Dtsch Med Wochenschr 1912; 38(8): 352-358
DOI: 10.1055/s-0029-1189313
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Therapeutische Methodik der Radiumemanation2)

Paul Lazarus - dirigierendem Arzt am Marienkrankenhaus in Berlin 2) Nach einem Vortrage, gehalten am 17. Juli 1911 im Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde in Berlin.
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Publication Date:
22 June 2009 (online)

Zusammenfassung

Die Radiumemanation kann auf allen Wegen in den Organismus eindringen, aber entsprechend ihrem inerten Gascharakter verläßt sie ihn stets rasch und total, der Hauptteil entweicht durch die Lungen, ein großer Teil durch den Darmtrakt, Bruchteile durch die Haut, die Nieren und die übrigen Sekretionsorgane. Der Einführungsweg bestimmt das Tempo der Emanationspassage im Organismus, es währt Stunden bei der stomachalen oder kutanen Anwendung, Minuten bei der Einatmung, während es bei der Einspritzung von der Einverleibungsart (Vene, Haut, Muskulatur, Emanations- oder Radiumsalzlösung) abhängt.

Der Gehalt des Blutes an Emanation ist abhängig von der ihm auf den genannten Wegen zugeführten Emanationsmenge.

Die Radiumemanation besitzt keine chemische Affinität zum Blute, ihre Lösung ist eine rein physikalische und erfolgt nach den für chemisch indifferente, respirable Gase geltenden Gesetzen.

Die während des Verweilens der Emanation im Organismus aus ihr entstandenen Atomzerfallprodukte A, B, C, D befinden sich in den Körperflüssigkeiten im fest elementaren Zustande suspendiert und verleihen ihnen eine beträchtliche Gesamtaktivität. Die bei der Aktivitätsmessung des Blutes gefundenen Werte entsprechen nicht dem Gehalte an Emanation allein, sondern der Summe des radioaktiven Gemisches (Emanation + Metabole).

Die Bestimmung des Gehaltes an Emanation erfordert deren Isolierung aus dem Gemisch (durch Kochen, Filtrieren, elektrisches Feld), sowie die Messung der Abklingungskurven der Emanation und des aktiven Niederschlages. Auch im Körper folgt die Emanation ihrer Neigung, sich in geschlossenen Höhlen anzusammeln; so diffundieren bei der Aufnahme der Emanation per inhalationem beträchtliche Mengen in das Magen- und Darmlumen, von wo sie zur Rückresorption gelangen können. Ein ähnlicher intermediärer Kreislauf zwischen der Lungen- und Darmemanation entwickelt sich auch bei der primären stomachalen Aufnahme durch Retrospiration der in die Alveolen ausgeschiedenen Emanation. Bei der Inhalationskur spielt somit die sekundäre intestinale Resorption auch eine Rolle, desgleichen bei der Trinkkur die sekundäre Diffusionsinhalation. Das Emanatorium (2 M.-E.) in seiner heutigen Form stellt keine zweckmäßige Applikationsart dar. Der Schlüssel zur richtigen Emanationstherapie liegt in der richtigen Dosierung; die gleiche Emanationsdosis, zweckmäßig verteilt, entfaltet die gleichen Effekte, auf welchem Wege immer sie eingeführt wird.

Die rationellste Methode für die gewöhnlichen Emanationskuren ist die des Trinkens schlückchenweise in kleinen Intervallen (alle 20—30 Minuten) hintereinander durch zwei bis drei Stunden während und nach den größeren Mahlzeiten. (Sippingkur.) Bei 2000 Mache - Einheiten in zehn Einzeldosen a 200 M.-E., jede 20. Minute geschlürft, findet man im Blute nach drei Stunden 20—30 M.-E. pro Liter. Auch bei der Trinkkur zirkuliert die Emanation im arteriellen Blut.

Für besondere Zwecke, wo es auf hohe Aktivierung des Körpers ankommt, ist das Inhalationssystem meines Anreicherungsapparates im geschlossenen Radiumsauerstoffkreis am Platze, das bisher eine Aktivierung des Blutes bis auf 150 M.-E. pro Liter und darüber gezeigt hat. Selbst die Inhalation von 700 M.-E. pro Luftliter oder das Trinken von 100 000 M.-E. erwies sich wenigstens bei nicht Stoffwechselkranken als unschädlich und hatte insbesondere keine renalen Erscheinungen im Gefolge.

Die Haut ist in beiden Richtungen für die Emanation durchlässig; die Wirkung der Bäder und äußeren Applikationen beruht zum großen Teil auf Strahlungen der Emanation, desgleichen kommen bei der Injektion von unlöslichen Radiumsalzlösungen wesentlich die lokalen Strahlungswirkungen in Betracht.

Die Emanation penetriert die Gewebswände; die stomachal aufgenommene Emanation ist nach kurzer Zeit auch im Schweiße, im Mundspeichel und in der Oedemflüssigkeit nachweisbar, was die Imprägnation des Körpers durch Diffusion beweist.

Die per os aufgenommene Emanation geht in kurzer Zeit in den Plazentarkreislauf und läßt sich selbst im Foetus nachweisen; auch durch die Muttermilch wird die Emanation bald ausgeschieden.

Ich bin am Schlusse und erfülle dabei nur eine Pflicht der Pietät und der historischen Gerechtigkeit, wenn ich desjenigen gedenke, unter dem ich meine Radiumarbeiten begonnen habe, nämlich meines Lehrers v. Leyden. Die Leydensche Schule war die erste in Deutschland, welche die klinische Radiumforschung auf eine wissenschaftlich fest begründete Basis gestellt hat. Es erschienen im Anschlüsse an Neubergs Arbeiten 1904 die neue Wege eröffnenden Studien über die Aktivierung von Fermenten (Braunstein, Bergell und Bickel, Wohlgemuth), über die physiologische Bedeutung der Radioaktivität der Mineralwässer (Bergell und Bickel), über die technische Herstellung brauchbarer Emanationslösungen (Bergell), über die Karzinombehandlung mittels Radium bzw. Emanation (Braunstein, Kuhn, Meyer); von meinen bescheidenen Versuchen mit der Radiumbehandlung von Gicht und Rheumatismus (publiziert in den Charité-Annalen, 31. Bd., Berichtsjahr 1905/1906) will ich hierbei absehen. zumal bekanntlich die erste grundlegende Mitteilung Januar 1905 von Neuss er erfolgte. Ich mußte aber heute meines Lehrers Ley den gedenken, dessen weitausschauender Blick die Radiumforschung frühzeitig in seine Klinik aufnehmen ließ und damit ein dankbares Betätigungsfeld für die nachfolgenden Radiumgelehrten schuf.

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