, zum 65. Geburtstag gewidmet.
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Publication Date:
21 April 2009 (online)

Zusammenfassung

Die sogenannten rezidivierenden „Nabelkoliken” sind keine Krankheitseinheit, sondern ein Syndrom mit verschiedenartigster Ätiologie. In über der Hälfte der Fälle lassen sich mit Hilfe moderner röntgenologischer Untersuchungsmethoden organische Veränderungen am Magendarmtrakt nachweisen. Sie kommen als auslösende Ursachen für das Syndrom „Nabelkoliken” durchaus in Betracht. Zahlenmäßig weit obenan stehen in unserem auslesefreien Material von 260 Kindern rezidivierende entzündliche Veränderungen im Bereich der letzten Ileumschlinge und der Ileozökalklappe. Sie dürften analog den Vorgängen im Rachengebiet auf dem Boden eines in der Ileozökalgegend sich auswirkenden Lymphatismus mit der ihm zugeordneten katarrhalischen Anfälligkeit entstehen. Wie im Rachen die granulierte Hinterwand werten wir im Darm das „Pflastersteinrelief” der letzten Ileumschlinge. Diesen Befund erheben wir auch bei gesunden Kindern, und zwar am ausgeprägtesten im späten Kleinkindes- und frühen Schulkindesalter. Erst ganz allmählich bekommt das Relief der letzten Ileumschlinge die zarte Längsfältelung des Erwachsenen. Entscheidend für die Erklärung der Leibwehattacken ist jedoch der Nachweis der Entzündung, den wir als gegeben ansehen, wenn die letzte Ileumschlinge oder die Ileozökalklappe, oder beide, druckschmerzhaft infiltriert sind. Das Pflastersteinrelief pflegt sich hierbei noch zu vergröbern, wie Serienaufnahmen zeigen.

In weitem Abstände folgen Askaridiasis, spezifische und unspezifische Bauchlymphknoten-Vergrößerungen, Entzündungen und Ulzera der Magen- und Zwölffingerdarmschleimhaut, Dünndarmkatarrhe ohne Durchfall („innerer Durchfall”), Appendixaffektionen, rezidivierende und unvollständige Invaginationen und gewisse Dickdarmveränderungen. In welchem Umfange es wirklich rein funktionell entstandene Leibwehattacken, also „Nabelkoliken im engeren Sinne” gibt, muß die Zukunft lehren. Es wird dann noch die Frage zu klären sein, wie weit es sich speziell hierbei um Migräne- oder vielleicht auch um Epilepsieäquivalente handelt. Wie dem auch sei: in jedem Falle — vielleicht mit Ausnahme der durch Epilepsie bedingten— bedarf es einer vegetativen Übererregbarkeit, um die banaleren und darum häufigsten organischen Erkrankungen des Bauchraumes (z. B. die Ileitis) in Gestalt von Leibwehattacken klinisch manifest werden zu lassen.

Auf Grund unserer Erfahrungen glauben wir anregen zu dürfen, etwas mehr als bisher üblich die Röntgenuntersuchung des Magendarmtrakts zur Diagnostik beim leibwehkranken Kinde zu benutzen. In der Hand des Geübten ist sie allein in der Lage, ohne Operation die chronische Appendizitis von der rezidivierenden Ileitis und von anderen Affektionen am Magendarmtrakt mit Sicherheit abzugrenzen.

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