Dtsch Med Wochenschr 1923; 49(49): 1490-1492
DOI: 10.1055/s-0028-1132580
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Augenstörungen im Gestationsprozeß. II. (Schluß aus Nr. 47/48.)

Karl Fink
  • Aus der Universitäts-Frauenklinik in Königsberg i. Pr. (Direkor: Geh.-Rat Winter.)
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Publikationsdatum:
23. August 2009 (online)

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Augenstörungen im Gestationsprozeß. I.

Zusammenfassung

  • Bei allen Sehstörungen intra graviditatem ist Untersuchung mit dem Augenspiegel unbedingt erforderlich.

  • Die Ansicht, daß die akut auftretenden Sehstörungen und Erblindungen bei schwangeren Frauen, welche an Nephropathie, Erscheinungen der drohenden Eklampsie oder der bereits eingetretenen Eklampsie leiden, harmloser Art sind und keiner Unterbrechung der Schwangerschaft bedürfen, ist allgemein in Geltung.

  • Wird bei akuten Erblindungen oder hochgradiger Sehschwäche der Augenhintergrund normal befunden, so ist eine Entfernung des Schwangerschaftsproduktes nur notwendig, wenn eine echte Urämie vorliegt.

  • Die allmählich, d. h. etwa in einigen Tagen eintretenden Sehstörungen können eine verhängnisvolle pathologische Grundlage haben. Ihre letzte Ursache kann eine chronische Nephritis sein, ist es aber nur gelegentlich.

  • Wird eine Netzhautablösung festgestellt, so prüfe man erst, ob bei der Patientin lediglich Nephropathie vorliegt, oder ob eine schwere chronische Nephritis dahinter steckt. Im ersten Falle versuche man durch Bettruhe, Schonung und Diät eine Wiederanlegung der Netzhaut zu erzielen, in letzterem Falle entschließe man sich schneller zur Entleerung der Gebärmutter.

  • Die Ansicht, daß die Retinitis gravidarum nur bei chronischer Nephritis vorkommt, ist widerlegt. Man findet sie auch häufig bei den zur Gruppe des Hydrops gravidarum gehörenden Krankheits-zuständen, nämlich der Schwangerschaftsniere, der Nephropathie und der Eklampsie. Man soll die Retinitis gravidarum nur in Ausnahmefällen zum Anlaß einer sofortigen Schwangerschaftsunterbrechung machen im Sinne der von Sachs aufgestellten Grundsätze.

  • Die Retinitis gravidarum bietet quoad vitam eine günstige und quoad visum eine relativ günstige Prognose.

  • Die von Adam geäußerte Meinung, daß Frauen mit chronischer Nephritis, welche während der Schwangerschaft eine Retinitis gravidarum bekommen, eine schlechte Prognose bieten, ist nach drei Erfahrungen aus meinem Material als nicht allgemeingültig erwiesen.

  • Hat man erkannt, daß die Retinitis gravidarum einmal eine spezifische Retinitis nephritica ist, dann befreie man die Patientin von ihrer Schwangerschaft, da die Prognose quoad vitam et quoad visum sonst sehr schlecht ist.

  • Die von Schiötz empfohlene und oft ausgeführte Schwangerschaftsunterbrechung und Sterilisierung wegen chronischer Nephritis mit Augenhintergrundsveränderungen vom Aussehen der Reste einer Retinitis albuminurica können wir nicht anerkennen und werden sie nur auf Notfälle beschränken.