Pneumologie 2009; 63(7): 361-362
DOI: 10.1055/s-0029-1233251
Pneumo-Fokus

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Interview - Arzthaftungsrecht - Ärztliche Behandlungsfehler: Verhalten im Ernstfall

Further Information

Publication History

Publication Date:
13 July 2009 (online)

 

Klagen gegen Ärzte gehören mittlerweile zum juristischen Tagesgeschäft: 30 000 Schäden werden jährlich gemeldet und über 400 Mio. € Schadenersatz an die Patienten geleistet. Entsprechend groß ist die Angst der Ärzte, selbst eines Behandlungsfehlers angeklagt zu werden. Dieser Angst ist laut Prof. Karl-Otto Bergmann von der Universität Münster auf 2 Arten zu begegnen: durch ein gezieltes Risikomanagement zur Fehlervermeidung und durch eine bessere Vorbereitung der Ärzte auf den juristischen Ernstfall.

? Herr Professor Bergmann, werden Medizinstudenten im Studium ausreichend auf die rechtlichen Konsequenzen ärztlichen Handelns vorbereitet?

Ich denke, nicht. Der Ansatz, entsprechende Curricula einzuführen, wie dies an den Universitäten Münster und Essen geschieht, ist daher wichtig. Die Studenten sind durchaus an den wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekten des Arztberufs interessiert. Letztlich sollten diese Fächer jedoch auch examensrelevant werden.

? Welche zivil- bzw. strafrechtlichen Vorwürfe werden gegen Ärzte erhoben?

Oft fordern Patienten Schmerzensgeld oder Schadenersatz aufgrund fehlerhaf-ter Heilbehandlung. Bei fehlender Einwilligung des Patienten kann die Behandlung sogar rechtswidrig sein. In beiden Fällen werden zivilrechtliche Ansprüche geltend gemacht. Daneben kann auch eine Strafanzeige gegen den behandelnden Arzt erstattet werden, z. B. wegen fahrlässiger Körperverletzung oder auch fahrlässiger Tötung. Zivil- und Strafverfahren können also parallel bestehen. Darüber hinaus kann ein Arzt im Rahmen der Berufshaftung von der Ärztekammer disziplinarrechtlich in Anspruch genommen werden.

? Vorausgesetzt, dem Arzt kann ein Verschulden nachgewiesen werden.

Richtig. Es gibt keine verschuldensunabhängige Haftung im deutschen Recht.

? Nach deutschem Recht gilt nur bei groben Behandlungsfehlern die sogenannte Beweislastumkehr. Was versteht man darunter?

Wenn ein Patient einen Schadenersatzanspruch geltend machen möchte, muss er nachweisen, dass eine Pflichtverletzung des Arztes vorliegt. Darüber hinaus muss er den Schaden beweisen und – was das Schwierigste ist – den kausalen Zusammenhang zwischen dem Handeln des Arztes und dem entstandenen Gesundheitsschaden. Wenn allerdings ein grober Behandlungsfehler vorliegt, gilt eine Beweislastumkehr. Das heißt, der Arzt muss sich entlasten und nachweisen, dass der Schaden auch ohne seine Pflichtverletzung eingetreten wäre. Wichtig ist natürlich, dass zunächst ein grober Behandlungsfehler festgestellt wird.

? Wie ist ein grober Behandlungsfehler definiert?

Ein grober Behandlungsfehler liegt dann vor, wenn der Arzt allgemein verbreiteten medizinischen Kenntnissen zuwiderhandelt. Ein solcher Fehler darf einem Arzt schlichtweg nicht unterlaufen.

? Bei diesem Thema stellt sich die Frage nach der Berufshaftpflicht. Worauf sollte ein Arzt bei der Wahl seiner Versicherung achten?

Er muss darauf achten, dass sein spezielles Risiko versichert ist. Wenn ein Assistenzarzt, der in der Klinik tätig war, sich später als Facharzt niederlässt, muss er aufgrund des neuen Versicherungsrisikos auch einen neuen Vertrag abschließen. Dazu kann er sich eines Maklers bedienen, der Kenntnisse des Marktes besitzt, oder sich an seinen Berufsverband wenden.

? In welchen Fachgebieten sind Klagen besonders häufig?

Bezogen auf die Zahl der Fälle liegen Chirurgie und Orthopädie vorne. Hinsichtlich der Schwere der Fälle führen Gynäkologie und Geburtshilfe, aber auch die Anästhesie. Allgemein sind die operativen Fächer besonders gefährdet, da hier der Schaden am ehesten sichtbar wird.

