Dtsch Med Wochenschr 1910; 36(27): 1272-1276
DOI: 10.1055/s-0028-1142901
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Wodurch setzen wir die Mortalität der Appendicitis herab und verhüten Abszesse und Peritonitiden?2) (Schluß aus No. 26.)

Hermann Kümmell in Hamburg 2) Vortrag auf dem 39. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1910.
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Publication Date:
22 June 2009 (online)

Wodurch setzen wir die Mortalität der Appendicitis herab und verhüten Abszesse und Peritonitiden?2) (Fortsetzung aus No. 25.)

Zusammenfassung

Die Appendicitis ist eine Erkrankung, von welcher nach den Erfahrungen der pathologischen Anatomen etwa vier Fünftel aller Menschen befallen werden. Die mehr oder weniger schweren pathologisch-anatomischen Veränderungen, welche bei den Sektionen gefunden werden, sind nicht als definitive Heilungen aufzufassen, sondern als krankhafte Veränderungen, welche ähnlich den Gallensteinen einen Ruhezustand bedeuten, welcher durch das Hinzutreten einer Infektion zum akuten Anfall führt. Damit sind die schweren krankhaften Veränderungen zu erklären, welche man bei vorher anscheinend gesunden Menschen durch die Frühoperation wenige Stunden nach Beginn des akuten Anfalls vorfindet.

Die Appendicitis möchte ich als eine Infektionskrankheit, durch die verschiedenartigsten Krankheitserreger hervorgerufen, ansehen, welche sich auf dem Boden eines vorher kranken, jedoch im Ruhestadium befindlichen Wurmfortsatzes entwickelt.

Die Appendicitis ist eine Erkrankung, deren Diagnose und Prognose in vielen Fällen Schwierigkeiten bereitet. Es gibt kaum ein Symptom, welches in allen Fällen mit Sicherheit eine Appendicitis festzustellen gestattet. Alle früher als maßgebend geltenden Symptome: Fieber, Pulsbeschleunigung und anderes mehr können selbst bei schweren Erkrankungen fehlen.

Auch die neueren diagnostischen Hilfsmittel: Leukozytenzählung, Viskositätsbestimmung oder das Arnethsche Blutbild, geben uns keinen Anhaltspunkt über den weiteren Verlauf der Erkrankung.

Bei dieser Lage der Verhältnisse besitzen wir allein in der frühzeitigen Entfernung des krankmachenden Organs, sobald die Diagnose der akuten Appendicitis gestellt ist, das sicherste Mittel, den Patienten definitiv von seinem Leiden zu befreien, ihn in kürzester Zeit zu heilen und vor den mit dem Abwarten verbundenen Gefahren der Abszeßbildung und der Peritonitis zu schützen.

Die Frühoperation schließt keine besonders großen Gefahren in sich, und die damit verbundene Mortalität sank bei den von uns in den letzten Jahren innerhalb der ersten 48 Stunden operierten Fällen auf 0,6%.

Nicht alle Appendizitiden bedürfen des operativen Eingriffs. Es gibt eine große Anzahl leichter und leichtester Fälle, welche schon nach wenigen Stunden abgelaufen oder als unbedeutend zu erkennen sind. Ist eine Erkrankung nach 12 oder allerlängstens nach 24 Stunden nicht abgeklungen, oder bestehen irgendwelche Zweifel über den weiteren Verlauf, so sollte man sofort zur Operation schreiten. Diese leichten Fälle, darunter die große Zahl der chronischen, welche mit oft auftretenden und rasch vorübergehenden Exazerbationen einhergehen, verlangen keine Frühoperation, können intern behandelt und, wenn erforderlich, nach längerer Beobachtung bei dauernden Beschwerden zu gelegener Zeit operiert werden. Einen Todesfall habe ich bei einer sehr großen Zahl dieser Form und bei konservativer Behandlung nicht auftreten sehen.

Es gehört zur Eigenart der Appendicitis, daß sie von Rückfällen gefolgt ist; das Rezidiv ist bei der Appendicitis die Regel, das Freibleiben von einem weiteren Anfall und die spontane Heilung die Ausnahme.

Die nach interner Behandlung als „geheilt” bezeichneten Fälle sind keine solchen, sondern in der Regel nur vorübergehende Heilungen vom Anfall. Der Beweis der definitiven Heilung müßte erst durch Feststellung der Rezidivfreiheit nach einigen Jahren erbracht werden.

Die innere Medizin behandelt, die Chirurgie heilt die Appendicitiskranken; nur durch die Entfernung der Appendix ist die sichere Heilung des Kranken möglich. Je früher die Entfernung des Wurmfortsatzes bei der diagnostizierten akuten Appendicitis stattfindet, um so sicherer und gefahrloser kann die Heilung erfolgen.

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