Suchttherapie 2009; 10 - S813
DOI: 10.1055/s-0029-1240399

Philosophie als noetische Ressource und kognitive Selbstmedikation

M Poltrum 1
  • 1Anton Proksch Institut, Wien, Österreich

Die Wirkgeschichte der gegenseitigen Beeinflussung von Philosophie und Psychotherapie ist mittlerweile nahezu unüberschaubar. Mit dem Aufkommen der Bewegung des „Philosophical Counseling“, den Medical Humanities und des gegenwärtig hoch aktuellen Lebenskunstdiskurses eröffnen sich Möglichkeiten zu neuen Synergien zwischen Therapie und Philosophie. Trotz vielfältiger historischer Verschränkungen von Philosophie und Therapie verfügen wir heute noch kaum über ernstzunehmende Versuche, Philosophie direkt im klinischen Kontext als therapeutisches Medium einzusetzen. Im Anton Proksch Institut sind philosophische Aktivitäten seit nunmehr vier Jahren integraler Bestandteil des Behandlungs- und Rehabilitationsprogramms. Unsere klinisch-therapeutischen Erfahrungen, sowie die ersten Daten einer Pilotstudie und die damit im Zusammenhang stehenden Schlussfolgerungen zeigen die Notwendigkeit philosophischer Therapiestrategien im modularen Gesamtbehandlungskonzept bei Suchterkrankungen auf. Wenn man sich die Frage stellt, wie Philosophie im klinischen Kontext wirken soll, dann gibt es dazu mehrere Modelle und Erklärungen. Philosophische Erörterungen sind im klinischen Kontext erstens dazu in der Lage, die „noetischen Ressourcen“ zu aktivieren, also genau jene Überzeugungen, Einstellungen und Wertsysteme zu erweitern, die im Laufe einer Suchtentwicklung eine Engführung erfahren haben. Zweitens kann man durch die Darstellung verschiedenster philosophischer Systeme Hoffnung auf Besserung induzieren und die Erwartung wecken, dass die Therapie gelingt. Drittens kann Philosophie auch „kognitive Selbstmedikation“ sein. Der „innere Weise“ oder der „innere Heiler“, den jeder Mensch in sich trägt, tritt oft als guter Gedanke, wohltuende Vorstellung oder tröstende Kognition auf.

Literatur: Martin Poltrum, Philosophie als Arznei der Sucht. Die großen Philosophen als Therapeuten der Seele in: Spectrum Psychiatrie 1/09, Hg. v. M. Musalek, MedMedia Verlag: Wien 2009. Martin Poltrum, Klinische Philosophie und philosophische Therapeutik. Ein Projekt zur Ethik als philosophischer „Lebenskunst“, gemeinsam mit M. Musalek, in: KÜHN R. u. WITTE K. (Hg.), Psycho-logik. Jahrbuch für Psychotherapie, Philosophie und Kultur, Band 4., Verlag Karl Alber: Freiburg/München 2009. Martin Poltrum, Ästhetik in der Psychiatrie. Aesthetic-based Medicine – Theoretische Grundlagen, in: Daseinsanalyse. Jahrbuch für phänomenologische Anthropologie und Psychotherapie, International Federation of Daseinsanalysis (Hg.), Wien: 25/2009. Martin Poltrum, Philosophische Therapie und therapeutische Philosophie. Philosophische Reflexion als Medikation der „metaphysischen Obdachlosigkeit“, gemeinsam mit M. Musalek, in: Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, Philosophie und Sucht, Hg. v. Anton Proksch Institut Wien u. Ludwig Bolzmann Institut für Suchtforschung, Martin Poltrum (Gastherausgeber), Wien 2008. Martin Poltrum, Ressourcenorientiertes Arbeiten mit Suchtkranken, gemeinsam mit Feslmayer S. u. Czervinka R., in: Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, Philosophie und Sucht, Hg. v. Anton Proksch Institut Wien u. Ludwig Bolzmann Institut für Suchtforschung, Martin Poltrum (Gastherausgeber), Wien 2008. Martin Poltrum, Philosophische Aspekte der Suizidalität, in: Spectrum Psychiatrie 2/08, Hg. v. M. Musalek, MedMedia Verlag: Wien 2008. Martin Poltrum, Ästhetik und Anästhetik. Das Schöne als Therapeutikum der Sucht, in: Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, Hg. Anton Proksch Institut Wien u. Ludwig Bolzmann Institut für Suchtforschung, Jg. 29/2006 Nr. 1/2