? Wie sollte sich ein Arzt verhalten, wenn ein Patient mit Schadenersatzansprüchen an ihn herantritt?

Das kommt darauf an, ob er angestellt oder selbständig ist. Der angestellte Arzt sollte den Schadensvorwurf natürlich sofort seinem Chef melden, und dieser muss die Verwaltung informieren, die sich mit dem Krankenhausversicherer in Verbindung setzt. Hat der Arzt darüber hinaus eine private oder subsidiäre Haftpflichtversicherung, sollte er diese ebenfalls informieren.

Der selbständige Arzt hat unverzüglich seinen Makler oder direkt den Versicherer über die Inanspruchnahme in Kenntnis zu setzen. Die Abstimmung mit dem Haftpflichtversicherer sollte bereits erfolgen, wenn der Patient ankündigt, sich rechtlich beraten zu lassen.

? Wie verhält sich der Arzt gegenüber dem Patienten?

Nach meiner Einschätzung wäre es verfehlt, wenn er mit dem Patienten überhaupt nicht mehr spräche. Der Arzt sollte ein sachliches Gespräch mit dem Patienten führen, darf aber natürlich den Schaden nicht rechtsgeschäftlich anerkennen. Wenn er aber einen Fehler gemacht hat, kann er diesen auch einräumen. Ob dieser Fehler ursächlich für den entstandenen Schaden ist, ist in Abstimmung mit dem Haftpflichtversicherer zu prüfen.

? Wie läuft ein Schlichtungsverfahren ab?

Bevor es zum Prozess kommt, besteht für Patienten wie Ärzte die Möglichkeit, kostenlos die Schlichtungsstellen der Landesärztekammern anzurufen. Im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens wird dort durch 2 unabhängige Gutachter der Sachverhalt geklärt und das Vorliegen eines Behandlungsfehlers überprüft. In etwa einem Drittel der Fälle wird ein für den Patienten positiver Bescheid verfasst und dem Arzt und dessen Haftpflichtversicherer empfohlen, in die Regulierung einzutreten. Wird kein Behandlungsfehler festgestellt oder kann der Arzt durch das Gutachten nicht überzeugt werden, muss der Patient vor Gericht klagen.

? Vor einer solchen Klage haben sicherlich viele Ärzte Angst.

Bei den Ärzten herrscht teilweise Unwissen, teilweise aber auch Furcht vor der Arzthaftung. Jeder Arzt sollte wissen, dass die Arzthaftung dem ärztlichen Standard dient. Die strafrechtliche Komponente sollte nicht überbewertet werden, die meisten Verfahren werden eingestellt, und es kommt zu einer Einigung. Die zivilrechtlichen Ansprüche der Patienten werden von den Versicherungen übernommen. Wichtig ist es, die Fehler durch geeignetes Risikomanagement im Vorfeld zu vermeiden. Hierzu zählt das Critical Incident Reporting System (CIRS), das bereits in einigen Kliniken eingeführt wurde. Weitere Möglichkeiten des Risikomanagements werden z. B. von den Versicherern selbst angeboten, die Auditoren in die Kliniken schicken, um Apparate oder Schnittstellen zu überprüfen.

? Auch wenn es zu einer Einigung kommt: Ist die Angst der Ärzte nicht gerechtfertigt, ein solches Verfahren sei in jedem Fall rufschädigend?

Die Medien nehmen sich häufig der Arzthaftungsfälle an, da diese publikumswirksam sind. Ich wünschte, die Presse wäre zurückhaltender und objektiver in der Berichterstattung, insbesondere, da sie die Feinheiten des Falles oft nicht beurteilen kann. Nicht selten kommt es zu einer Vorverurteilung der Ärzte. Trotzdem muss natürlich jeder Einzelfall betrachtet werden. Es ist wichtig, dass das Vertrauen zwischen Ärzten und Patienten auch in Zukunft besteht. Die Ärzte sollten nicht das Gefühl haben: Der Patient ist mein Feind von morgen, der Ansprüche gegen mich stellen kann. Er muss vielmehr als der Leidende angesehen werden, dem es zu helfen gilt. Der Patient sollte wieder im Mittelpunkt ärztlichen Handelns stehen.

Die Fragen stellte Dr. Kathrin Lieb, Stuttgart

    >