PiD - Psychotherapie im Dialog 2010; 11(4): 313-318
DOI: 10.1055/s-0030-1248639
Aus der Praxis

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Dissoziation und Schuld-Scham-Affekte in der Behandlung von Migranten aus islamischen Ländern

Fatih  Güç
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Publication Date:
02 December 2010 (online)

Zusammenfassung

Ausgehend von einer kulturellen Untersuchung der Schuld- und Schamaffekte stellt der Autor die These auf, dass diese Affekte gleichzeitig als eine Einheit auftreten und die intersubjektiven Austauschprozesse regulieren. Diese regulierende Fähigkeit verdankt die Schuld-Scham-Einheit der übereinstimmenden aber auch differierenden Beschaffenheit dieser Affekte, die sie in ihrer Verwobenheit zusammenwirken lässt. Die Kulturen unterscheiden sich darin, welchen Affekt sie mehr fördern. Gleichzeitig wird ein Dissoziationsmodell vorgestellt, das von diesen Affekten getragen wird: In diesem Modell wird die Dissoziation als Grundbaustein der Psyche verstanden, die auf eine Differenz hinweist und dadurch die kleinste Wahrnehmungseinheit bildet, wenn sie durch die Affekte eine Wertung erfährt. Die gewertete Differenz als Dissoziation hält das Subjekt und sein Gegenüber als getrennte Einheiten in der Teilung sowohl getrennt als auch zusammen. Anschließend zeigt das Fallbeispiel einer türkischen Analysandin, wie die Schuld-Scham-Affekte zur gegenseitigen Abwehr genutzt werden und wie diese Schuld-Scham-Einheiten die dissoziativen Strukturen erzeugen, aufrechterhalten und als Medium ihre Inhalte hin- und hertransportieren.

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Dipl.-Psych. Fatih Güç

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