Dtsch Med Wochenschr 2009; 134(49): 2497
DOI: 10.1055/s-0029-1243051
Editorial
Endokrinologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenerkrankungen: effizient und evidenzbasiert

Diagnosis and treatment of diseases of the thyroid: efficacious and evidence-basedR. Gärtner1
  • 1Medizinische Klinik Innenstadt der Universität München
Further Information

Publication History

Publication Date:
25 November 2009 (online)

Schilddrüsenerkrankungen gehören zu den Volkskrankheiten, denn bei etwa 20 – 30 % aller Erwachsenen findet man Knoten in der Schilddrüse und etwa bei 10 % aller Frauen und 2 % der Männer Schilddrüsen-spezifische Antikörper. Oft handelt es sich hierbei um einen Zufallsbefund bei einer Routineuntersuchung. Funktionsstörungen sind wesentlich seltener; die Inzidenz steigt aber mit höherem Lebensalter an. Insbesondere im höheren Lebensalter ist die Wahrscheinlichkeit einer multifokalen Autonomie mit subklinischer Hyperthyreose größer und auch eine subklinische Hypothyreose bei Autoimmunthyreoiditis (AIT). Beide Erkrankungen – sowohl die Knotenstruma als auch die AIT – treten familiär gehäuft auf, haben also eine genetische Disposition. Umweltfaktoren wie Jodmangel, aber auch Jodexzess, Selenmangel, Änderungen der weiblichen Hormon-Homöostase oder auch Stress können eine manifeste Funktionsstörung auslösen, wenn entweder ein Knotenstruma oder auch nur positive Schilddrüsen-Autoantikörper nachweisbar sind bei noch normaler Schilddrüsenfunktion. Diese Patienten müssen also genau untersucht und über ihr Erkrankungsrisiko aufgeklärt werden.

In den letzten Jahren haben nationale und internationale Fachgesellschaften Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenerkrankungen erarbeitet. So wurden Leitlinien erstellt, die sich mit der Abklärung von Knoten in der Schilddrüse befassen, und klinische und sonographische Kriterien zusammengestellt, um diejenigen Knoten zu identifizieren, die malignitätsverdächtig sind und durch Feinnadelpunktion weiter abgeklärt werden sollten. Nicht alle Knoten müssen unbedingt punktiert werden, dies würde insbesondere bei multinodösen Strumen dazu führen, dass zu oft punktiert wird, andererseits müssen auch nicht alle Knoten operiert werden. In Deutschland ist die Operationsfrequenz von Knotenstrumen sehr hoch, etwa 120 000 Operationen werden jährlich durchgeführt, aber nur etwa 2500 Schilddrüsenkarzinome neu entdeckt. Die Auswahl der Knotenstrumen, die histologisch weiter abgeklärt werden müssen, sollte also durch eine sorgfältige Diagnostik erfolgen.

Positive Autoantikörper bei noch normaler Schilddrüsenfunktion sind noch kein Grund, eine Krankheit zu definieren, die Funktionsstörungen treten in der Regel erst nach Jahren auf, allerdings belegen sie die Disposition zur Entwicklung einer organspezifischen Autoimmunität. Die Sonderformen der AIT wie die postpartale Exazerbation oder die Induktion durch Interferon sollten beachtet werden.

Eine wesentliche Frage ist die Indikation zur Therapie in Hinblick auf die durch eine große amerikanische Studie neu definierten TSH-Normalwerte (0,3 … 2,5 mU/l). Würde man diese Werte zugrunde legen, so wären etwa 10 % der Bevölkerung als schilddrüsenkrank einzustufen. Nicht der Laborwert allein, der beeinflusst ist von vielen Faktoren, sondern die zugrundeliegende Schilddrüsenerkrankung, Alter und Geschlecht sowie Begleiterkrankungen müssen berücksichtigt werden, bevor die Indikation zur Behandlung gegeben ist.

Wesentlich häufiger als das manifeste Schilddrüsenkarzinom mit Organüberschreitung oder Metastasierung ist das zufällig bei einer Operation entdeckte Mikrokarzinom (10 – 15 %). Dies bedeutet, dass bereits präoperativ eine möglichst genaue Diagnostik erfolgen muss, um die Zahl der Nachresektionen bei nicht-totaler Thyreoidektomie zu verringern. Die Indikation zur Nachresektion und evtl. Lymphadenektomie ist abhängig von der Histologie und dem Tumorstadium sowie dem Nachweis verdächtiger Lymphknoten. Nicht in allen Fällen ist eine Nachresektion erforderlich, z. B. beim unifokalen papillären Karzinom < 1 cm, nicht kapselinvasiv und ohne Metastasennachweis, dem nichtinvasiven follikulären Karzinom oder dem sporadischen medullären Karzinom mit normalem basalem und stimuliertem Calcitonin.

Die endokrine Orbitopathie bei Morbus Basedow ist eine seltene, aber oft schwer zu behandelnde und sehr beeinträchtigende Erkrankung. Die evidenzbasierten Empfehlungen der „European Group on GravesŽ orbitopathy” (EUGOGO) sollen eine Hilfestellung für niedergelassene Ärzte geben, wie diese Patienten betreut werden sollten. Obgleich sich der Zustand einiger Patienten spontan bessert, wenn die Funktionsstörung der Schilddrüse behandelt wird, gibt es doch einige, die nach wie vor Beschwerden haben. Daher ist eine enge Zusammenarbeit mit spezialisierten Zentren notwendig, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten. Ein sehr wichtiger Punkt ist die Tatsache, dass viele der Patienten mit schweren Verlaufsformen Raucher sind. Daher ist es von besonderer Bedeutung diese Patienten darauf hinzuweisen, dass alle Therapieversuche erfolglos sind, wenn sie das Rauchen nicht aufgeben. Die Indikation zur medikamentösen Therapie sollte in enger Zusammenarbeit mit spezialisierten Zentren gestellt werden.

Wir hoffen, dass wir in diesem Heft einige für alle Ärzte bedeutsame Themen zusammenstellen konnten und die optimale Betreuung der Schilddrüsenkranken damit unterstützen können.

Prof. Dr. Roland Gärtner

Medizinische Klinik Innenstadt der Universität München

Ziemssenstr. 1

80336 München

Email: roland.gaertner@med.uni-muenchen.de

    >