Radiologie up2date 2009; 9(3): 197
DOI: 10.1055/s-0029-1215022
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zufallsbefunde in der wissenschaftlichen Bildgebung

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Publication Date:
17 September 2009 (online)

Bildgebende Verfahren haben in den vergangenen Jahren nicht nur eine große Bedeutung in der klinischen Diagnostik und Therapie erlangt, sondern werden zunehmend auch in der wissenschaftlichen Grundlagenforschung eingesetzt. Insbesondere in der Hirnforschung hat dabei die sog. funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) inzwischen qualitativ, aber vor allem auch quantitativ einen sehr großen Stellenwert eingenommen. Dabei wird dieses Verfahren, das regionale Durchblutungsänderungen bei der Hirnaktivierung misst (BOLD-Effekt), häufig nicht von (Neuro-)Radiologen, sondern von Neurowissenschaftlern, aber auch von Psychologen, Geisteswissenschaftlern oder anderen Wissenschaftlern verwendet, die keine radiologische Ausbildung oder gar medizinischen Kenntnisse aufweisen. Diese Grundlagenstudien werden dann in der Regel an gesunden Probanden durchgeführt, bei denen keine pathologischen Befunde am Neurokranium erwartet werden. Auf diese Weise werden heute täglich unzählige Hirnuntersuchungen an der Normalpopulation akquiriert. Mittlerweile liegen aber zuverlässige Informationen vor, die uns davon ausgehen lassen, dass bei ca. 19 % dieser Untersuchungen doch auffällige anatomische Befunde nachzuweisen sind, die einer weiteren Abklärung bedürfen. In immerhin 50 % handelt es sich dabei sogar um klinisch relevante Befunde. Mittlerweile herrscht eine rege Diskussion darum, ob und wie die anatomischen Bilder, die immer notwendigerweise bei fMRT-Untersuchungen aufgenommen werden müssen, radiologisch begutachtet werden sollen. Die Argumente für oder gegen ein solches Prozedere sind extrem vielschichtig und reichen von rein medizinischen über juristische zu versicherungstechnischen Aspekten. Ein völliges Negieren der anatomischen Datensätze bei der wissenschaftlichen Auswertung funktioneller Daten, wie es im Deutschen Ärzteblatt (Dtsch Arztebl 2007; 104 [46]) empfohlen wurde, ist nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Größere anatomische Veränderungen (z. B. Arachnoidalzyste) oder auch pathologische Befunde, die bisher zu keiner bekannten klinischen Symptomatik geführt haben (z.B. großes Meningeom), können nämlich zur Verfälschung der funktionellen Daten führen. Auf der anderen Seite hat der Umgang mit solchen Studien im Alltag gezeigt, dass gewisse anatomische Befunde auch von Nicht-Medizinern als auffällig registriert wurden und dann zur Einholung einer radiologischen Begutachtung führen.

Unter Abwägung aller Argumente ist daher zu fordern, dass bei allen wissenschaftlichen Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren die anatomischen Datensätze generell fachärztlich radiologisch begutachtet werden. Nur dieses konsequente Vorgehen schafft die notwendige Homogenität der wissenschaftlichen Daten, die hinreichende juristische Sicherheit aller Beteiligten und letztlich auch die moralisch ärztliche Verantwortung gegenüber den Untersuchten. Neuroradiologen und Radiologen sollten daher darauf drängen, dass dieses Vorgehen an ihren Einrichtungen bei der Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren institutionalisiert wird und dass sie fest eingebunden werden in den Ablauf solcher Studien.

Prof. Dr. Olav Jansen, Kiel

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